ABENDE AUF EINEM BAUERNHOF BEI POLTAWA

ABENDE AUF EINEM BAUERNHOF BEI POLTAWA

Ein schreckliches Virus hat sich in der Ukraine angesiedelt – ein Virus des Hasses.

Der große russische Schriftsteller Nikolai Gogol, geboren in der ukrainischen Provinz Poltawa, faszinierte 1831 und 1832 die literarische Gemeinde von St. Petersburg mit zwei Erzählbänden unter dem Titel „Abende auf einem Bauernhof bei Dikanka“. Gogol eröffnete der nördlichen Hauptstadt eine völlig andere Welt – eine Welt sonniger, fröhlicher, alltäglicher Menschen, in der die Realität unfreiwillig mit der Fantasie des Autors durchsetzt war. Alexander Puschkin schrieb über dieses Buch: „Jetzt habe ich Abende in der Nähe von Dikanka gelesen. Sie haben mich begeistert. Hier ist echte Heiterkeit, aufrichtig, entspannt, ohne Affektiertheit, ohne Steifheit. Und hier und da, welche Poesie… Es ist alles so außergewöhnlich in unserer aktuellen Literatur, dass ich noch nicht zur Besinnung gekommen bin…“[1]. Ehrlich gesagt, nachdem ich diese Bücher in meiner Jugend gelesen hatte, lebte auch ich mit Gogols Vorstellungen über diese Orte. Ich wollte unbedingt dorthin gehen.

Jetzt will ich nicht mehr. Weil es abstoßend ist. Es ist peinlich für die Menschen. Ich konnte nicht glauben, dass so etwas passieren könnte. Aber es ist so. Es geschieht. Plötzlich stellt sich heraus, dass keine Spur von Gogols fröhlichen Menschen geblieben ist, die dort im 17., 18. und 19. Jahrhundert lebten. Die Menschen sind ins ferne Mittelalter gestürzt. Noch weiter sogar. Klar, alles hat sich um uns herum verändert: neue Städte, Computer, iPhones, Smartphones, Raketen, Roboter und andere Errungenschaften der technischen Zivilisation. Aber sobald es einmal eine nicht standardisierte Situation gibt, taucht wie aus den Tiefen des menschlichen Unterbewusstseins plötzlich mittelalterlicher Obskurantismus auf. Nicht bei allen, natürlich, nicht bei allen. Um Menschen wieder in die Zeit vor mehreren Jahrhunderten zurückzubringen, müssen bestimmte Bedingungen hergestellt werden, ist es notwendig,  den Menschen durch langfristige Propaganda zu vergiften, ist es notwendig, ihm die Idee von Gut und Böse zu nehmen. Letztlich muss man ihn davon überzeugen, dass das Leben eines anderen Menschen nichts wert ist.

Ein Unglück ist über die Menschheit hereingebrochen. In der chinesischen Stadt Wuhan ist ein Herd eines bisher unbekannten Virus namens „Coronavirus“ aufgetaucht. In China sind bereits viele Menschen gestorben. Sehr viel mehr Menschen haben sich allerdings erholt. Trotz allem leben wir im 21. Jahrhundert, und die Medizin hat etwas gelernt. Zumindest hat man gelernt, Menschen zu untersuchen und herauszufinden, ob sie gesund oder krank sind. So sind nun 72 Menschen, die von den chinesischen Ärzten als absolut gesund anerkannt wurden, mit dem Flugzeug in die Ukraine zurückgeflogen. Aber dann geschah das Folgende: Das Flugzeug drehte 35 Kreise über der Ukraine, weil kein Flughafen dieses Landes es aufnehmen wollte. Schließlich nahm das russischsprachige Charkiw, die von der langen Reise erschöpften Menschen auf. Danach musste jedoch ein Ort gefunden werden, an dem die Menschen eine 14-tägige Quarantäne durchlaufen könnten. Städte und Gemeinden in der Westukraine waren die ersten, die sich auflehnten. In der Region Lviv verbarrikadierten Ärzte die Zufahrten zu den Krankenhäusern mit brennenden Autoreifen, so dass keine Busse durchkommen konnten. In einem der Krankenhäuser, als sich herausstellte, dass doch niemand dorthin gebracht werden würde, sangen erfreute Ärzte und Patienten feierlich die Hymne der Ukraine. Kurz gesagt, alle weigerten sich, ihre Landsleute, wie sie Ukrainer, GESUNDE (!) Menschen, zu akzeptieren.

Schließlich stiegen 72 Menschen, die nichts verstanden, darunter nicht nur Bürger der Ukraine, sondern auch Ausländer, in Busse und wurden in die Heimat von Mykola Gogol gebracht – in die Region Poltawa, in das Dorf Novi Sanschary, wo sich das Sanatorium „Medobory“ befindet. In diesem Sanatorium sollten die Menschen 14 Tage lang unter Quarantäne gestellt werden. Kurz vor Anbruch der Nacht, als die Busse im Dorf ankamen, sahen die Fahrgäste eine große Menschenmenge und meinten, dass sie feierlich begrüßt würden. Stattdessen flogen Steine  gegen Bus. Die wütende Menge wollte die Busse mit den GESUNDEN Menschen nicht in das Dorf lassen. Autoreifen begannen zu brennen. Man versuchte, die Busse in Brand zu setzen. Es gab Auseinandersetzungen mit der Polizei. Es gab Verletzte. Aber das Schlimmste war das, was die Menschen in Novi Sanschary schrien. Sie schrien, dass man das Flugzeug mit den Evakuierten in der Luft hätte abschießen sollen.  Sie drohten, das Sanatorium Medobory mit den Menschen niederzubrennen. Einige schlugen vor, sie wieder in das Flugzeug zu laden und wie Bomben auf den Donbass abzuwerfen. Es gab viele andere Vorschläge. Schließlich brachen die Busse trotzdem zum Sanatorium durch, das im Übrigen, in keiner Weise vorbereitet war, Menschen aufzunehmen.

Zufällig fiel dieses Ereignis mit der Feier des Jahrestages des oligarchischen Putsches zusammen, der aus irgendeinem Grund als Revolution der Würde bezeichnet wird. Der berühmte Journalist und Blogger Anatoly Schary hat nach allem, was passiert ist, nachdem einige Bürger der Ukraine Hass auf andere Bürger der Ukraine gezeigt haben, vorgeschlagen, diesen Tag umzubenennen und ihn als Tag der nationalen Schande zu bezeichnen. Weil wir nicht mehr über Würde sprechen können. Wir können über Hass, Obskurantismus, Entpersönlichung sprechen, das heißt, über Menschen, die ihr menschliches Gesicht verloren haben.

Wir können auch über das Virus sprechen. Nicht das Coronavirus, sondern das Hassvirus, das sich in den Menschen in der Heimat des großen Gogol niedergelassen hat.

Jefim Bershin

Übersetzung: Kai Ehlers

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COMMENTS

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    Walter Finger 4 Jahren

    Wenn Sie sich schon darauf anspielen, dann sollten sie auch nicht die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter erwähnen die nach dem sie wieder nach Hause durften auf Stalins Befehl verbannt, Frauen vergewaltigt, in Arbeitslager verschickt oder gleich erschossen wurden wegen Verrat. Russische Kriegsgefangene hatten kein leichtes Leben in Deutschland und wurden dann von ihren „Befreiern“ nicht befreit sondern dem NKWD überstellt…aber das sie auf deutscher Seite totgeschlagen wurden in ihrer Masse ist Nonsens.
    Die Balten hatten keine Möglichkeit am Kampf gegen die Wiederbesetzung ihrer Heimat durch die Rote Armee in den Einheiten der WM des Deutschen Reiches am Widerstand teilzunehmen.
    Sie konnten aber nicht in der DM dienen, sondern mussten zwangsläufig in der SS ihren Widerstand gegen die, wie sie es verstanden, Besetzung ihrer Heimat durch Stalin am Kampf teilnehmen. Nicht umsonst haben viele schon vorher ihre Verwandten als Deportationsgut nach Sibirien verloren nach dem die Rote Armee nach der kurzen Zeit der Selbständigkeit einmarschiert war.
    „Meine Ehre heißt Treue“ war der Wahlspruch der SS. Er wurde ab 1932 in die Koppelschlösser der Allgemeinen SS, ihrer Nebenverbände sowie der Waffen SS geprägt.
    Die Wehrwölfe traten so gut wie nicht in Erscheinung noch der Kapitulation. von einzelnen Aktionen kleines Ausmaßes abgesehen. Es gab keine Werorga im geheimen oder hinter dem Rücken der Besatzer in Deutschland.

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      Anja Böttcher 4 Jahren

      Ihre abgrundtief schäbige Verharmlosung des systematischen deutschen Massenmords an sowjetischen Kriegsgefangenen, von denen 66%, nämlich 3,5 Millionen von 5,2 Millionen Menschen, bestialisch ermordet und systematisch totgehungert wurden, ist wohl kaum an Zynismus überbietbar. Die an ihnen vollzogene „Hungerpolitik“ bildet mit intendierten Aushungerung der Bevölkerung Leningrads und der Menschen in der Industrieregion um Charkow sowie der Aushungerung von Belorussen noch vor Politik der verbrannten Erde dort das zweitschlimmste Verbrechen des Nationalsozialismus nach dem industriell betriebenen Massenmord an den europäischen Juden.

      Und auch dass in diesem Kontext junge gefangene Rotarmisten hunderttausendfach als bereits Gefangene erschossen und totgeschlagen wruden, ist mehr als zuverlässig dokumentiert. Der rassistische Zynismus von Okkupationssoldaten der Werhmacht, die ausgefungerten sowjetischen Gefangenen verschimmelte Nahrungsreste zuschmissen und höhnisch lachend in die Menge schossen, wenn die Gefangenen sich darum verzweifelt prügelten, ist ebenso klar dokumentiert, wie dass Gefangene täglich Massengräber für ihre über Nacht gestorbenen Kameraden schaufeln mussten, wobei am Ende die Geschwächten häufig noch einen Stoß bekamen und lebendig mit den Toten begraben wurden.

      So zu tun, als ob diese Verbrechen, Verbrechen der Wehrmacht wohlgemerkt, auch nur im Ansatz dadurch gemindert würden, dass eine nicht unerhebliche Minderheit von ihnen nachher auch in der Sowjetunion Jahre Strafarbeit zu leisten hatte und eine Mehrheit in ihrer Versorgung gegenüber nichtgefangenen Veteranen benachteiligt wurden, ist wirklich der Gipfel.

      Opfer von „Massenmord“ als Menschen zu bezeichnen, die „kein leichhtes Leben hatten“, grenzt an eine strafrechtlich relevante Verleugnung von Menschenrechtsverbrechen des Nationalsozialismus. Der Vergleich mit den Kriegsgefangene anderer Länder beweist: Das, was auch auf deutschem Boden mit sowjetischen Kriegsgefangene geschah war Massenmord. Bereits auf dem Transport, der meist ohne Gabe von Wasser, Nahrung und Heizmaterial in offenen Viehwaggons standfand, starben die Hälfte. Von den 50%, die überhaupt lebend auf dem Reichsgebiet ankamen, starben dann in Deutschland 15-20%. In Bochum alleine liegen von ihnen 2200 begraben, während alle anderen Nationen zusammen noch nicht einmmal 200 ausmachen. Die sogenannten „Ostarbeiter“ stellten 60% der eingesetzten Zwangsarbeiter (Polen waren die zweitgrößte Gruppe) aber mehr als 90% der dabei verstorbenen.

      U.a. hier können sie nachlesen, was es bedeutete als sowjetischer Kriegsgefangener in deutsche Gefangenschaft geraten zu sein:
      https://kontakte-kontakty.de/freitagsbriefe/

      Und die beteiligten Massenmörder waren nicht nur SS-Schergen, sondern auch Wehrmachtsangehörige – wie insgesamt nicht nur die SS und der SD, sondern auch die Wehrmacht bei diesem Krieg zu einer Massenmordorganisation wurde, nicht jeder einzelne Soldat, aber das Offizierskorp – und zwar offenen Auge und von Juni 1941 an – wie allein ihre Kenntnis der von Halder protokollierten Rede Hitlers vom 30 März 1941 belegt.

      Weitere Massenverbrechen der Wehrmacht beim Rückzug belegen diese Briefe von Überlebenden der Politik der verbrannten Erde in Belaruss:
      https://kontakte-kontakty.de/briefe-der-ueberlebenden-verbrannter-doerfer-in-belarus/

      Von daher ist Ihr „Diskussionsbeitrag“ nur eines: eine absolute Schande und ein Akt des übelsten Geschichtsrevisionismus.

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    Anja Böttcher 4 Jahren

    Herr Bershin hat vollkommen recht: Würde der Corona-Virus außer Kontrolle geraten, würden im allerschlimmsten Fall weltweit 2,3% der Menschheit sterben.

    Durch den Hass-Virus aber, vor allem den organisiert verbreiteten, droht die Menschheit, sich selbst auszulöschen. Und leider ist es, nachdem alle gehofft hatten, die schreckliche gegenseitige Auslöschungsdrohung des Kalten Kriegs sei 1989 Geschichte geworden.

    In der Ukraine sind bereits mehr als 13 000 Menschen am Hass-Virus gestorben – mehr als fünfmal so viele wie Chinesen am Corona-Virus. Es steht nicht zu erwarten, dass der Corona-Virus auch nur im Ansatz so viele Ukrainer hinraffen wird. Vor allem nicht so viele Kinder.

    Fremd- und Selbsthass als ein und dasselbe erkannt zu haben und darin die Verbindung zum Ursprung der Menschheit zu sehen, ist die große Weisheit des Evangeliums. Das Evangelium des Hasses aber war das der SS. „Hass ist unser Gebet und Rache unser Feldgeschrei“ war die Losung der von Heinrich Himmmler geführten Wehrwölfe, die noch für Blutvergießen unter Deutschen und Besatzungskräften sorgten, nachdem längst die Orte, in denen sie Unheil anstifteten, kapituliert hatten. Das Symbol der Wehrwölfe war die Wolfsangel – mit der sich auch das mit dem ukrainischen Innenministerium verbundene Asow-Bataillon „schmückt“.

    Würde die deutsche Regierung nicht nur über Verantwortung reden, wenn sie mit kriegslüsterneren NATO-Ländern gegen den Willen der deutschen Bevölkerung irgendwo mitbombardieren will, sondern tatsächlich verantwortlich handeln, hätten deutsche Politiker den Ukrainern längst klar mitgeteilt, dasss die Wolfsangel für Selbstzerstörung steht – die äußere und innere. In der deutschen Bevölkerung wissen das die meisten. Aber sie werden ja noch nicht einmal von den eigenen Politikern gehört – selbst, wo sie die Mehrheit ausmachen.

    Wer aber Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, erkennt wie fragil unsere Welt geworden ist. Entweder wir Menschen lernen, miteinander zu kooperieren und einander zu begreifen – oder wir werden uns als Gattung selbst abschaffen. Der Faschismus, als in Fremdzerstörung gewendeter Selbsthass, ist der schnellste Weg, um uns allen den Exodus zu bescheren. Ich frage mich, wie es überhaupt noch Menschen geben kann, die das 75 Jahre nach dem 2. Weltkrieg immer noch nicht begreifen.

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      Anja Böttcher 4 Jahren

      PS – Zusatz: Die deutschen Politiker werden natürlich allein deshalb nichts über die Signifikanz von Wolfsangeln sagen, weil sie, zumindest im Baltikum, ja seit dem Ende der Sowjetunion SS-Veteranen mit Rente bedenken – aus dem deutschen Steuersäckel.

      Ehemalige sowjetische Zwangsarbeiter haben, auch erst nach dem Millenium, dafür, dass sie sich in der deutschen Rüstungswirtschaft und in Bergwerken totschuften mussten, einmalige symbolische Zahlungen erhalten. Die zweitgrößte Gruppe des nazistischen Völkermords nach den osteuropäischen Juden, die sowjetischen Kriegsgefangenen, zu 66% erschossen, zu Tode gehungert und totgeschlagen, danach unter erbärmlichsten Bedingungen zu schwerster Zwangsarbeit gezwungen, ging gänzlich leer aus. Lediglich ein zivile Organisationen, aus Bürgern, die sich über die unmoralische Entscheidung der deutschen Politik empörten, haben durch Bürgerspenden symbolische Hilfszahlungen mit Briefen ihrer Scham über die eigene Regierung geleistet, um nicht ohnmächtig hinzunehmen, vom Zynismus repräsentiert zu werden.

      Es gibt also immer noch neben und verbunden mit der rohen,nackten und sichtbaren Unmenschlichkeit die bürokratische, die sich heute hinter einer sich als humanitär ausgebenden Rhetorik versteckt, aber immer noch die Menschen der Zweckmäßigkeit und dem Profit weniger ausliefert und unterordnet.

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