von Leo Ensel. Vokabelkritik ist zu Kriegszeiten das Gebot der Stunde. Ich veröffentliche in unregelmäßigen Abständen eine Sammlung teils verharmlosender, teils lügenhafter Wörter oder Formulierungen, deren Sinn und Funktion es ist, unsere Gesellschaft – uns alle – möglichst geräuschlos in Richtung „Kriegstüchtigkeit“ umzukrempeln.
„Je stärker Deutschland dient, umso größer ist seine Rolle“, biederte sich mit der ihm eigenen prätentiösen Bescheidenheit der damalige Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck wenige Tage nach Kriegbeginn, am 1. März 2022, beim Großen Bruder in Washington an. Die „Bereitschaft, eine dienende Führungsrolle auszuüben“, verkündete er fröhlich, werde in der US-Hauptstadt erfreut zur Kenntnis genommen. Die Hoffnung und Erwartung sei, dass mit der Bereitschaft zu höheren Militärausgaben und zu Waffenlieferungen in die Ukraine auch die Bereitschaft zu mehr Verantwortung innerhalb der Nato verbunden sei. „Und das ist ja auch der Plan.“ Und weil das so schön geklappt hatte, legte er am 11. Januar 2025 als – „Ein Mensch, ein Wort“ – Kanzlerkandidat der GRÜNEN gegenüber der FAZ nochmal nach: „Deutschland muss in Europa eine dienende Führung übernehmen, um den eigenen deutschen, europäischen Weg der liberalen Demokratie zu verteidigen.“ Anderenfalls – und nun holte er für einen kurzen Moment den Knüppel aus dem Sack – sehe er „eine immer stärkere Verführungskraft autoritärer Ansprachen, an denen immer mehr Leute in Deutschland Gefallen zu haben scheinen.“ – „Dienende Führung“… Klingt – wie alles vom Philosophen auf dem Ministerthron – edel, fast demütig. Leider steckt der Widerspruch schon im Begriff: Wer führt, dient nicht. Und wer dient, führt nicht. Die wichtigste Frage aber: Wer führt wen, um wem zu dienen? Kurz: Macht wird mit Moral parfümiert. Führung im Tarnanzug der Bescheidenheit – ganz ohne hässlichen Herrschaftsbeigeschmack. Mit einem Wort: ein klassischer Habeck!
Diktator zu Gast bei Freunden
Allerneueste Apostrophierung des russischen Präsidenten Wladimir Putin durch den Deutschlandfunk, nachdem die Synonyme „russischer Machthaber“, „Kreml-Chef“ sowie der – einen halben Tag zuvor ebenfalls vom DLF noch in die Welt gesetzte – „russische Widerpart“ schon wieder zu ausgeleiert waren. „Der Diktator zu Gast bei Freunden, den Eindruck konnte man schon bekommen bei Putins Treffen mit Trump in Alaska. Dem russischen Kriegstreiber wird der rote Teppich ausgerollt, Trump klatscht bei seiner Ankunft, dann verschwinden beide im ‚Beast‘ – in der Staatslimousine des US-Präsidenten.“ So die Anmoderation der Sendung „Information und Musik“ von Manfred Götzke am Sonntag, den 17. August 2025 im gebührenfinanzierten DLF. (By the way: Die „Bestie“ im ‚Beast‘…)
„Übrigens: die ukrainische Armee hat auch diesen russischen Angriff zurückgeschlagen und Hunderte Russen zu Dünger gemacht. Das ukrainische Volk wird diesen Krieg auch ohne uns gewinnen. Aber dann heult nicht rum, wenn die ganze freie Welt euch Feiglinge und unser Land verachtet.“ So BILD-Reporter Julian Röpcke in dankenswerter Offenheit in einem (mittlerweile verschämt gelöschten) Tweet vom 5. November 2022. Die frohe Botschaft: Völlig unnütz scheinen für den Spitzenjournalisten selbst russische Soldaten nicht zu sein! (Vorausgesetzt, sie sind tot.) – Übrigens hat Röpke für die von ihm so enthusiastisch gefeierte „Vermüllung des Menschen“ (Günther Anders) bekannte Vorbilder. Damals war es allerdings nicht – in erster Linie – „Dünger“, der aus Menschen produziert wurde, sondern Seife!
eindringen
„Polen hat nach eigenen Angaben Drohnen über seinem Staatsgebiet abgeschossen. Nach Angaben des polnischen Militärkommandos waren die Drohnen bei russischen Angriffen auf die benachbarte Ukraine in den polnischen Luftraum eingedrungen“, meldete der Deutschlandfunk am Morgen des 10. September 2025. Um dann kurz darauf fortzufahren: „Polen ist in erhöhter Alarmbereitschaft, seit im Jahr 2022 eine verirrte ukrainische Rakete in einem Dorf im Süden des Landes einschlug und zwei Menschen tötete.“ – Merke: Russen „dringen ein“, Ukrainer „verirren sich“.
eine der schlimmsten Kriegstreiberinnen im Lande
Ist laut George Orwell, ähh: Anton Hofreiter, Sahra Wagenknecht. Und zwar – Logik muss sein! – weil sie „den Kriegsverbrecher Putin immer wieder ermutigt, diesen Krieg fortzusetzen“. (vgl. „menschgewordener Hitler-Stalin-Pakt“)
„Wir schalten bei der Verteidigung einen Gang hoch“, verkündete stolz EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 17. Februar 2025 auf der Münchner Sicherheitskonferenz. – Was in der Fahrstunde als beherzte Beschleunigung gilt, wird im geopolitischen Kontext zum diskursiven Drehmoment der Aufrüstung. „Einen Gang hochschalten“, das klingt effizient, entschlossen, dynamisch. Als ginge es um ein Getriebe, nicht um die Eskalation eines Krieges. Keine Rede mehr von Diplomatie, Deeskalation oder Friedenslogik! Hier wird der Krieg zur gut geschmierten Maschinerie, die nur noch etwas schneller laufen muss, um zu „gewinnen“. Kurz: Der Krieg als Automatikgetriebe. Und niemand fragt mehr, ob man auch mal bremsen könnte…
„Wir müssen das aber tun, wenn wir als die Macht, die wir sind – eine Führungsmacht, großes wirtschaftliches Land; für unseren eigenen Frieden sozusagen auch besorgt –, wenn wir damit eintreten wollen.“ So Oberst a.D. und (natürlich!) Militärexperte, Ralph Thiele am 20. August 2025 in einem Live-Interview mit dem Nachrichtensender ntv aus dem Urlaubshotel in Siena. Er legte sofort noch einen drauf: „Wir müssen da eintreten, wir können da nicht kneifen, und das wird jetzt ganz spannend, zu sehen, wie die Debatte läuft.“ – Was war gemeint? Wo und womit sollen „wir“ „eintreten“ („wollen“ und „müssen“)? Natürlich mal wieder in die Ukraine. Wurde auch mal Zeit nach über acht Jahrzehnten. Dieses Mal selbstverständlich mit „Friedenstruppen“!
Der NATO und der Bundeswehr. Ziele, um den Feind kampfunfähig zu machen. Die werden nun überall definiert und immer „schnellstmöglich“ angestrebt. Sozusagen die Operationalisierung der zu verwirklichenden Kriegsfähig-, nein: -tüchtigkeit! (vgl. „Adaptions-“, „Anpassungs-“, „Aufwuchs-“, „Durchhalte-“ und alle sonstigen Fähigkeiten – die „Fähigkeitspakete“ nicht zu vergessen!)
Bedeutet, wie Kanzler Orwell, sorry: Merz!, am 24. Juni 2025 kurz vor dem Brüssler NATO-Gipfel im Bundestag verlauten ließ, „die Sprache der Stärke“ zu sprechen. Denn: Der russische Präsident versteht ja bekanntlich nur ebendiese. Die messerscharfe Merz‘sche Conclusio: „Darum heißt Friedensarbeit jetzt, auch in dieser Sprache zu sprechen.“
Die übernahm schon mal – natürlich ohne Führungsanspruch – Kanzler Merz, der in bester deutscher Tradition die Bundeswehr zur „stärksten konventionellen Armee Europas“ machen will, bei der Durchsetzung des berühmt-berüchtigten „Fünf Prozent-Ziels“ auf dem letzten NATO-Gipfel: „Wir haben mit dieser Entscheidung auch eine gewisse Führungsrolle übernommen, der andere gefolgt sind.“ – Wie hieß das noch vor ein paar Jahrzehnten? „Führer befiel, wir …!“
„We all know, that the future of Europe, yes, is being written on the frontline in Ukraine. But not only. It is also beeing written in your factories“, begrüßte eine strahlende Ursula von der Leyen am 24. Juni 2025 auf das Herzlichste Generalsekretär („Dear Mark“) Rutte sowie Vertreter der Rüstungsindustrie auf dem „Defense Industry Forum“ im Rahmen des NATO-Gipfels in Den Haag.Und dann ließ die EU-Kommissionsvorsitzende die Katze aus dem Sack: „You‘re adapting to the new reality of a full-scale war, right here on European soil.“ („Sie stellen sich auf die neue Realität eines vollumfänglichen Krieges hier auf europäischem Boden ein.“) – Man halte für einen Moment inne und lasse sich das auf der Zunge zergehen: Nicht etwa um die Ukraine geht es hier – that‘s long away in the past! – und auch nicht nur, was wahrhaftig schon alarmierend genug wäre, um irgendeinen Krieg in Europa. Nein es ist nichts weniger als ein „full-scale“, also ein vollumfänglicher Krieg „right here on European soil“, der – man traut seinen Ohren nicht – nicht etwa gerade noch rechtzeitig mit aller Macht verhindert werden muss, sondern bereits Realität ist! So redet man strahlend Kriege herbei, die in Wirklichkeit (noch) nicht Realität sind. (vgl. „Noch nicht Krieg, aber auch nicht Frieden“, „Wir sind im Krieg gegen Russland“)
Gamechanger
Ein Begriff aus dem Arsenal der neuen Kriegsrhetorik – modern, technikverliebt, fast schon sexy. Ursprünglich aus der Welt der Business-Strategen und Start-ups stammend, macht er nun im ‚sicherheitspolitischen‘ Diskurs seine eigentliche Karriere: als Bezeichnung für Waffensysteme, die das „Spiel“ – und jedesmal endgültig – wenden sollen. Dass es sich bei dem „Game“ tatsächlich um Krieg handelt, bleibt nahezu unsichtbar – was es ja auch soll! (Bezeichnenderweise ähneln Kriegssimulation und reale Kriegsführung – beide via Joystick – einander mittlerweile bis zur Deckungsgleichheit. Nur dass im zweiten Falle real gestorben wird. In Echtzeit. Durch Menschenklick, ohne Blickkontakt.) Nicht zufällig nannte Zbigniew Brzeziński 1997 sein geopolitisches Standardwerk „The Grand Chessboard“ – das große Schachbrett. Was auf diesem Brett steht, sind Staaten. Was fällt, sind nicht ‚Bauern‘, sondern Menschen. Und was zählt, ist der nächste „Zug“. (Der die entscheidende – und erhoffte – Wende dann doch nicht bringt…) – Im Ukrainekrieg waren das der Reihe nach: Helme, Javelin-Panzerabwehrraketen, Bayraktar-Drohnen, HIMARS-Raketen, Storm Shadow-Marschflugkörper, Leopard 2-Panzer, Patriot-Luftabwehrsysteme, ATACMS-Mittelstreckenraketen – deutsche Taurus-Marschflugkörper wurden bis heute nie definitiv ausgeschlossen. Das Ergebnis blieb – bislang – immer das Gleiche. Grund genug für unsere Politiker und Militärs, auf diesem ‚Weg der Wunderwaffen‘ beherzt weiterzugehen!
Es brauche eine „Gedankenwende, sowohl in der Gesellschaft als auch und vor allem in der Bundeswehr“, so der Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer im Februar 2024 zur Welt am Sonntag. Und fügte hinzu: „Weil ich Militär bin, sage ich: In fünf Jahren müssen wir kriegstüchtig sein.“ Dazu die Publizistin Daniela Dahn: „Die gedankliche Gewöhnung an einen kommenden Krieg wird flächendeckend vorbereitet. Der in fünf Jahren vorausgesagte Krieg kann angeblich nur noch durch seine intensive Planung verhindert werden.“ – „Gedankenwende“: mentales Pendant zur „Zeitenwende“. Während letztere das politische Narrativ aufrüstet, sorgt die Gedankenwende dafür, dass die Köpfe sie verinnerlichen. Aus der Friedensdividende wird eine Denkdividende im Dienste der Rüstungsindustrie. Verwendet vor allem in Debatten, die die „kulturelle Umprogrammierung“ proklamieren: Der unmerkliche Switch vom Nachkriegs- zum Vorkriegsdeutschland. (vgl. „Mentalitätswechsel“, „Mindset“)
gestorben
Sind laut Tagesschau vom 11.08.2025 „im Krieg Israels gegen die Terrororganisation Hamas bisher nach UN-Angaben mehr als 240 Journalisten“. Man geht wohl nicht Unrecht in der Annahme, dass sie getötet wurden.
Grand Chessboard
Geopolitisches Standardwerk des ehemaligen US-Sicherheitsberaters Zbigniew Brzeziński (1997), um nach dem „gewonnenen Kalten Krieg“ die USA nun auf alle Ewigkeit zur „Einzigen Weltmacht“ zu etablieren. Zugleich das grundehrliche Bild für eine Weltsicht, in der Staaten zu Figuren und Menschen zu Kollateralschäden werden. Die Metapher wurde nie widerrufen. Nur präzisiert – via „militärische Spezialoperationen“: vom ehemaligen Jugoslawien über Irak, Libyen und Syrien bis jüngst in die iranische Wüste. (Und via Undercover seit über einem Jahrzehnt in der Ukraine.)
Bedeutet nicht nur: Mehr GRÜNE in die Armee, sondern die Zeitenwende der westlich-woken Armeen von Oliv- zu Blattgrün. (Und bei den Mitgliedern der betreffenden Partei vice versa.) Angestrebt: Nachhaltige Armeen für den klimaneutralen Atomkrieg.
(wird fortgesetzt)
Erstveröffentlichung bei globalbridge.ch
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