INF: Rüstungskontrollvertrag vor dem Aus?Wipperfürth, Dr. Christian © russland.tv

INF: Rüstungskontrollvertrag vor dem Aus?

Die USA werfen Russland seit 2014 öffentlich eine Vertragsverletzung vor und haben Moskau ein Ultimatum gestellt, das Anfang Februar 2019 abläuft.

Russland hat nach US-Angaben seine Streitkräfte mit landgestützten Marschflugkörpern ausgestattet, die eine Reichweite von bis zu 2.600 km besitzen sollen. Der 1987 abgeschlossene INF-Vertrag verbietet jedoch derartige Trägersysteme mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 km. Der Kreml leugnete einige Jahre, dass es diese Marschflugkörper überhaupt gebe, Anfang 2017 gestand er deren Existenz ein. Moskau bestreitet jedoch die von den USA angegebene Reichweite, also einen Vertragsbruch.

Die USA würden vielmehr den INF-Vertrag verletzen, so der Kreml, denn US-Langstreckendrohnen hätten dieselben technischen Merkmale wie verbotene Marschflugkörper. Vor allem könnten die Einrichtungen der Raketenabwehr in Rumänien und in Zukunft außerdem in Polen auch für landgestützte Marschflugkörper genutzt werden. Diese Option werde im offiziellen „Nuclear Posture Review“ der USA vom Februar 2018 ausdrücklich erwähnt, obgleich eine derartige Nutzung gegen den INF-Vertrag verstoße.

Die russischen Vorwürfe sind nach US-Ansicht nicht stichhaltig: Da sie an ihren Standort zurückkehren könne, sei eine Drohne kein Marschflugkörper. Sie falle somit nicht unter den INF-Vertrag. Und die Systeme der Raketenabwehr seien aufgrund ihrer Software nur zur Defensive geeignet.

Im Oktober 2018 kündigte US-Präsident Trump auf einer Wahlkampfveranstaltung eher am Rande an, den INF-Vertrag aufzukündigen. Dabei hatten noch im Juli 2018 die NATO-Staaten einmütig festgestellt, der INF-Vertrag sei grundlegend für die Sicherheit Europas, er müsse erhalten werden. Die Ankündigung Trumps war ein plötzlicher Kurswechsel und mit den Verbündeten nicht abgestimmt.

Gleichwohl stellten die Außenminister der NATO-Staaten am 4. Dezember einmütig fest, Russland verletze den INF-Vertrag. Washington hat Moskau daraufhin ein Ultimatum gestellt: Falls sich Russland bis Anfang Februar 2019 nicht wieder vertragskonform verhalte würden die USA den Vertrag aufkündigen. Immerhin erklärte die NATO auf Drängen Deutschlands und Frankreichs, eine wirksame Rüstungskontrolle als „Schlüsselelement“ der Sicherheit im euro-atlantischen Raum erhalten zu wollen und den Dialog mit Moskau zu suchen.

Wie stichhaltig sind die wechselseitigen Anschuldigungen? Die „Bundesakademie für Sicherheitspolitik“, die dem deutschen Verteidigungsministerium untersteht, schreibt: „Sowohl die US-Vorwürfe an Russland als auch die Gegenvorwürfe aus Moskau lassen sich ohne Kenntnis und Zugang zu der Geheimhaltung unterliegenden Informationen schwer verifizieren oder falsifizieren. Dies ist nur den Vertragspartnern selbst möglich.“ Es würden „letzte Gewissheiten“ fehlen, ob Russland den Vertrag verletze.[i]

Die „Deep Cuts Commission“, die sich aus renommierten amerikanischen, deutschen und russischen Sicherheitsexperten zusammensetzt, stellt fest: Die USA hätten ernsthafte Vorwürfe an Russland, umgekehrt sei dies auch der Fall. Die „Commission“ bemängelt u.a., der Westen zeige keine Bereitschaft auf die russischen Anschuldigungen einzugehen.[ii]

Zusammengefasst lautet die amerikanische Botschaft an Russland und die NATO-Verbündeten: „Glaubt uns, dass die Raketenabwehranlagen in Rumänien nicht offensiv genutzt werden können, dem INF-Vertrag also nicht widersprechen.“ Der deutsche Experte Ulrich Kühn weist darauf hin, dass die Abschussrampen theoretisch jedoch für offensive Marschflugkörper benutzt werden könnten. „Dazu bedarf es, das hat auch die amerikanische Regierung inzwischen zugegeben, lediglich einer Änderung in der Software.“[iii] Und ob die Software lediglich eine defensive Nutzung erlaubt ist nur den USA bekannt.

Den NATO-Partnern erklären die USA: „Glaubt uns, dass die Russen den Vertrag verletzen.“ Die NATO-Partner Washingtons haben am 4. Dezember 2018 zwar festgestellt, dass Russland den Vertrag verletze, aber womöglich deshalb, weil sie von den USA vor vollendete Tatsachen gestellt wurden?

Die Botschaft Moskaus an den Westen wiederum lautet: „Glaubt uns, dass unsere neuen Marschflugkörper vertragskonform sind.“ – Wobei die Glaubwürdigkeit dieser Beteuerung leidet, weil Russland einige Jahre sogar deren Existenz geleugnet hatte. – Es könnte allerdings sein, dass der Kreml die Existenz geleugnet hat, weil es sich nach seiner Auffassung letztlich nicht um neuartige Träger handelt. Nicht der Antrieb, sondern lediglich der Kopf des Marschflugkörpers seien modernisiert worden, wie Russland betont …

Es bleiben viele Fragen offen. Wolfgang Richter formuliert es so:

„Es ist nicht hinreichend geklärt, ob und inwieweit es sich bei den wechselseitigen Vorwürfen der Vertragsverletzung um Fehleinschätzungen oder um unterschiedliche Vertragsinterpretationen handelt, die durch technische Zusatzprotokolle oder gemeinsame Erklärungen einvernehmlich entschärft werden könnten.“[iv]

Herr Richter arbeitet für die „SWP“, die aus dem Etat des Bundeskanzleramts finanziert wird.

Gehen wir noch stärker ins Detail: Dan Coats (FOTO), der Chef aller US-Geheimdienste, erklärte am 30. November 2018: Russland habe den Marschflugkörper anfänglich von einer festen Abschusseinrichtung getestet. – Dies ist nach dem INF-Vertrag gestattet, wie auch Coats feststellte, obwohl der Flugkörper weit mehr als 500 km zurückgelegt habe. „Dann testete Russland“, so Coats, „denselben Marschflugkörper mit einer Reichweite unter 500 km von einer mobilen Anlage.“ Dies aber untersagt der Vertrag, was nicht umstritten ist – falls es sich um einen typengleichen Flugkörper gehandelt haben sollte, was Moskau jedoch bestreitet. Coats fährt fort: „Weil der fragliche Marschflugkörper zuvor über 500 km weit geflogen war, halten die USA das gesamte Arsenal für eine Verletzung des Vertrags.”

Der geschilderte Sachverhalt ist der Kern der amerikanischen Vorwürfe an Russland.

Die USA gehen davon aus, der von der mobilen Anlage gestartete Marschflugkörper sei lediglich mit weniger Treibstoff ausgestattet worden, um unter der 500 km-Grenze zu bleiben. Er sei jedoch grundsätzlich in der Lage, bis zu 2.600 km zu fliegen. Dies jedoch bestreitet Russland: Das Treibstoffsystem der Marschflugkörper verbiete ein solches Vorgehen. Russland hatte einige Tage vor der Erklärung von Coats angegeben, den USA sämtliche technischen Angaben des Marschflugkörpers, einschließlich des Treibstoffsystems, mitgeteilt zu haben. Entsprach dies den Tatsachen? Waren die Angaben hinreichend oder zumindest teilweise überzeugend? Wir wissen es nicht, Coats ging nicht darauf ein.

Pavel Podvig, einer der angesehensten russischen Experten, hält es für wahrscheinlich, dass Russland den Vertrag technisch verletzt habe, aber der Verstoß sei nicht annähernd so schwerwiegend wie von der US-Seite dargestellt und rechtfertige keineswegs eine Vertragskündigung.[v]

Rekapitulieren wir kurz: Sowohl die USA (Raketenabwehrsystem) als auch Russland (Marschflugkörper) behaupten, sich vertragskonform zu verhalten. Die jeweils andere Seite wird aufgefordert, dies zu glauben. Eine Bereitschaft zu Verifikationsmaßnahmen hat keine Seite erkennen lassen.

Der „Spiegel“ berichtete am 30. November[vi], die USA hätten den NATO-Verbündeten „erstmals Beweise“ vorgelegt und „mehrfach ungewöhnlich offen über ihre Geheimdiensterkenntnisse berichtet“. So sei den NATO-Partnern erstmals ein Satellitenfilm gezeigt worden, der die Flugbahn des nach US-Ansicht verbotenen russischen Marschflugkörpers zeigt.

Aber wäre es nicht möglich, dass es sich um seegestützte Marschflugkörper handelte, die mit Hilfe fester Startgeräte getestet wurden? In diesem nicht allzu unwahrscheinlichen Fall gäbe es keinen russischen Vertragsbruch.

Der Spiegel führt fort: „Zudem nannten die USA Unternehmen, die an der Entwicklung und Herstellung der verbotenen Flugkörper und Startvorrichtungen beteiligt sind.“ Die Unternehmen sind jedoch grundsätzlich seit langem bekannt. Sollte nur der Anschein erweckt werden, dass neue Informationen zur Verfügung gestellt wurden oder war dies tatsächlich der Fall? Wir wissen es nicht.

Die Abbildung zeigt eine russische „Iskander“, eine Vorläuferversion des neuen Marschflugkörpers

Die Beobachter rätseln, warum Russland den INF-Vertrag verletzt hat bzw. verletzt haben könnte. Moskau hat bspw. erfolgreich seegestützte Mittelstreckenraketen (die der INF-Vertrag nicht verbietet) in Syrien eingesetzt. Im Gegensatz zu Washington verfügte es über diese Träger bis vor wenigen Jahren praktisch noch nicht. Zudem besitzt Russland ein hohes Interesse daran, den 2021 auslaufenden „Start“-Vertrag mit Washington zu verlängern, der weitreichende Atomwaffen begrenzt. Die Verlängerung ist aber unwahrscheinlich, falls die INF-Vereinbarungen nicht mehr gelten. Warum also sollte Moskau den INF-Vertrag gefährden? – Eine durchaus mögliche Erklärung wäre: Es gibt in Russland zweifellos Kräfte, die den INF-Vertrag seit langem ablehnen, da er für Russland nachteilig sei. Es ist denkbar, aber nicht wahrscheinlich, dass Russland darum den INF-Vertrag mit Absicht gravierend verletzt.

Die USA geben an, Russland verletze den INF-Vertrag, den Washington darum kündigen werde, falls Moskau sich bis Anfang Februar 2019 nicht wieder vertragskonform verhalte. Ein weiterer, vielleicht ausschlaggebender Grund für die USA die Beschränkungen des INF-Vertrags abstreifen zu wollen ist China: Dieses besitzt Trägersysteme, die den USA aufgrund des INF-Vertrags verboten sind.

China, aber auch andere Staaten, verfügen im Vergleich zu 1987, als der INF-Vertrag abgeschlossen wurde, über deutlich mehr bzw. erstmals über Trägersysteme, die das Abkommen Washington und Moskau – und zwar lediglich diesen beiden – verbietet.

Der deutsche Außenminister hat kürzlich bei seinem Besuch in Peking zur Sprache gebracht den INF-Vertrag zu multilateralisieren, um ihn zu retten. China solle also Vertragspartner werden. Dieser Ansatz wird aus folgenden Gründen keinen Erfolg haben:

  1. 2007 ist bereits ein gemeinsamer russisch-amerikanischer Versuch in der UN gescheitert, weitere Staaten zum INF-Beitritt zu bewegen. Nicht nur China winkte damals ab, auch Frankreich und Großbritannien waren nicht interessiert. Es sieht danach aus, dass Paris und London dieses Mal nicht einmal mehr ernsthaft zur Beteiligung aufgefordert werden. Warum sollte dann Peking dem Ruf folgen?
  2. Der oben bereits zitierte Wolfgang Richter weist darauf hin: Falls ein Vertrag China landgestützte INF-Systeme verböte, verlöre Peking fast seine gesamten weitreichenden Abstandswaffen. „Die USA hingegen müssten nichts aufgeben, da sie über keine landgestützten INF-Träger verfügen und sich weiterhin auf ihre globale Raketen-, Luft- und Seeüberlegenheit verlassen könnten.“[vii] Es ist offensichtlich: Peking wird ein solches Abkommen nicht abschließen.
  3. Die „Bundesakademie für Sicherheitspolitik“ stellt fest: China wird sich nur dann auf ein nukleares Rüstungskontrollregime einlassen, wenn „weitere Fragen der strategischen Stabilität in Asien“ aufgegriffen werden, „etwa die nukleare Balance zwischen Indien, China und Pakistan“.[viii] Für einen solchen umfassenden Ansatz gibt es weder Anzeichen noch Aussichten auf Erfolg in absehbarer Zeit.

Es gibt zwar Berichte, auch Moskau dränge Peking sich den INF-Vereinbarungen anzuschließen.[ix] Es ist denkbar, dass China hierzu eine gewisse Bereitschaft zeigen, zugleich aber verlangen wird, dass sich auch weitere Länder anschließen. Dies würde die Aussichten auf eine multilaterale Lösung wohl nicht verbessern, auf diese Weise könnte Peking aber anderen den „Schwarzen Peter“ zuschieben. China kann davon ausgehen, dass sich etwa Frankreich, Großbritannien und Indien auf eine multilaterale Lösung nicht einlassen werden.

Außenminister Heiko Maas fordert nicht nur China zum Handeln auf, um den INF-Vertrag zu retten (ebenso wie etwa „Die Zeit“[x]), er erklärte zudem am 8. November 2018 im Deutschen Bundestag, es solle ein neuer „sicherheitspolitischer Austausch zwischen den USA, Russland und Europa“ geschaffen werden. Ein Gremium für den „sicherheitspolitischen Austausch“ gibt es aber bereits seit vielen Jahren, den „NATO-Russland-Rat“. Dieser fristet ein Schattendasein, trotz der Bemühungen Berlins. Warum sollte ein neues Gremium mehr Erfolg haben?

Maas möchte auch an die deutsche Initiative für die konventionelle Rüstungskontrolle von 2016 anknüpfen und die Rüstungskontrolle voranbringen:  Deutschland wolle dies im UN-Sicherheitsrat und 2019 auf einer internationalen Konferenz in Berlin thematisieren.

Viele NATO-Partner lehnten und lehnen die deutsche Rüstungskontrollinitiative ab. Dies sollte kein Grund sein von ihr abzulassen, rasche Erfolge sind aber nicht zu erwarten, den INF-Vertrag werden die Initiativen nicht retten können. Die offizielle deutsche Seite zeigt auch keine Anzeichen der Bereitschaft, auf die Vorwürfe aus Russland einzugehen. Berlin beschränkt sich auf einseitige Schuldzuweisungen. Dies wirkt nicht wie der Versuch, neue Verhandlungen anstoßen zu wollen.

Moskau und Washington haben sich in den vergangenen Jahren mit Vorwürfen überzogen, aber wenig Bereitschaft gezeigt die Anschuldigungen der jeweils anderen Seite zu entkräften. Der INF-Vertrag hat unter militärischem Aspekt in den vergangenen 30 Jahren tatsächlich an Bedeutung verloren, da Trägersysteme, die der Vertrag nicht untersagt, beträchtlich weiterentwickelt wurden. Der INF-Vertrag ist aber unter politischem Aspekt von großer Bedeutung, er ist einer der letzten Rüstungskontrollverträge überhaupt. Sein Ende könnte eine spannungsverschärfende Rüstungsspirale in Gang setzten.

Dies betrifft auch den „Atomwaffensperrvertrag“: Die Nuklearmächte haben sich hierbei vor 50 Jahren zur vollständigen nuklearen Abrüstung verpflichtet. In der Vergangenheit gab es Abrüstungs- oder zumindest Rüstungskontrollverträge zwischen Washington und Moskau. Dies stellte Länder vorläufig zufrieden, die den Vertrag zwar unterschrieben, grundsätzlich aber auf der vertraglich fixierten vollständigen Abrüstung bestehen. Falls der INF-Vertrag aufläuft, könnte somit auch der „Atomwaffensperrvertrag“ in eine Krise geraten. Alle fünf Jahre finden sich die Unterzeichnerstaaten des Vertrags, fast alle Länder der Welt, zu einer Überprüfungskonferenz zusammen. 2015 konnten sie sich trotz intensiver Verhandlungen nicht auf ein Abschlussdokument einigen. 2020 steht die nächste Überprüfungskonferenz an. Ägypten, Brasilien, Irland, Mexiko, Neuseeland und Süd Afrika haben sich in der „New Agenda Coalition“ zusammengefunden, um die Welt kernwaffenfrei zu machen. Andere Länder könnten sich veranlasst sehen, einseitige Schritte zu unternehmen und womöglich den Vertrag in seiner Gänze in Frage zu stellen.

Wolfgang Richter hat vorgeschlagen: „Die USA und Russland könnten sich in einer politischen Erklärung zum grundlegenden Wert des INF-Vertrags bekennen und ihren Willen bekunden, seine Bestimmungen einzuhalten und offene Fragen kooperativ zu klären. Verbündete sollten in Verifikationsmaßnahmen (Satellitenüberwachung, Beobachtungsflügen und Vor-Ort-Inspektionen) eingebunden werden, um Entscheidungen auf einer gemeinsamen Faktengrundlage treffen zu können.“[xi]

Dies hat Richter allerdings geschrieben, bevor sich die NATO-Außenminister am 4. Dezember einmütig hinter die USA gestellt haben.

Auch die „Bundesakademie für Sicherheitspolitik“ schreibt: „Oberste Handlungsmaxime sollte sein, nichts unversucht zu lassen, um durch Gespräche oder Verhandlungen die Vorwürfe über Vertragsverletzungen zu erörtern und Korrekturmaßnahmen einzuleiten.“[xii]

Aber sind die Würfel seit dem NATO-Gipfel und dem US-Ultimatum an Russland nicht gefallen? Was könnte und sollte nunmehr unternommen werden?

Selbst wenn die USA Anfang Februar den INF-Vertrag kündigen sollten, da sich Russland nicht vertragskonform verhalte, bliebe noch ein halbes Jahr bis der Vertrag tatsächlich ausläuft. Diese Zeit könnte genutzt werden.

Und es gibt einige hoffnungsvolle Anzeichen: Ein hochrangiger Vertreter des russischen Außenministeriums erklärte am 14. Dezember 2018, Russland sei bereit mit den USA über wechselseitige Inspektionen zu sprechen, um den INF-Vertrag zu retten. Auf amerikanischer Seite wirbt bspw. die „New York Times”, die gewöhnlich nicht mit Kritik an Russland spart, für wechselseitige Inspektionen.[xiii]

Hierfür sollte auch Deutschland offiziell eintreten. Bei Aufforderung an andere (China, Russland, USA) etwas zu tun sollte man es aber nicht bewenden lassen:

  1. Deutschland kann einen Überflug nach den Regeln des Vertrags über den „Offenen Himmel“ über den Stationierungsorten der russischen Marschflugkörper, die den INF-Vertrag verletzen sollen, beantragen.[xiv] Solche Flüge können wertvolle Erkenntnisse bringen (zu diesem Vertrag s. http://www.cwipperfuerth.de/2017/06/08/lebenszeichen-in-der-ruestungskontrolle/). Amerikanische, oder etwa polnische Offiziere könnten eingeladen werden daran teilzunehmen. Die Reaktionen Moskaus, Washingtons und anderer auf ein solches deutsches Vorgehen wären aufschlussreich.
  2. Außenminister Maas hat zwar eine Initiative zur Rüstungskontrollpolitik angekündigt, Deutschland sollte hierfür aber öffentlichen Druck aufbauen. Ende 2016 haben sich 14 Außenminister hinter die Abrüstungsinitiative Steinmeiers gestellt. Hierauf kann und sollte man aufbauen.
  3. Die NATO-Außenminister haben am 4. Dezember 2018 einmütig beschlossen, den „Dialog mit Moskau“ zu suchen. Berlin sollte öffentlich aktiv werden, um diese Ankündigung, die auch eine Verpflichtung bspw. Washingtons darstellt, mit Leben zu füllen. Deutschland sollte auf ein substanzielles Treffen des NATO-Russland-Rates drängen.
  4. Deutschland ist nach den USA und Russland das weltweit dritte Land, das über sehr leistungsfähige militärische Aufklärungssatelliten verfügt. Neue, noch bessere Satelliten werden in absehbarer Zeit in Dienst gestellt. Die entsprechenden Bemühungen sollten aber noch deutlich verstärkt werden, um die Fähigkeit zu einer unabhängigen Lageeinschätzung zu verbessern.

 

Quellen der Abbildungen:

Foto Coats: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a1/Dan_Coats_official_DNI_portrait_%28cropped%29.jpg, gemeinfrei

Foto Iskander: https://structure.mil.ru/images/upload/2017/Pusk_Iskandera-1200-15.jpg

 

[i] Arbeitspapier Sicherheitspolitik, Nr. 29/2018, Der INF-Vertrag – Europa muss handeln, Karl-Heinz Kamp / Wolfgang Rudischhauser, http://www.baks.bund.de/, die Studie finden Sie auch hier

[ii] http://deepcuts.org/; die Studie finden Sie auch hier

[iii] https://www.ndr.de/info/sendungen/…und…/streitkraeftesendemanuskript696.pdf

[iv] https://www.swp-berlin.org//publikation/der-inf-vertrag-vor-dem-aus/, die Studie finden Sie auch hier

[v] http://russianforces.org/blog/2018/11/russia_insists_it_is_in_compli.shtml

[vi] http://www.spiegel.de/politik/ausland/usa-legen-nato-partnern-beweise-fuer-inf-vertragsbruch-durch-russland-vor-a-1241330.html

[vii] S. Endnote iv

[viii] S. Endnote i

[ix] https://asia.nikkei.com/Politics/International-Relations/Russia-woos-China-to-join-nuclear-framework-with-US

[x]  https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-12/inf-vertrag-usa-russland-ruestungskontrolle-verantwortung-5vor8

[xi] S. Endnote iv

[xii] S. Endnote i

[xiii] https://www.nytimes.com/2018/12/15/opinion/sunday/trump-russia-nuclear-treaty-inf.html, s. auch

https://www.brookings.edu/blog/order-from-chaos/2018/12/13/will-europe-try-to-save-the-inf-treaty/

[xiv] https://www.swp-berlin.org/kurz-gesagt/2018/schadensbegrenzung-bei-der-ruestungskontrolle/

 

COMMENTS

WORDPRESS: 2
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    Horst Beger 5 Jahren

    Selbst wenn zu einem Atom-Krieg gegen Russland „die Würfel seit dem letzten NATO-Gipfel und dem US-Ultimatum an Russland längst gefallen sind“, wie Herr Wipperfürth das detailliert aufzeigt, stellt sich die Frage, warum der deutsche Außenminister Maas sich bedingungslos hinter diesen für Deutschland und Europa selbstmörderischen NATO-Beschluss stellt, und NATO-Generalsekretär Stoltenberg unverhohlen drohen kann, „Russland habe noch eine letzte Chance“, ohne Widerspruch in der deutschen Politik und den Medien zu erfahren?

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    Unfassbares Grauen

    Nach einem von Deutschland verursachten fürchterlichen Krieg, dessen ideologisches Kernstück der Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerung der Sowjetunion war, aus dessen Logik sich alle diejenigen Verbrechen, die den Nazismus einzigartig machten, inklusive der industriellen Vernichtung der europäischen Juden, bekamen 1989, drei Jahre, nachdem die US-Regierung unter Reagan den Kalten Krieg beinahe zu einem heißen hätte eskalieren lassen, die Deutschen von den Nachkommen der am meisten von ihnen geschädigten Bevölkerung auf der Welt ihre Wiedervereinigung geschenkt – mit dem Versprechen, die bipolare Ordnung werde zukünftig durch eine europäische Ordnung ersetzt, die auch den Sicherheitsinteressen der Russen genüge tun werde.

    Noch damals nachfolgende rot-grüne Koalition versprach in ihrem Wahlkampf den Deutschen, dass in der nächsten Legislaturperiode dieses Versprechen umgesetzt werde, bis sie bereitwillig 1999 den USA in einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Serbien folgte und 78 Tage lang half, Belgrad zu bombardieren.

    Als Vorwand diente hier die Behauptung der Gefahr eines serbischen Völkermords an den Kosovo-Albanern durch einen angeblichen „Hufeisenplan“, den später die WDR-Dokumentation „Es geschah mit einer Lüge“ als Lufgebilde der Nato-Propaganda entlarvte.

    Vor allem aber war es das Verteidigungsministerium der USA selbst, dass nur ein Jahr später vor hochkarätigen europäischen Amtsträgern auf der Konferenz von Bratislava die realen Gründe dieses Angriffskriegs offen nannten. Öffentlich Zeugnis hiervon hat abgegeben der deutsche Vertreter der OSZE-Gruppe des Deutschen Bundestags und vormalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium unter Volker Rühe, Willy Wimmer in einem offenen Brief an Bundeskanzler Gerhard Schröder. Ich zitiere den Brief im Wortlaut:

    „Herrn
    Gerhard Schröder, MdB
    Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland
    Bundeskanzleramt
    Schloßplatz 1
    10178 Berlin

    – vorab per Fax –

    Berlin, den 02.05.00

    Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

    am vergangenen Wochenende hatte ich in der slowakischen Hauptstadt Bratislava Gelegenheit, an einer gemeinsam vom US-Außenministerium und American Enterprise Institut (außenpolitisches Institut der republikanischen Partei) veranstalteten Konferenz mit den Schwerpunktthemen Balkan und NATO-Erweiterung teilzunehmen.
    Die Veranstaltung war sehr hochrangig besetzt, was sich schon aus der Anwesenheit zahlreicher Ministerpräsidenten sowie Außen- und Verteidigungsminister aus der Region ergab. Vorn den zahlreichen wichtigen Punkten, die im Rahmen der vorgenannten Themenstellung behandelt werden konnten, verdienen es einige, besonders wiedergegeben zu werden:

    Von Seiten der Veranstalter wurde verlangt, im Kreise der Alliierten eine möglichst baldige völkerrechtliche Anerkennung eines unabhängigen Staates Kosovo vorzunehmen.

    Vom Veranstalter wurde erklärt, daß die Bundesrepublik Jugoslawien außerhalb jeder Rechtsordnung, vor allem der Schlußakte von Helsinki, stehe.

    Die europäische Rechtsordnung sei für die Umsetzung von NATO-Überlegungen hinderlich.
    Dafür sei die amerikanische Rechtsordnung auch bei der Anwendung in Europa geeigneter.

    Der Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien sei geführt worden, um eine Fehlentscheidung von General Eisenhower aus dem 2. Weltkrieg zu revidieren. Eine Stationierung von US Soldaten habe aus strategischen Gründen dort nachgeholt werden müssen.

    Die europäischen Verbündeten hätten beim Krieg gegen Jugoslawien deshalb mitgemacht, um de facto das Dilemma überwinden zu können, das sich aus dem im April 1999 verabschiedeten „Neuen Strategischen Konzept“ der Allianz und der Neigung der Europäer zu einem vorherigen Mandat der UN oder OSZE ergeben habe.

    Unbeschadet der anschließenden legalistischen Interpreration der Europäer, nach der es sich bei dem erweiterten Aufgabenfeld der NATO über das Vertragsgebiet hinaus bei dem Krieg gegen Jugoslawien um einen Ausnahmefall gehandelt habe, sei es selbstverständlich ein Präzedenzfall, auf den sich jeder jederzeit berufen könne und auch werde.

    Es gelte, bei der jetzt anstehenden NATO-Erweiterung die räumliche Situation zwischen der Ostsee und Anatolien so wiederherzustellen, wie es in der Hochzeit der römischen Ausdehnung gewesen sei.

    Dazu müsse Polen nach Norden und Süden mit demokratischen Staaten als Nachbarn umgeben werden, Rumänien und Bulgarien die Landesverbindung zur Türkei sicherstellen, Serbien (wohl zwecks Sicherstellung einer US-Militärpräsenz) auf Dauer aus der europäischen Entwicklung ausgeklammert werden.

    Nördlich von Polen gelte es, die vollständige Kontrolle über den Zugang aus St. Petersburg zur Ostsee zu erhalten.

    In jedem Prozeß sei dem Selbstbestimmungsrecht der Vorrang vor allen anderen Bestimmungen oder Regeln des Völkerrechts zu geben.

    Die Feststellung stieß nicht auf Widerspruch, nach der die NATO bei dem Angriff gegen die Bundesrepublik Jugoslawien gegen jede internationale Regel und vor allem einschlägige Bestimmungen des Völkerrechts verstoßen habe.

    Nach dieser sehr freimütig verlaufenen Veranstaltung kommt man in Anbetracht der Teilnehmer und der Veranstalter nicht umhin, eine Bewertung der Aussagen auf dieser Konferenz vorzunehmen.
    Die amerikanische Seite scheint im globalen Kontext und zur Durchsetzung ihrer Ziele bewußt und gewollt die als Ergebnis von 2 Kriegen im letzten Jahrhundert entwickelte internationale Rechtsordnung aushebeln zu wollen. Macht soll Recht vorgehen. Wo internationales Recht im Wege steht, wird es beseitigt.
    Als eine ähnliche Entwicklung den Völkerbund traf, war der zweite Weltkrieg nicht mehr fern.
    Ein Denken, das die eigenen Interessen so absolut sieht, kann nur totalitär genannt werden.

    Mit freundlichen Grüßen
    Willy Wimmer
    http://www.medienanalyse-international.de/wimmer.html

    Das, was hier dokumentiert wurde, spricht eine deutliche Sprache. Nur selbst im Jahr 2000 war das, was hier an aggressiven und gezielt völkerrechtswidrigen Zielen der US-Außenpolitik ganz offen genannt wurde, kann einer Regierung mit großem außenpolitischen Stab nicht überraschend gewesen sein – es sei denn, es hätten zuvor sämtliche Analysten gechlafen.

    Denn bereits drei Jahre zuvor, 1997, hatte der wichtigste außenpolitische Berater dreier demokratischer Berater ein gewichtiges Buch veröffentlicht, dass mit den wenig friedlichen Zielen US-amerkanischer Außenpolitik in Bezug auf Russland nicht hinterm Berg hielt. Es war die an der Mackinderschen Heartland-Theorie der Briten orientierte Veröffentlichung „The Grand Chessboard“ von Zbgniew Brzezinski. Dass es dem Auswärtigen Amt unbekannt sein könnte, kann man als ausgeschlossen betrachten, da das Vorwort der deutschen Übersetzung kein Geringerer verfasst hatte als Hans-Dietrich Genscher.

    Doch bereits dem war eine gewichtige Veröffentlichung, diesmal nicht in Printform, vorausgegangen, die kein Zweifel daran gelassen hatte, dass Russland, egal, welche Angebote von Zusammenarbeit Russland dem „Westen“ machen werde, es weiterhin als Feind betrachtet werden würde, bis es in einen Zustand vollkommener Zerstückelung in mehrere für sich nicht lebensfähige Teilstaaten zerlegt worden sei, die nie wieder eine geographische Grenze für den Geltungsbereich US-amerikanischer Machtprojektionen würden darstellen können.

    Diese öffentliche Proklamation fand im US-amerikanischen Fernsehen statt und zwar bei dem Third Annual Report of the Secretaries of Defense von — 1989! (sic!)

    Ergo: just in dem Jahr, in dem Russland auf die bloße verbale Zusicherung von Hans-Dietrich Genscher und James Baker (Tagsschau, 1990, moderiert von Tina Hassels, die Nato werde sich nicht nach Osten ausdehnen, den größten freiwilligen Verzicht auf machtpolitischen Einfluss unternahm, verkündeten sämtliche damals noch lebenden Verteidigungsminiser der USA öffentlich im US-Fernsehen, dass es unter allen Umständen auch fürderhin für einen zu bekämpfenden Feind gehalten und entsprechend bekämpft werde.Man kann den USA ergo beim besten Willen nicht vorwerfen, sie hätten verschwiegen Russland gegenüber anders verfahren zu wollen, als Cato der Ältere gegenüber Karthago.

    Und auch etwas anderes kann man den USA nicht zur Last legen: Nämlich, dass sie verheimlicht hätten, dass sie in sämtlichen außenpolitischen Publikationen je etwas anderes unter „Verteidigung“ verstanden hätten, als die Verteidigung ihrer absoluten globalen Hegemonie – und zwar im Zweifelsfall gegen das Völkerrecht, gegen die Nato-Gründungsakte, gegen den Willen ihrer „Verbündeten“ und gegen die UN-Menschenrechtscharta, mit der die Degradierung von Millionen Menschenleben als atomare Geisel nationaler Hybris nicht vereinbar ist.

    Ob die Reden aller US-Präsidenten von Bill Clinton bis Barack Obama, ob die Wolfowitz-Doktrin, das Pentagon War Manual von 2015, die Defense Doctrine von 2018 – all diese öffentlich zugänglichen Schriften sagen explizit, dass die USA alles, bis zum Atomkrieg zu tun bereit sind, um ihre Herrschaft über die Welt gegen den natürlichen Gang der Geschichte, der den Machtschwerpunkt nach Asien verschiebt, zu erzwingen.

    Falls das, was jeder des Recherchierens von Quellen fähige Bundesbürger wissen kann, unseren Politikern unbekannt ist, möchte ich wissen, durch welche Formen von Gehirnwäsche jemand bei uns gehen muss, bevor er in ein öffentliches Amt gelangt. Denn woran immer die US-Regierung gebunden ist, unsere Regierung ist gesetzlich an internationales Recht, das Grundgesetz, ihren Amtseid und deshalb auch das Wohl des deutschen Volkes gebunden.

    Unter diesen Umständen kann man aus dem Verhalten unserer Bundesregierung nur noch schließen, dass unsere verfassungsmäßige Ordnung zwar als äußerlicher Schein, aber de facto nicht mehr substanziell existiert.

    Dass selbst das Ausmaß an Souveränität für die Bürger der Bundesrepublik, unserem doch angeblich seit den 2+4-Verträgen souveränen Land, nicht mehr zu existieren scheint, das es uns als Staatsvolk ermöglicht, eine Regierung zu wählen, die es gemäß der eigenen Verfassung, zu der in Artikel 26 (1) die – mit Bedacht 1945 (!) – explizit arikulierte Friedensverpflichtung – gehört, repräsentiert, machte erstmals die seitdem tödlich verschwiegene Totalüberwachung der NSA deutlich. Durch die wurde uns bekannt, dass ein Großteil unserer Grundrechte reine Papiertiger sind, die de facto nicht existent sind.

    Wie weit wir aber unsere vermeintliche „Repräsentation“ als bloße Besatzungshelfer eines Besatzungsregimes erachten müssen, dass selbst der Haagener Landkriegsordnung Hohn spricht, haben uns endgültig die Gechehnissse vor Augen geführt, die eine der Hauptakteure des US-Plottings in der Ukraine, Victoria Nuland, treffend mit den unfreundlichen Worten „Fuck the EU“ kommentierte – und deren zynische Konsequenz jetzt erst richtig deutlich wird.

    Darüber, dass sich unter führenden US-Militärs, übrigens auch britischen, die offenherzigen Ankündigen mehren, dass der Krieg gegen Russland und China in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren „unvermeidbar“ („inevitable“) sei, schweigt unsere sorgsam vermachtete Presse beharrlich – nur sind genügend Englischkenntnisse in dieser Gesellschaft vorhanden, dass wissen kann, wer wissen will. Dass dies nicht unter Deutschen, so effektiv kommuniziert werden kann, dass das weite Unbehagen womöglich in offenen Protest umschlagen könnte, dafür sorgt, neben gründlicher Zensur der Kommentarforen von Online-Fassungen der Leitmedien, eine ausgeklügelte Umgebungsstruktur aus transatlantischen Networks und Thinktanks, vierundzwanzig Nato-Exzellenzzentren, einer East StratCom TaskForce und staatlich subventionierten oder angestellten Internettrollen, wie jene 27000 der NSA und 7000 der GCHQ, von denen alleine die von Edward Snowden in The Intercept und dem damals noch kritischen Guardian geleakten Dokumente zeugen. Denn deren Narrativ hat gleich schon begleitend auch das Diskreditierungsnarrativ geliefert, nach dem neben den staatlich bestallten Denunziatoren entsprechend obrigkeitsbeflissene „Mitbürger“ wissen, wie jeder bezeichnet zu werden hat, der sich Gedanken um den Frieden in Europa und die Völkerfreundschaft mit einem Volk, das uns die Ermordung von 27 Millionen ihrer Vorfahren verziehen hat: Solche Leute sind „Putin-Trolle“, „Russlandversteher“ (als Schimpfwort!), neuerdings, da „natürlich“ „Putin“ die Schuld, noch dazu die alleinige, am Wiedererstarken des europäischen Rechtsextremismus trägt, sogar „Rechtsextreme“ – und zwar alleine weil sie das vertreten, wofür nicht nur in den 80ern Millionen von Menschen auf die Straße gegangen sind, sondern auch heute noch 87-95% in Umfragen votieren: nämlich Frieden und eine bessere Beziehung zu Russland. Das weiß das Auswärtige Amt auch genau: zwei für es von der Körber-Stiftung 2016 und 2017 durchgeführte Umfragen belegen dies ebenso deutlich wie eine vom Forsa-Institut veranlasste von 2018 (Wiese-Consulting-Russland-und-der-Westen).

    Vor allem aber weiß die Bundesregierung, dass die Diskreditierung friedenspolitischer Stimmen im Land eine gezielte und mit äußerstem Aufwand betriebene Strategie der Nato-Informationskriegsführung ist.

    So heißt es in der Broschüre zur JAPCC-Konferenz vom November 2015 in Essen, zu der 250 führende Vertreter aus Medien und Politik eingeladen waren, zu den Zielen von Nato-Propaganda:

    „Key Principles for NATO Strategic Communication:

    Emphasize the human rights aspect of the conflict

    NATO also needs to publicly and aggressively challenge the lawfare movement and uphold the traditional law of Armed Conflict rules of using force.

    NATO must recognize its current struggles in strategic communication and in justifying military operations‘ necessity to the general public.That the public in some key NATO countries does not understand the requirement for NATO collective defence means that NATO needs a fundamental revision of strategic communication frameworks. NATO needs to commit far more resources and efforts to basic communication with the public.

    There is a need for large specialized information agencies to leed the battle for strategic communications.“

    Die Denunziation ist ergo systematisch durchgeführtes Programm – und die Komplizenschaft der Medien wurde auch von oben nach unten durchorganisiert:

    „Conference attendees were united in the belief that it is perception that matters. In attendance to shape public perceptions and, perceptions perhaps of senior political-policy makers the media is a key conduit via which such shaping activities can be affected. The second session oft he conference therefore considered the relationship between the military and the media with a view to considering how NATO might best improve its media messaging. Several current and former senior media player fromt both print journalism and TV participated in a fascinating session during which certain key dynamics were drawn out.“

    Am wenigstens aber wurde den journalistischen Erfüllungsgehilfen aber verschwiegen, dass sie in Deutschland besonders kantig vorzugehen hätten, da hier nämlich der Widerwillen dagegen, zu willigem Schlachtvieh gemacht zu werden, am höchsten sein dürfte – aus zweifachen historischen Gründen:

    „The German case study shows a marked contrast with the American and the English one. After WWII the German pacifist sentiment was very strong and remains so. The public opinion oft he armed forces is almost the opposite of the British and oft he American one. In any case of NATO using force, the Germans are far more susceptible for disinformation campaigns and anti-military campaigns than most other NATO nations. In short, a variety of political and cultural factors make Germany a very problematic case of supporting NATO military operations and to agreeing in any use of force in service of NATO.

    The study of Italy very closely resembles that of Germany with a strong leftist and pacifist sentiment in the general public and also a public that opposes a use of force even if a NATO country were directly invaded.“

    „Different dynamics were found to apply to public perceptions within Europe. Indeed, there is no such thing as a general ‚European public opinion‘; opinions and perceptions vary constantly from nation to nation. Such perceptions are normally based on historical issues and often there is a degree of inertia to public opionion which makes it hard to shape and change. Factors which NATO must counter in articulating its views to a sometimes sceptical public include disinformation (for instance, the constant drip feed of Soviet and then Russian disinformation to German audiences for many years).“

    Wer da noch so tut, als ob der Legitimationsverfall der Presse seit dem Beginn der zweitschrecklichsten Welle von Kriegspropaganda in der deutschen Geschichte, einer geheimen Intervention von außen zuzuschreiben sei, lügt in einer Dreistigkeit, dass es kaum noch zu überbieten sei.

    Wie also, Herr Wipperfürth, sollen wir das Abducken der europäischen Regierungen und die Subalternität des Schulterschlusses mit einem Aggressor, dem nämlich in den USA, der uns offensichtlich zu nuklearem Schlachtvieh und unsere Länder zum Schlachtfeld degradieren will, gegenüber der Aufkündigung des INF-Vertrags deuten? Wie anders als die Bereitschaft eines von uns nicht mehr, selbst in den wesentlichsten Fragen nicht mehr zugänglichen Darstellerpersonals politischer „Repräsentation“, unser und unser Kinder Leben aufs Spiel zu setzen und uns dem Horror dauernder Lebensgefahr durch eine nahende nukleare Vernichtung auszusetzen?

    Wie sollen wir uns noch einbilden, der totalitäre Zustand, in den wir seit 2014, einem halben Jahr, nachdem uns unsere totalitäre Überwachung in vollem Umfang bekannt war, gepresst werden, könnte von einer Politikerkaste, denen unser Leben nichts zählt, doch noch gewahrt werden, wenn in diesem Land selbst über den Ursprung der Gefährdung, nämlich dem in den USA, nicht offen geredet werden kann und die mediale Denunziationsmaschinerie perfider Weise aus Steuergeldern bezahlt werden kann.

    Seit 2014 ist der erdrutschartige Legitimationsverfall der Parteien und der deutschen Presse mit Händen greifbar. Auch dies konnte nicht dazu führen, dass auch nur eine aufrichtige und offene Grundsatzdiskussion in diesem Land geführt würde.

    Denn die Ursachen des Unbehagens will ja keiner wissen. Zumindest nicht solche, die die Legitimation der Nato einschränkten. Lieber ist es dem politischen Apparat und der Presse, wenn diffuse Ängste ihre Kanäle in gewaltsamen Rechtspopulismus finden, als dass sie Raum für eine Auferstehung der Friedensbewegung gäben. Lieber verschwinden unsere Volksparteien in der Versenkung, als eine von den USA ausgehende, unser und das Leben der Russen gefährdende Politik auch nur zur Debatte zu stellen.

    Das ist so unheimlich, dass bei mir alle Erinnerungen an das wachwerden, was mir meine Verwandten aus der Generation meiner Großeltern aus der Zeit nach dem 28. Februar 1933 erzählen.

    Ich habe Angst – und 30% der Deutschen gleichfalls – vor einem Weltkrieg.

    Und ich könnte heulen darüber, dass wieder die Russen eine ähnliche Angst haben müssen – und zwar berechtigt.

    Und niemand antwortet auch nur darauf, während die demokratischen Institutionen selbstverschuldet den Bach bei uns runtergehen.

    Wir leben in einem Alptraumszenario.

    Ich kann das nicht mehr verstehen – und habe in unseren Außenminister, der 2017 laut verkündet hat, er sei nicht wegen der Friedensbewegung und der Ostpolitik Brandts und Bahrs in die Politik gegangen NULL VERTRAUEN. So leid es mir tut.

    Mit großen Sorgen,
    Anja Böttcher