Zunehmende Ungleichheit und UnzufriedenheitSchneider, Dr. Lic. Eberhard bild © Schneider

Zunehmende Ungleichheit und Unzufriedenheit

Die staatliche „Nationale Forschungsuniversität. Hochschule für Wirtschaft“ in Moskau veröffentlichte am 6. November eine Studie ihres „Zentrums für Entwicklung“ über die Zunahme der sozialen Schichtung.[1] Laut der russischen statistischen Behörde ROSSTAT wird die soziale Ungleichheit, die sich 2017 seit 2006 auf ein Minimum reduziert hatte, 2019 wieder zunehmen. Im vergangenen Jahr fiel der Gini-Koeffizient, der die Einkommensschichtung der Gesellschaft widerspiegelt – er reicht von 0 (völlig gleichmäßige Verteilung) bis 1 (eine einzige Person besitzt das gesamte Vermögen) -, auf 0,41. Einer der Gründe dafür war die „Inflation für die Armen“, d.h. der Anstieg der Kosten für den Mindestverbraucherkorb erwies sich als niedriger als die allgemeine Inflation. Eine niedrige Inflation verringert die soziale Ungleichheit betont die Zentralbank in ihren „Hauptrichtlinien für die Geld- und Kreditpolitik bis 2021“.[2]

2019 wird die Stratifizierung der Immobilien zunehmen, die Inflation wird sich gemäß der Prognose des Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung bis auf 4,3 % bzw. der Zentralbank bis auf 5 % und höher beschleunigen, und das Lohnwachstum wird sich verlangsamen. Die Leiterin des Labors des „Instituts für Sozialanalyse und Prognostizierung“ der „Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst beim Präsidenten der Russischen Föderation“, Jelena Awraamowa, bestätigte, dass es keine Voraussetzungen gibt, um die Ungleichheit zu verringern. Es gehe nicht um die Inflation, welche die 10 % der reichsten Russen überhaupt nicht betrifft, sondern um die 25 % der Bevölkerung, die nichts haben, um ihr Einkommen vermehren zu können. Die versprochene Indexierung der Renten von nicht erwerbstätigen Rentnern um 1.000 Rubel (13 €) könne die Zunahme der Ungleichheit etwas bremsen. Doch die Entscheidungen der Regierung seien widersprüchlich: die Behörden erklären ihre Absicht, die Armut zu reduzieren, erhöhen aber gleichzeitig die Mehrwertsteuer und das Renteneintrittsalter. Die Direktorin des „Instituts für Sozialpolitik“ der „Nationalen Forschungsuniversität. Hochschule für Wirtschaft“, Lilija Owtscharowa, fordert die Erhöhung der Wirksamkeit der Unterstützung der Arbeitslosen und die Beschleunigung des Wirtschaftswachstums.

Der Chef des russischen Rechnungshofes, Alexander Kudrin, stellte in seiner Rede am 26. November auf dem internationalen Forum „Wie man in die TOP Fünf kommt“ fest, dass die Hauptbremse bezüglich des Wirtschaftswachstums die niedrige Qualität der staatlichen Verwaltung ist, die unter der Unabänderlichkeit der Macht und dem Mangel an politischer Konkurrenz leidet.[3] Wladimir Putin hatte nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten im Mai dieses Jahres in seinem Erlass die Aufgabe gestellt, Russland zur fünfgrößten Volkswirtschaft der Welt zu machen. Stattdessen fiel das Land laut Kudrin „in eine beispiellos stagnierende Grube, aus der die Wirtschaft zehn Jahre lang nicht herauskommen kann“.

Am 22. November veröffentlichte das Moskauer Meinungsforschungsinstitut Lewada-Zentrum die Ergebnisse einer repräsentativen Meinungsumfrage vom 18. bis 24. Oktober unter 1.600 Personen über 18 Jahren unter der städtischen und ländlichen Bevölkerung in 136 Orten in 52 Regionen.[4] Auf die Frage, wen sie bei der Präsidentenwahl, wenn diese am kommenden Sonntag stattfinden würde, wählen würden, antworteten 56 % Wladimir Putin (Oktober 2017 66 %). Auf die Frage, ob Putin für die im Lande bestehenden Probleme verantwortlich ist, antworteten 61 % (im Oktober 2017 55 %) in vollem Maße ja und 22 % bis zu einem gewissen Grad. Diese Werte zeigen, dass die Bevölkerung einen erheblichen Teil ihrer Unzufriedenheit Putin anlastet.

Laut einer Befragung von 1.600 Personen über 18 Jahren am 23. Oktober durch das Moskauer Meinungsforschungsinstitut WZIOM meinten 30 % der Befragten, dass sich Russland in die richtige Richtung entwickelt (Oktober 2017 46 %).[5] Nur 13 % schätzen die wirtschaftliche Lage des Landes als sehr gut ein (Oktober 2017 17 %). Lediglich 25 % meinen, dass sie in einem Jahr besser leben werden (Oktober 2017 33 %).

[1]              https://dcenter.hse.ru/mirror/pubs/share//direct/227476855

[2]              https://www.vedomosti.ru/economics/articles/2018/11/07/785829-sotsialnogo-rassloeniya

[3]              http://www.ng.ru/economics/2018-11-27/1_7449_crisis.html

[4]              https://www.levada.ru/2018/11/22/19281/

[5]              https://wciom.ru/index.php?id=236&uid=9430

COMMENTS

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    Aus Gesprächen und schriftlicher Kommunikation mit Russen weiß ich, dass eine Unzufriedenheit vieler über die an den Interessen der Oligarchen orientierte Sozial- und Wirtschaftspolitik besteht, während die Außenpolitik Putins allenfalls in der Hinsicht kritisiert wird, dass sie gegenüber der Aggression von USA und Nato zu nachgiebig und kompromisslerisch sei.

    Die an Eliten orientierte extrem neoliberale Politik Russlands sehen sie einmal in den 90ern begründet, durch Jelzins Hörigkeit gegenüber den US-Einflüsterern aus dem Umkreis des Chikagoboy-Kaptialismus, andererseits geprägt von der spezifischen mafiösen Mentalität einer skrupellosen Klientel schamloser Gewinnler einer chaotischen Privatisierung.Im Prinzip meinen die Russen, sie hätten, was wir seit den 90ern hätten, nur noch viel ruchloser und grenzenloser.

    Es ist, trotz der Enttäuschung über das Verhalten der deutschen Regierung nach 2014, noch eine Hoffnung bei ihnen da, dass Deutschland sich von den USA emanzipieren könnte, um als Modernitätspartner auf Augenhöhe in wirtschaftlicher Hinsicht einen positiven Impuls geben zu können. Auch wird Deutschen geglaubt, dass sie die Konfrontation nicht wollen.

    Im Ganzen meinen viele Russen, Russland hätte seine endgültige Form noch nicht gefunden. Den USA wird misstraut. Es gibt Modernisierungswünsche, jedoch auch ein Bedürfnis nach einer sozialen Sicherheit und Egalität, wie sie in den 70er Jahren in der Sowjetunion vorherrschte. Einige betonen die Bedeutung der Orthodoxie und die Spirtualität Russland, während die eher urbanen Russen dem nicht sonderlich viel Bedeutung in politischer Hinsicht zumessen.

    Beruhigend finde ich, dass zwar nicht das politische Deutschland, aber immer noch die Deutschen als positiv gesehen werden. Hier macht viele das permanente Russland-Bashing fassungslos – und auch dort wollen die meisten, dass die von den USA erzwungene Konfrontation aufhört. Sie verhindert er positive Veränderungen, als sie sie ermöglicht. Und wenn die USA auf ein Zusammenkrachen Russlands hoffen, so ist den meisten klar, dass das eine geopolitische Erschütterung wäre, die für die Russen und für uns eine Katastrophe wäre.