Krim – das sind Menschen, nicht Politik

Krim – das sind Menschen, nicht Politik

[von Yefim BERSHIN] Zum ersten Mal brachte man mich auf die Krim, als ich noch sehr jung war – zwei Jahre alt. Ich erinnerte mich fast an nichts von dieser Reise, aber ich weiß, dass die Krim damals russländisch (im Text: был российским – ke) war. Genauer gesagt war sie eine der Regionen der Russischen Föderation. Dann kam ich 13 Jahre danach wieder dorthin, als die Krim auf Geheiß des damaligen kommunistischen Führer Nikita Chruschtschow ein Teil der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik geworden war. Aber das hat nichts geändert, weil all diese Wechsel, obwohl sie die Verfassung der UdSSR verletzten, im Rahmen eines Landes vor sich gingen. Viele wollen sich nicht daran erinnern, dass es in der Sowjetunion nicht nur eine Diktatur gab, sondern auch eine Verfassung. Gemäß dieser Verfassung war es notwendig sollte das Territorium einer Republik in ein anderes übertragen werden, in beiden Referenden abzuhalten. Die wurden aber nicht abgehalten.

In der Krim wurde immer Russisch gesprochen, die „Krimer“ haben sich immer als Russländer gefühlt und haben das nie verborgen. Nicht zufällig stimmen in einem Referendum, das im Jahr 1991 von Michail Gorbatschow durchgeführt wurde, über 90 Prozent der „Krimer“ dafür in einem Staat mit Russland zu bleiben. Aber, natürlich, hat sie niemand gehört. Sie wurden erst im Jahr 2014 gehört.

Ich bin vor zwei Tagen von der Krim zurückgekehrt. Und nach alter journalistischer Angewohnheit redete ich viel mit einfachen Leuten – Fahrern, Verkäufern, Kellnern und Passanten auf der Straße. Ich war in Simferopol, Sewastopol, Kertsch, Feodosia und Koktebel, wo bereits zum sechzehnten Mal das berühmte Literaturfestival  stattfand, das Dichter und Schriftsteller aus verschiedenen Ländern anzieht. Was habe ich gesehen? Ich sah in Simferopol den neu gebauten modernen internationalen Flughafen – anstelle eines kleinen zweistöckigen Hauses, das bis vor kurzem aus irgendeinem Grund Flughafen genannt wurde. Direkt am Ufer in Kertsch sah ich die einzigartige Krimbrücke, welche die Halbinsel mit dem russischen Festland verbindet. Ich sah wie die Schnellstraße von Kertsch nach Simferopol und Sewastopol gebaut wird, die „Tawrida“, die das Wirtschaftsleben auch in den entlegensten Ecken der Krim beleben wird.

Aber desungeachtet fällt auf der Krim noch etwas anderes ins Auge. Ich möchte sagen, dass die heutige Krim eine Synthese der russischen Neunziger mit den Überresten des sowjetischen Dienstes ist. Natürlich nicht überall. In großen Städten ändert sich die Situation, aber sehr langsam. Ein mir bekannter Professor sagte einmal, dass die Sowjetunion an einen großen Kühlschrank erinnerte, in dem die sozialen Beziehungen von vor 1917 eingefroren waren. Nach der Auflösung der Union kehrten daher einige neue Staaten zu ihren Ursprüngen zurück. Irgendwo herrschte Demokratie, irgendwo Feudalismus und irgendwo sogar Sklaverei. In der Krim erhielten sich vielerorts die in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelten Umgangsformen. Und 23 Jahre in der Verfassung der Ukraine haben daran nichts geändert. Sogar etwas hinzugefügt. Unser Fahrer gestand, dass er Steuern nicht bezahlt, weil es unprofitabel sei und weil niemand Steuern bezahlte, als die Krim in der Ukraine war. Viele verstehen nicht, warum Gesetze nötig sind, wenn Menschen daran gewöhnt sind, ohne sie zu leben. Deshalb gefällt vielen die neue russländische Realität nicht, in der versucht wird die Menschen dazu anzuhalten nach Gesetzen zu leben. Vor allem Geschäftsleute. Trotzdem, ungeachtet der Blockade, ungeachtet der Tatsache, dass die Ukraine die Versorgung mit Wasser und Elektrizität blockiert hat, ungeachtet all der alten und neuen Schwierigkeiten, will fast niemand in die Ukraine zurückkehren. Eine alte Frau auf dem Markt in Koktebel sagte mir: „Auch wenn wir Gras essen müssen, werden wir nicht in die Ukraine zurückkehren. Denn wir sind – Russland.“

Das „Deutsche Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien“ (ZOiS) hat eine Studie erstellt, aus der hervorgeht, dass 67,8 Prozent der „Krimer“ sich als ethnische Russen bezeichnen, 12 Prozent – ethnischen Krimtataren, und nur 7,5 Prozent als ethnische Ukrainer. Als einheimisch nennen 2,7 Prozent die ukrainische, fast 80 Prozent die russische und 8,7 Prozent krimtatarische Sprache. Zuhause spricht ein Prozent der Befragten ukrainisch, 83,7 Prozent sprechen Russisch. 4,2 Prozent sprechen nur von Zeit zu Zeit Ukrainisch. 0,7 Prozent der „Krimer“ erhalten Informationen von ukrainischen,  75,7 Prozent von russischen Medien.

Laut ZOiS nahmen nur 7,9 Prozent der Krimer an dem Referendum von 2014 nicht teil. Fast 79 Prozent der Befragten gaben an, dass sie heute genauso wählen würden wie 2014. Und nur 2,4 Prozent der Bevölkerung würden ihre Meinung ändern.

Aus all dem folgt, dass die Krim nicht Politikern oder Politikwissenschaftlern gehört, sondern denen, die dort leben – den „Krimern“. Die Krim  – das ist kein Territorium, das sind die Menschen.

Yefim Berschin

Übersetzung: Kai Ehlers

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COMMENTS

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    Frank Werner 6 Jahren

    Dazu möchte ich nur anmerken, dass auf der Krim auch immer Ukrainisch und Tatarisch gesprochen wurde. Es war der Regelfall, dass wichtige Beschilderung in allen drei Sprachen erfolgte. Das passiert nun nicht mehr. Ukrainisch und Tatarisch wird unterdrückt.

    Es herrscht keine Meinungsfreiheit mehr, wer die illegale „Heimholung“ der Krim in Frage stellt, hat mit massiven Repressalien bis hin zu jahrelanger Lagerhaft zu rechnen.

    Und ich frage mich auch, auf welches Referendum der Autor sich bezieht. 1991 stimmten auch auf der Krim 54,19% für die Unabhängigkeit von der UdSSR/Russland.
    Die Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine wurde auch von Russland NIE (!) bis zur Annexion auch nur in irgendeiner Weise in Frage gestellt und in zahlreichen internationalen Verträgen bestätigt. Es kann keine Zweifel geben, dass diese Annexion zum Einen rechtswidrig ist, zum anderen – und wen es Jahrzehnte dauert – wieder revidiert wird.

    Daran ändern auch die Repressalien und die Vertreibung der Ukrainer und Krim-Tataren nichts. Auf „nicht wissen“ kann sich dann niemand berufen.

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    Horst Beger, Gesellschaft für Deutsch-Russische Begegnung Essen mit der Partnerstadt Nischnij Nowgorod 6 Jahren

    Unsere Freunde aus der Partnerstadt Nishnij Nowgorod, für die die Krim kultureller und touristischer russischer Sehnsuchtsort war und ist, „sind empört darüber, dass auch Deutschland kein Verständnis für die Wiedervereinigung der Krim mit Russland hat“.