2054: Putin decodiertRahr, Prof. Alexander © russlandkontrovers

2054: Putin decodiert

Anlässlich seines in Kürze erscheinenden Buches 2054: Putin decodiert hat russland.NEWS Herrn Professor Rahr einige Fragen gestellt.

Frage: Herr Professor Rahr, als hierzulande bekannter Osteuropahistoriker werden Sie mit der Veröffentlichung eines für Sie untypischen Buches alle überraschen. Statt Ihrer bekannten Analysen, bieten Sie der Öffentlichkeit nun einen Politthriller aus Ihrer Feder an. 2054: Putin decodiert, heißt Ihr in den nächsten Tagen im Verlag Das Neue Berlin erscheinendes Werk über Russland. Was hat Sie bewogen, das Metier zu wechseln? 

Rahr: In der Politikwissenschaft habe ich, ehrlich gesagt, in den letzten 25 Jahren all mein Fachwissen ausgeschüttet, insgesamt neun Bücher veröffentlicht. Und jedes Mal musste ich als renommierter Experte mich richtigerweise an wissenschaftliche Kriterien halten, den Leser mit Nachweisen und Fußnoten strapazieren, ansonsten hätte ich mich disqualifiziert. Trotzdem bin ich von den Medien als Russland- oder Putinversteher verschrien worden. Die Kritik hat mich tief berührt, denn sie war ungerecht. Ich sagte mir: ich werde einen Roman schreiben, wo ich mein breites Fachwissen zu Russland und Insider-Kenntnisse freier mitteile, also in Prosa kleide. Erstens gelingt mir damit eine leichtere und unterhaltsamere Leserkost. Zweitens entfliehe ich somit den strengen Auflagen der Wissenschaftsliteratur, kann die vielfältigen Facetten der Entwicklung Russlands in ihrer gesamten Bandbreite schildern.

Frage: Der Leser wird beim schrillen Titel sofort stutzig. Warum wird Putin erst 2054 enträtselt? Und zum Wort „decodiert“ die Frage: Welche unbekannten Geheimnisse aus dem Leben Putins wollen Sie aufdecken?

Rahr: Meine Erzählung beginnt mitten im Kalten Krieg. Ein russischer Politemigrant wird in eine Militärfestung nach Südfrankreich gebracht, wo er erfährt, dass die Russen über bestimmtes Zukunftswissen verfügen, das sie strategisch gegen den Westen einsetzen könnten. Später stellt sich heraus, dass russische Geheimdienste herausgefunden haben, wie die Welt 2054 aussehen wird. Ich habe diese Intrige erfunden, damit ich im Buch über die Zukunft der Weltordnung, Europas und Russlands besser spekulieren kann. Der Leser wird die Spannung genießen. Er nimmt teil an einer Jagd nach dem mutmaßlichen Herrschaftswissen. Ein geheimer russischer Kreis von der „Eurasiern“ versucht Russland wieder zur Weltmacht zu führen. Der Westen versucht Russland einzudämmen. Doch, wie wir gerade seit 2017 erleben, fängt die Weltordnung an zu bröckeln. Trump, Brexit, Migrationskrise, der Zerfall der Nahen Ostens führen zum globalen Chaos. Russlands Positionierung bezüglich der neuen Weltordnung wird im Buch akribisch aufgearbeitet, sozusagen für den Leser decodiert. Es geht nicht ausschließlich um Putin.

Frage: In mehreren Kapiteln laden Sie den Leser ein, auf Zeitreise zu gehen, katapultieren ihn in das Spätmittelalter, den Beginn der Aufklärung, und dann wieder zurück. Was bezwecken Sie damit?

Rahr: Ich vergleiche zwei wichtige Epochen der russischen Geschichte – die Ära Putin mit derjenigen Iwan des Schrecklichen. Beide, Putin und Iwan, standen vor der historischen Aufgabe, ein neues starkes Russland zu schaffen. Als Historiker habe ich mich intensiv mit der russischen Entwicklung im 16. Jahrhundert befasst. Glauben Sie mir, Sie werden fasziniert sein von den Parallelen. Iwans Russland suchte den Weg nach Europa, doch Europa verhängte Sanktionen gegen das aufstrebende Land, weil es Moskau als Konkurrent betrachtete und nur an russischen Rohstoffen interessiert war. Nehmen Sie zudem den heutigen Wertekonflikt zwischen Russland und dem Westen. Er hat seinen Ursprung im 16. Jahrhundert, als sich de westeuropäische Katholizismus und das östliche orthodoxe Christentum um die wahre europäische Weltanschauung stritten. Oder nehmen Sie die Renaissance, die damals begann. In Westeuropa begann sich der Mensch langsam von der Obhut von Staat und Kirche zu befreien. In Russland dagegen wurde in dieser Zeit der Staat erst erschaffen, dann jahrhundertelang gefestigt. Völlig andere Entwicklungsstadien – völlig andere Weltanschauungen.

Frage: Das Russland Iwan des Schrecklichen brach bekanntlich zusammen. Das Reich durchlebte 16 Jahre lang die Zeit der Wirren, aus heutiger Sicht – einen Bürgerkrieg, die polnische Besetzung Moskaus. Vergleichen Sie etwa die Charaktere der beiden Herrscher Putin und Iwan?

Rahr: Gott behüte. Putin wird die Fehler Iwan des Schrecklichen niemals wiederholen.
Er ist ein weitaus größerer Stratege. Im Buch schildere ich Schritt für Schritt seine Innen- und Außenpolitik, die von langer Hand geplant ist. Mehr will ich hier nicht verraten, nur, dass ein mysteriöser Wahrsager Iwan den Zerfall Russlands für 1605 voraussagt. Bei Putin ist es umgekehrt. Er weiß, dass Russland unter seiner Ägide wieder in die erste Liga der Weltpolitik zurückkehrt.

Frage: Wie schildern Sie in Ihrem Buch den heutigen Konflikt zwischen Russland und dem Westen? Wie meinen Sie, wird er ausgehen?

Rahr: Seien wir ehrlich. Wäre der Westen nach dem Terrorangriff auf die USA am 11. September 2001 auf Russlands Vorschläge einer gemeinsamen Sicherheitsordnung von Vancouver bis Wladiwostok eingegangen, gebe es heute ein strategisches Bündnis zwischen der NATO und der Eurasischen Union. Doch für den Westen blieb Russland auch nach dem Ende des Kommunismus ein Gegner. In meinem Buch kämpft ein deutscher Politologe gegen die Ignoranz des Westens gegenüber Russland an. Der Held gerät in einen Strudel spannender Ereignisse. In Deutschland tobt derweil ein Streit zwischen Russlandverstehern und Russlandkritikern. 2014 bricht zwischen West und Ost ein hybrider Krieg aus. Der Kampf um die Ukraine bietet den Höhepunkt der Handlung des Buches. Think-Tanks, Medien, Parteien, diverse transatlantische Strukturen und natürlich die Geheimdienste kämpfen alle um die Deutungshoheit in der Weltpolitik. Danach erschüttert Trump die Grundfeste der globalen Weltordnung. Die EU leidet, Russland und China schließen sich zu einem anti-NATO Block zusammen. Aber es geht noch weiter….

Frage: Welche Erwartungen haben Sie an den Leser?

Rahr: Dass die komplizierten Zusammenhänge um Russland besser verstanden werden. Ich verpacke mein über viele Jahre erworbenes Fachwissen und Informationen über Russland aus erster Hand in eine teils realistische, teils phantasievolle Erzählung, die dem Leser auf komplizierte politische Zusammenhänge unserer Ära die Augen anders öffnet. Ich will zum Nachdenken und Überdenken festgefahrener Positionen anregen.

[Das Interview führte Hanns-Martin Wietek/russland.NEWS]

Alexander Rahr
2054 – Putin decodiert
Politthriller
400 Seiten,
erscheint 18. September 2018
Buch 24,– €

ISBN 978-3-360-01341-5

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