Druck auf KiewRahr, Prof. Alexander © rahr

Druck auf Kiew

Vladimir Putin hat durch seinen überraschenden Erlass den Bewohnern der abtrünnigen Republiken des Donbass einen erleichterten Zugang zur russischen Staatsbürgerschaft gewährt. Nun liegt es an den 3,7 Millionen Menschen in den Separatisten-Regionen, ob sie ihre ukrainischen Pässe gegen russische eintauschen möchten oder nicht. Sollten sie das mehrheitlich tun, würde eine Rückkehr von Donezk und Lugansk zur Ukraine erschwert werden.

Im Westen folgte ein entrüsteter Aufschrei. Statt sich dem frischgebackenen Staatschef Vladimir Selenski kompromissbereit zu nähern, scheint Putin den Neuling einschüchtern und der Ukraine die von Separatisten besetzten Territorien jetzt wegnehmen zu wollen, wie vor 5 Jahren die Krim. Stimmen nach neuen Sanktionen werden laut.

Die russische Seite argumentiert dagegen: die notleidende Bevölkerung in den umkämpften Gebieten sei von Kiew verstoßen worden, stünde weiterhin unter Beschuss ukrainischer Militärtruppen, die versprochenen Autonomie und Amnestie für diese Gebiete sei ausgeblieben, Putin hätte seine Offerte aus humanistischen Gründen getan, um den seit 5 Jahren isolierten Menschen besseren Schutz und schnellere Hilfe aus der russischen Sozialkasse zu gewähren. Außerdem würde der Westen mit zweierlei Maß messen, denn Ungarn, Polen und Rumänien würden Westukrainern ebenfalls ihre Staatsbürgerschaften offerieren, ohne dass Brüssel dagegen einschreiten würde.

In der Tat will Putin dem neugewählten Präsidenten des Nachbarlandes suggerieren: gib dem Donbass endlich den ersehnten autonomen Status, ansonsten werden diese Gebiete früher oder später ganz die Lust verlieren, den gegenwärtigen russischen „Schutzmachtstatus“ gegen eine Rückkehr in den ukrainischen Staatsverband wieder umzutauschen. Russlands Pläne für die Ukraine haben sich nicht geändert: die Westukraine hat Putin seit 2014 abgeschrieben. Sie könnte theoretisch irgendwann einmal der NATO beitreten, nicht aber die Ostukraine, die Putin – und hier steht die Mehrheit der Russen hinter ihm – als Teil einer tausendjährigen russischen Kulturwelt ansieht, in der die NATO und der Westen nichts zu suchen haben.

Hat Putin mit seinem Schritt einen strategischen Fehler begangen, die historische Möglichkeit einer Einigung mit Selenski, der sich kompromissfähiger zeigte als der scheidende Petro Poroschenko, leichtfertig ausgeschlagen? Oder ist man im Kreml angesichts des Festhaltens Selenskis am prowestlichen Kurs zur Einsicht gelangt, dass der Machtwechsel in der Ukraine nichts gebracht hätte? Oder wollte Putin vor dem Treffen mit Selenski nur seine Verhandlungsmasse erweitern?

Für den Westen sind solche Überlegungen eine bodenlose Frechheit und nichts als Aggression. Doch was kann der Westen tun? Selenski in die westlichen Hauptstädte einladen, wie es Angela Merkel, Emanuel Macron und Theresa Mey inzwischen getan haben, mit ihm Solidaritätskundgebungen veranstalten, ihn womöglich militärisch aufrüsten? Die wirtschaftliche Lage in der Ukraine hat sich seit der Maidan- Revolution vor 5 Jahren nicht geändert, 80 Prozent der Ukrainer lehnen die gegenwärtige Staatsmacht ab, der Krieg mit Russland ist nicht populär.

Diejenigen die glaubten, Russland über Wirtschaftssanktionen gefügiger zu machen und zum Rückzug aus der Ostukraine zu bewegen, sehen sich getäuscht. Russland hat die Sanktionen weggesteckt, tritt auf der internationalen Bühne stärker auf als vor dem Ukraine-Konflikt und der Westen spricht in Bezug auf Russland schon längst nicht mehr mit einer Stimme.

Putin dreht den Spieß um. Nicht der Westen übt jetzt über Sanktionen Druck auf die russische Führung aus, sich aus der Ukraine herauszuziehen. Nein, Putin setzt den neuen Präsidenten Selenski und den Westen plötzlich selbst unter Druck, endlich der Idee einer Föderalisierung der Ukraine Folge zu leisten.

In Russland sind die ukrainischen Wählen genauestens beobachtet und analysiert worden. Beobachter interpretieren sie so, dass eine Mehrheit der Ostukrainer sich eindeutig für eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland ausgesprochen hat. Die vom abgewählten Präsidenten Poroschenko betriebene Spaltung der orthodoxen Kirche ging nach hinten los. Westliche IWF-Kredite helfen der Wirtschaft in der Ostukraine nicht auf die Beine. Dort wartet man auf eine Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen mit Russland.

Putins Erlass wäre somit ein „Signal“ für die gesamte russischsprachige Ostukraine. Die mittelosteuropäischen NATO- und EU-Länder würden mit ihrer Politik der „Passportisierung“ gegenüber der Westukraine und Moldawien ein ähnliches Ziel verfolgen, heißt es in Moskau. Der ehemalige ukrainische Präsidentenberater Dmitro Vydrin warnte unlängst vor einem „Ausfransen“ der Ukraine.

Schließlich darf die Möglichkeit nicht außer Acht gelassen werden, dass Putin mit seinem Erlass den „patriotischen Konsens“ im eigenen Land und seine eigene Reputation stärken wollte, was ihm eindeutig gelang.

COMMENTS

WORDPRESS: 1
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    Horst Beger 5 Jahren

    Dass die Ostukraine und die Krim Teil einer mehr als tausendjährigen russischen Kulturwelt sind, wird vom Westen zwar jesuitistisch geleugnet, ändert aber nichts an dieser Tatsache. Deshalb sind die Sanktionen und Osterweiterungspläne der NATO gegen Russland auch Teil „des mehr als tausendjährigen Kulturkampfes des westlichen(römischen) Christentums gegen das östliche (russische) Christentum“, wie der amerikanische Politologe Samuel Huntington das in seinem „Kampf der Kulturen“ aufgezeigt hat.