So könnte die SPD Punkte sammelnRahr, Prof. Alexander © russlandkontrovers

So könnte die SPD Punkte sammeln

Eine neue Ostpolitik, d.h. verbesserte Beziehungen zu Russland – das wollte die SPD laut einem eigenen Strategiepapier vom Herbst letzten Jahres 2019 in die Regierung einbringen. Das Papier, an dem lange gearbeitet wurde, sollte einerseits den kritischen Kurs gegenüber der russischen Intervention in der Ukraine und Syrien aufrechterhalten. Gleichzeitig aber enthielt es fast sensationell klingende Vorschläge zu einer vertieften Kooperation.

Die SPD sprach sich für eine Wirtschaftspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und der von Russland angeführten Eurasischen Wirtschaftsunion aus. Darüber hinaus unterstützte das Strategiepapier eine sicherheitspolitische Kooperation zwischen NATO und dem kollektiven Verteidigungsbündnis der ehemaligen Sowjetrepubliken. Vernünftige Vorschläge, um Europa aus der momentanen Konfrontation zu befreien.

Doch nach heftiger Kritik, vor allem aus den liberalen Medien, scheint sich Angela Merkels Koalitionspartner nun von der eigenen Russlandstrategie wieder zu distanzieren. Aus Angst vor der eigenen Courage. Davon zeugen zunehmend russischkritische Aussagen führender SPD-Politiker. Dabei zeigen Umfragen in der Bevölkerung, dass die Suche nach einem Friedensschluss mit Russland breites Echo findet.

Die SPD Russland-Initiative scheint mit einem entscheidenden Totschlag-Argument wieder aus dem politischen Leben verbannt worden zu sein: dass es innerhalb der EU keine eigenständige deutsche Russlandpolitik geben dürfe, weil ansonsten Polen und Balten Albträume von einer Wiederauflage des Hitler-Stalin-Paktes aus dem Jahr 1939 bekommen könnten. Solche Verdachtsvorwürfe an die deutsche Politik sind absolut ungerecht und eine Ohrfeige für alle renommierten deutschen Politiker der Nachkriegszeit, die deutsche Partikularinteressen stets hinter das Wohl Gesamt-Europas anstellten.

Zur sofortigen Zerstörung jeglicher Ansätze für einen Ausgleich mit Russland trägt heute vor allem die Ukraine bei. Ihre Führung verharrt in ihrer Opferrolle, blendet eigenes Versagen aus, pflegt erfolgreich das Narrativ einer einseitigen russischen Aggression – und zwingt auch Deutschland, das sich eigentlich als ehrlicher Makler zwischen den Fronten Moskau-Kiew bewehren wollte, zur bedingungslosen Solidarität mit den ukrainischen Interessen. Die Ukraine macht im Westen eben eine hervorragende Lobbyarbeit.

 

Leider fehlt der SPD in dieser Stunde die historische Standhaftigkeit in der Debatte über den richtigen Umgang mit Russland. Die SPD beharrte früher stets auf der Position, dass es kein friedliches und prosperierendes Europa ohne oder gar gegen Russland geben könnte. Gerade in einer Zeit, wo die USA zu den europäischen Verbündeten schlechtere Beziehungen pflegen, wäre es für eine Friedenspartei wie die SPD richtig, für eine Politik der Äquidistanz zu Amerika und Russland einzutreten – und eine eigenständigere europäische Sicherheitspolitik zu entwickeln. Und sich denjenigen entgegenstellen, die sich ein Europa ganz ohne Russland wünschen.

Wenn die USA als Schutzmacht des Westens ausfallen, braucht Europa ein neues, belastbares Verhältnis zu Russland. Bekannterweise sind die heutigen Konflikte zwischen dem Westen und Russland eindeutig auf Amerikas strategische Interessen und amerikanische Geopolitik zurückzuführen, die NATO bis an die russischen Grenzen auszuweiten. Sollten die USA ihr Interesse an Europa verlieren, wird die herkömmliche NATO Struktur für das Abendland einer Revision unterzogen. Russland würde einem Europa, das nicht von den Amerikanern dominiert wird, aufgeschlossener begegnen, sofort mehr Kooperationswillen aufbringen.

Wenn feststeht, dass die NATO nicht weiter erweitert wird, entfallen automatisch die Ursachen für die heutigen Konflikte zwischen Westen und Russland um Länder wie die Ukraine, Moldawien oder Georgien.

Europa wird eine modernere Sicherheitsarchitektur benötigen und das gibt der ehemaligen Partei von Willy Brandt die historische Chance, eine neue verteidigungspolitische Ordnung für den Kontinent – anders als in den 1990er Jahren – mit und nicht ohne Russland anzugehen. Mit dieser Offensive kann die SPD Punkte sammeln und aus ihrem Umfragetief wieder herauskommen.

COMMENTS

WORDPRESS: 5
  • comment-avatar

    Die SPD mag in der Hinsicht an der Basis und auch in einigen östlichen Bundesländern noch einige vernünftige Regionalpolitiker haben, aber sobald es um die Fleischtöpfe der Macht geht, bestimmt dort einsam der reaktionäre und eisern transatlantische Seeheimer Kreis, der entschlossen ist, den endgültigen Suizid der einst ältesten sozialistischen Partei Europas zu besiegeln.

    Diese SPD ist mit der Personalie Heiko Maas, den Dieter Dehm treffend als „Nato-Strichmännchen“ bezeichnet hat, mausetot – vor allem, wenn man denkt, wie diese Personalie zusammenkam.

    Zwar soll man nie vorschnell eine Korrelation für eine Kausalität halten, aber angesichts der nur noch geisterhaften Performance der deutschen Politik gibt es Korrelationen, bei denen jeder heute weiß, dass massive Lobbystrukturen sie kausal herbeigeführt haben.

    Nur zur Rekapitulation:
    Im November 2011 bringt der Atlantic Council eine Broschüre mit dem Titel „The Kremlin’s Troyan Horses“ heraus, der von der deutschen Politik fordert, eine Reihe solcher Politiker aus entscheidenden Positionen zu entfernen, die er bezichtigt, als „trojanische Pferde“ des Kremls die stramme transatlantische Waffenbrüderschaft zu gefährden.

    Unter diese Politiker fallen deren Meinung nach, ich zitiere einen Artikel des Handelsblatt-Journalisten Norbert Häring, folgende auf einer schwarze Liste genannten deutschen Politiker:

    „Bedeutsamer ist die Nennung der Personen, die der Atlantik Council zur Fünften Kolonne Putins erklärt, Tabelle 2 listet die „Key Pro-Russian Actors in Germany“ auf, die pro-russischen Schlüsselakteure in Deutschland. In den Parteien sind dies:

    SPD

    Sigmar Gabriel, Parteivorsitzender, Vizekanzler und Wirtschaftsminister
    Gerhard Schröder, Ex-Bundeskanzler
    Matthias Platzeck, ehem. SPD-Chef, Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums

    CDU

    Ronald Pofalla, ehem. Kanzleramtschef, Bahnvorstand, Vorsitzender des Petersburger Dialogs

    DIE LINKE

    Wolfgang Gehrcke, Mitgl. des Fraktionsvorstands und außenpol. Sprecher
    Andrej Hunko, MdB
    Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende

    AfD

    Alexander Gauland, Stellv. Sprecher
    Markus Frohmaier, Vorsitzender der AfD-Jugendorganisation

    Daneben sind noch einige bekannte und weniger bekannte Wirtschaftsführer genannt, die für ihre Unternehmen oder Verbände Kontakte mit Russland pflegen (u.a. Wolfgang Büchele, Klaus Mangold, Eckard Cordes), sowie Pegida-Gründer Lutz Bachmann und Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer.“
    http://norberthaering.de/de/27-german/news/715-atlantic-council

    Häring beobachtet danach, wie sich das transatlantische Gewitter über Gabriel zusammenbraut:
    „Im Mai 2016 berichtete die Zeit:

    „Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat sich für den schrittweisen Abbau der wegen der Ukraine-Krise verhängten Sanktionen gegen Russland ausgesprochen. „Wir wissen alle aus unserer Erfahrung, dass Isolation auf Dauer gar nichts bringt. Am Ende hilft nur Dialog“, sagte Gabriel am Rande des zweiten Russlandtags in Rostock.“

    Daraufhin setzte hektische Aktivität ein, die unter anderem zu baldigen Gründung eines Arbeitskreises von SPD-Mitgliedern gegen Gabriels Entspannungssignale gegenüber Russland führte. Doch Gabriel ließ sich nicht von seinem Kurs abbringen und flog im September zum Gespräch mit Putin nach Moskau, mit seiner noch einmal geäußerten Forderung nach schrittweiser Lockerung der Sanktionen gegen Russland im Gepäck.“
    http://norberthaering.de/de/27-german/news/768-gabriel-vs-schulz

    Die Reaktion erfolgte prompt – in der schon genannten Broschüre, die auch im Europa-Parlament kräftig diskutiert wurde:

    „Mitte November kam dann die ausführlichere Reaktion aus Washington, vom Atlantic Council, einem sehr einflussreichen Lobby-und Politikberatungsverein. In einer Studie wurde Gabriel an prominenter Stelle zu den Trojanischen Pferden, Einflussagenten und nützlichen Idioten Putins in Europa gezählt. Zu ihm und der SPD hieß es:

    „Heute jedoch unterstützt eine neue Generation innerhalb dieser Mainstream Partei eine Pro-Kreml-Politik, die oft in Gegensatz zur deutschen und EU-Politik steht. Der gegenwärtige SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel hinterfragt Merkels Position zur russischen Führung. (…) Außerdem hat Gabriel verschiedentlich in offiziellen Reden für die Beendigung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland argumentiert.“

    Die Argumentation der Studie, alles in einen Topf zu werfen und miteinander in Verbindung zu bringen, AfD, Front National, Ukip, SPD, was nicht bedingungslos für harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland ist, hatte die Welt in ihrem Kommentar bereits schön vorweggenommen.“ (Quelle: ebd.)

    Empfohlen als Kanzlerkandidat hatte der Atlantic Council stattdessen Martin Schulz. Zu dessen Entwicklung schreibt Häring:

    „Im März 2014 war er noch voll auf der Entspannungslinie seines Parteifreunds Gabriel und wollte das Ukraine-Krim-Problem mit Russland vor allem durch Gespräche lösen, nachzulesen etwa in einem Interview mit profil.at.

    Ein Jahr später war er schon voll auf Antirussenkurs eingeschwenkt und trommelte für Härte in den Sanktionsfrage und ganz im Sinne des Atlantic Council für äußerste Wachsamkeit an der Propagandafront:

    „Wir müssen uns dem Versuch Putins, die EU zu spalten und im Innern der EU Einfluss auszuüben, mit allen Mitteln entgegenstellen. Das geschlossene Auftreten der EU in der Sanktionsfrage ist in der Tat ein großer außenpolitischer Erfolg“,

    sagte er der Zeit. Bei dieser Linie blieb er. Kurz nach Gabriels Moskau-Reise, aber vor Erscheinen der Atlantic-Council-Studie, fuhr er seinem Parteifreund mit einem Interview mit dem Deutschlandfunk in die Parade, in dem er noch einmal betonte: „Wir müssen hart in unserer Gegenstrategie sein.““

    Die nun folgende Ersetzung von Gabriel durch Schulz als Kanzlerkandidat bei der nächsten Bundestagswahl, war jedoch kein Einzelfall, wie ein weiterer Artikel von Häring nachzeichnet:

    „Für keinen der Genannten lief es ab da karriere- und PR-mäßig gut. Bahn-Vorstand Pofalla scheiterte im folgenden Frühjahr mit der Ambition, Bahnchef Grube nachzufolgen, aufgrund mangelndem Rückhalts bei CDU und SPD, wie es in der Presse hieß. Linde-Chef Büchele kam nur zwei Wochen später seinem Rauswurf durch Rücktritt zuvor. Vorher hatte er seinen Platz auf der Schwarzen Liste des Atlantic Council gerechtfertigt, indem er in einem Gastkommentar im Handelsblatt am 21.11. unter dem Titel Zeit für Alternativen die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland forderte. Zeitgleich mit der Veröffentlichung der Liste der russischen Einflussagenten, steckte jemand der Presse, dass TUI-Aufsichtsratschef Mangold EU-Kommissar Öttinger im Privatjet zu einem Treffen mit Victor Oerban in Budapest mitgenommen hatte. Ein Jahr später kam Mangold in einem Tagesschau-Bericht zu den Paradise-Leaks auf unangenehme Weise groß heraus. Schröder und er bekamen die beiden längsten Einträge. Bei Mangold war das Vergehen, dass er Geschäfte mit dem russischen Milliardär Berezovsky gemacht hatte, der schon seit 2013 tot war.“
    http://norberthaering.de/de/27-german/news/970-gabriel-maas

    Übrigens – das unvermutete Karriereende traf noch einen weiteren Gegner der immerwährenden Konfrontationkampagnen: den ziemlich beliebten Handelsblatt-Chefredak Gabor Steinbart, der 2014 einen Aufsehen erregenden Artikel geschrieben hatte, indem er kritisierte, seit dem Coup auf dem Maidan seien der Blickwinkel deutscher Journalisten auf Schießschartengröße verengt. Nicht auf der geopolitisch-kriegerischen Mobilisierungsspur über die Ukraine gen Russland zu marschieren, die in Deutschland mit Paul Rohrbach, dem Alldeutschen Verband und Alfred Hugenberg eine immerhin schon über einhundertjährige Geschichte hat, wenn sie auch zum ersten Mal unter dem Banner von Stars and Stripes läuft, ist heutzutage in keiner Weise karrierefördernd.

    Wortwörtlich hatte der Atlantic Council, ergo eine Organisation, die Vorwürfe gegen Einmischung in demokratische Abläufe grundsätzlich gen Moskau senden, gefordert:

    „The transatlantic community must do more to defend its values and institutions. To that end, Western governments should encourage and fund investigative civil society groups and media that will work to shed light on the Kremlin’s dark networks. European Union member states should consider establishing counter-influence task forces, whose function would be to examine financial and political links between the Kremlin and domestic business and political groups. American and European intelligence agencies should coordinate their investigative efforts through better intelligence sharing.“ (Quelle: ebd.)

    Die stramme Einbindung auch der deutschen Presse nahm dann gleich die US-Zentrale zackig in die Hand:

    „Interessant auch, was man in der Einleitung erfährt, dass nämlich der Atlantic Council in diesen Fragen intensiv mit europäischen Journalisten, Aktivisten und Regierungsvertretern beraten hat, und dass er im September 2017 in Washington ein von der Nato gesponsertes „transatlantisches Forum“ namens StratCom DC abhielt, zu dem mehr als 100 dieser „Experten“ und Politiker aus fast jedem europäischen Land kamen. Man wüsste zu gern, wer diese Journalisten, Regierungsvertreter und Experten waren. Das erfährt man aber leider auch auf der Website von StratCom DC nicht. Dafür erfährt man in einem Video vom Stellvertretenden Nato-Generalsekretär Alexander Vershbow, dass Desinformation ein russisches Wort sei und Stalin die Desinformation erfunden habe.“
    http://norberthaering.de/de/27-german/news/972-maas-atlantic-council

    Und auch hier eine Ergänzung meinerseits: StratCom DC ist da keineswegs einsam darin, dafür zu sorgen, dass deutsche Journalisten auf Linie bleiben: Nicht nur gibt es, auf US-Initiative, eine europäische Entsprechung mit der East StratCom TaskForce, die mehrfach wöchentlich an europäische Zeitungsredaktionen Newsletter verschickt, welche Sicht auf die Welt als eine von bösen Russen eingehauchte, ergo Fake-News and „disinformation“ zu gelten habe und welche als unumstößliche transatlantische Wahrheit; sondern zusätzlich hat die Nato 24 sogenannte Nato-Exzellenz-Zentren aufgebaut, deren Arbeitsschwerpunkt bei der „Informationskriegsführung“ liegt – und zwar vornehmlich gegen die Bevölkerung von Nato-Staaten. Ich habe mich intensiv der mir nächsten dieser „Exzellenz-Zentren“ befasst und auf ihrer Website jährlich die Publikationen zu ihren Großkonferenzen herungergeladen – und zwar der JAPCC in Kalkar. Zu deren herbstlichen Konferenzen in Hessen werden regelmäßig 250 Journalisten und Politiker eingeladen, damit dafür gesorgt sind, dass sie, allzeit bereit, mit sicher am militärisch-hierarchischen Nato-Gängelband im Gleichschritt für die „Freiheit“ inforationskriegerisch publizieren. Die JAPCC ist auf den Kampfjournalismus für Nato-Luftkriege und den „Informationskrieg“ gegen Russland spezialisiert – und mit allen anderen „Nato-Exzellenzzentren“ engstens verbunden. Ich verlinke hier eine ihrer informationskriegerischen Broschüren.
    https://www.japcc.org/wp-content/uploads/JAPCC_MDCAAP_2017_screen.pdf

    Nun ist aber das Possenspiel noch nicht am Ende: Schulz kam bekanntlich beim Wähler nicht gut an – und er wurde kein Kanzler. Die SPD war auf 20,5% gefallen – das schlechteste Ergebnis ihrer Parteigeschichte. Aber noch ging Gabriel davon aus, Außenminister zu werden.

    Da aber hatte der Atlantic Council noch weiter gegen ihn aufgefahren – und auch die bestens transatlantisch vernetzten und entsprechend regelmäßig eingestielten Alphajournalisten (Krüger, Meinungsmacht 2014) gegen sich:

    „Gabriel war in seiner neuen Funktion als Außenminister ein transatlantisches Ärgernis geblieben. So schreib die Welt Ende November 2017 unter der Überschrift Gabriel kritisiert EU-Widerstand gegen Nord Stream 2 resümierend:

    Sigmar Gabriel nutzt als Außenminister jede Chance für einen Kontakt mit Russland. Beim vierten Besuch in diesem Jahr stärkt er den Investoren eines umstrittenen Erdgas-Projekts den Rücken.

    Durch Intrigenspiel kegelte Schulz den transatlantisch-unbotmäßigen Gabriel, aus dem Amt des Außenministers. Gabriel schlug mit einer öffentlichen Attacke gegen den aus seiner Sicht wortbrüchigen Schulz zurück und zog diesen mit hinunter ins politische Nirwana.

    Mit einer von der Nato finanzierten Broschüre mit dem Titel Democratic Defense Against Disinformation machte der Atlantic Council im Februar 2018 auf gar nicht subtile Weise deutlich, welcher deutsche Politiker das Vertrauen der „transatlantischen Gemeinschaft“ genießt und damit als Außenminister geeignet wäre. Dieser Politiker bekam als einziger ein Portraitfoto und sein NetzDG eine lobende Erwähnung als vorbildhafte Maßnahme im Kommunikationskampf gegen Russland. [Absatz am 15.4. eingefügt, mehr zu der Broschüre hier.]

    Anfang März wurde Heiko Maas schließlich zum neuen Außenminister auserkoren und er enttäuschte die in ihn gesetzten Erwartungen nicht. Schon nach wenigen Wochen im Amt war im Handelsblatt treffend zu lesen, dass mit ihm die SPD auf Distanz zu Moskau gehe:

    Schon in seiner Antrittsrede gab er das Signal, dass er aus den Fußstapfen seiner sozialdemokratischen Vorgänger Gabriel und Frank-Walter Steinmeier heraustreten will. Und das ausgerechnet in der für die SPD so heiklen Frage der Russlandpolitik. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern verfolgt Außenminister Maas einen kritischen Kurs gegenüber Russland – und erhält Unterstützung von aufstrebenden Kräften in der SPD.“
    http://norberthaering.de/de/27-german/news/970-gabriel-maas

    Heiko Maas hat sich an anderer Stelle noch deutlicher empfohlen: Er hat, kurz nach seiner Ernennung zum Außenminister öffentlich von sich gegeben, er sei nicht wegen der Ostpolitik Brandt und Bahrs und nicht wegen der Friedensbewegung der 80er in die SPD eingetreten.

    Nachdem mit diesem Mann die SPD, nachdem ihr sozialpolitischer Markenkern mit der Agenda 2010 pfutsch ist, ein für alle Mal auch den zweiten, die Friedens- und Ostpolitik aufgegeben hat, ist sie auf bis zu 13% auf Umfragen gefallen – und kommt grundsätzlich bei keinem Meinungsinstitut bei Sonntagsfragen auf mehr als 15%. Ein Ende der Talfahrt ist nicht abzusehen. Bereits alle namenhaften Zeitungen haben schon lauten Abgesang erklingen lassen, heute der Spiegel: im Artikel „SPD im Siechtum. The Walking Red“ von Christian Teevs.

    Aber wie die immer weiter in Ungnade fallenden und einen Abonennten nach den anderen verlierenden deutschen Leitmedien hat die SPD nicht vor, durch eine von vielen vielen Deutschen erhoffte Kurskorrektur vorzunehmen und sich dadurch vor dem sicheren Ende ihrer mehr als 150jährigen Parteigeschichte mit einem Sprung aus dem Morast zu retten.

    Was können wir daraus schließen? Dass die durch keine Wahl und keine Bürgermehrheit zu verändernden Lobbystrukturen, die in unserem Land wirksam sind, wenn auch ihr Zentrum hier nicht liegt, die eiserne Vermachtung aller repräsentativen Organe und Institutionen derart weit voran getrieben haben, dass die, die das Agenda-Setting betreiben, zunehmend noch nicht einmal mehr Wert darauf legen, dass der demokratische Anschein gewahrt wird. Gibt es überhaupt noch irgendeinen SPD-Politiker, der in unserem Staatsapparat aus einem anderen Grund sitzt, weil er vor dem Exodus seiner Partei noch die nötigen Jährchen für eine stattliche Pension zusammenbekommen will? Wo er die genießen will, steht in den Sternen. Die von dem gängigen Spinning-Personal für die deutsche Außenpolitik betriebenen „Russland-Analysen“ der Universität Bremen zitieren in der aktuellen Ausgabe Bundespolitiker, die davon ausgehen, dass es „unrealistisch“ sei, nicht nur den INF-Vertrag zu retten, sondern die volle Rückkehr der Verwandlung Deutschlands zu einem prospektiven nuklearen Schlachtfeld zum Wohle der US-Hegemonie durch Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen aufzuhalten. Dies in einer Situation, wo das Wahnsinnstrio Trump, Bolton und Pompeo über die Herrschaft über den roten Knopf verfügt und führende US-Generäle regelmäßig zum besten geben, dass in den nächsten zehn Jahren der nukleare Krieg gegen China und Russland unvermeidbar sei.

    Es würde mich nicht wundern, wenn unsere werte Nomenklatura schon Pensionsfonds in den US fürs Hauspersonal abgeschlossen hat und vielleicht, wie ihre Meister aus Washington darauf hofft, die USA blieben verschont wenn EU-Europa und Westrussland schon längst atomar verglüht sind.

    Dass das alles mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar ist, brauche ich wohl kaum erwähnen. Von unseren Grundrechten wissen wir seit 2013 (Snowden-Leaks), dass das Papier nicht wert ist, auf dem sie stehen. Ein schöner Text – der aber in Berlin keine Anghänger mehr haben dürfte – vor allem nicht die darin enthaltene Friedensverpflichtung der Politik nach Artikel 26 (1).

    Von daher, Herr Rahr, finde ich ihre Hoffnung ein wenig sehr naiv. Wenn wir uns nicht langsam ein Beispiel an den Franzosen nehmen und auf die Barrikaden gehen, sind wir Kanonenfutter mit äußerst kurzwährender Lebensdauer. 1983 haben wir mehr Glück als Verstand gehabt, dass der Kalte Krieg nicht heiß wurde. Noch einmal können wir darauf nicht hoffen.

    Hier die aktuellen „Russland-Analysen“ (deren Niveau zeigt wie „frei“ Forschung heute ist, die noch eine Rolle spielt. So „frei“ wie unsere „freie Presse“.)

  • comment-avatar
    Hans Georg Hubet 5 Jahren

    Merkel & Co. Als
    Minderheitsregierung
    stehen lassen Bis zur
    Nächsten Wahl.
    SPD als knallharte
    Opposition formieren.

    Dann wird sich Viel bewegen :
    In Richtung Antike Krieg.
    Zulauf an Wählern.

  • comment-avatar
    Horst Beger 5 Jahren

    „Dass die heutigen Konflikte zwischen dem Westen und Russland eindeutig auf Amerikas strategische Interessen und amerikanische Geopolitik zurückzuführen sind“, wie Alexander Rahr zu Recht feststellt, sollte eigentlich auch den SPD-Genossen bekannt sein. Um so unverständlicher ist es, dass die SPD den kritischen Kurs des Koalitionspartner gegenüber der russischen Intervention in Syrien und der Ukraine unreflektiert aufrechterhält und die Aufrüstung der Bundesrepublik und der NATO „wegen Russland“ mitträgt, wie unsere Verteidigungsministerin diese begründet.
    Und die Zurückhaltung der SPD gegenüber den osteuropäischen Nachbarstaaten in der EU wegen dem geheimen Hitler-Stalin Pakt ist ebenfalls unverständlich, weil es die geistigen Väter des heutigen Koalitionspartners von der CDU/CSU waren, die Hitler an die Macht gebracht und den Hitler-Stalin Pakt dadurch erst möglich gemacht haben, während die SPD damals die einzige Partei war, die gegen das berüchtigte Ermächtigungsgesetz gestimmt hat, das Hitler erst die uneingeschränkte Machtbefugnis gab.

  • comment-avatar
    Alexander Lieven 5 Jahren

    Hmm,

    so sehr man sich eine rationale, kontinentale Politk auch wünschen mag, in der SPD müssten zuerst die Neoliberalen entmachtet werden. Als bedeutender Waffenexporteur ist die Bundesrepublik auf Konfliktlagen angewiesen. Dies führt zu den bekannten Dilemmata. Siehe z. B. Frau Schwesig und Saudi Arabien. Friedenspolitik? Ja bitte! Aber mit dieser SPD?

    • comment-avatar
      Horst Beger 5 Jahren

      Aber die SPD wird wohl erst zur Besinnung kommen, wenn ihre Umfragewerte und Wahlergebnisse einstellig sind und der „Messdiener“ Heiko Maas die Rente durch hat; denn hinter dessen Russophobie verbirgt sich auch der seit Jahrhunderten bestehende Kulturkampf des westlichen (römischen) Christentums gegen das östliche (russische) Christentum, wie der amerikanische Politologe Samuel Huntington das in seinem „Kampf der Kulturen“ aufgezeigt hat, der auch die tiefere Ursache des Ukrainekonfliktes ist.