Anmerkungen zu den Wahlen am 9.09.2018 aus russischer SichtFedosov, Dr. Pjotr Anatolewitsch

Anmerkungen zu den Wahlen am 9.09.2018 aus russischer Sicht

Die Wahlen vom 9.09.2018 haben sich in die Länge gezogen: Auch heute fast einen Monat danach haben zwei Regionen immer noch keine neu gewählten Gouverneure. Auch Kommentare zu diesem Wahltag hören nicht auf.

In Russland Kontrovers vermittelte Prof. Eberhard Schneider einen sachkundigen Überblick über die Ergebnisse der Gouverneurswahlen in 22 Regionen der RF. Seine Schlussfolgerung lautete: Die Machtpartei verliert deutlich an Rückhalt. Ähnlich waren auch die Überschriften in vielen Presseberichten. Das ist auch nicht unkorrekt. Ich will aber – nicht als Alternative, sondern als Ergänzung – einen anderen Blickwinkel anbieten.

I.

Die Ergebnisse – nicht nur der Gouverneurswahlen, sondern auch der Walen von 16 Regionalparlamenten, die auch an diesem Tag durchgeführt wurden – zeugen davon, dass die Putin-Partei „Einiges Russland“ (ER) die regionalen Machtinstitutionen immer noch fast lückenlos kontrolliert.

16 von insgesamt 20 gewählten Gouverneuren (2 weitere sind noch nicht gewählt) gehören zur Machtpartei und wurden durch über 50 Prozent von abgegebenen Stimmen bereits in der 1. Runde gewählt. Und das in den einwohnerreichsten (Moskau, Moskauer Gebiet) und flächengrößten (Jakutien, Krasnojarsk) Regionen Russlands. Verloren hat die ER meistens dort, wo Korruption und Nepotismus der bisherigen Gouverneure besonders hoch und (oder) ihre Qualifikation besonders niedrig waren.

In 12 von 16 am 9.09. gewählten Regionalparlamenten besitzen die ER-Fraktionen die absolute Mehrheit und nur in einem ist die ER einer anderen Partei unterlegen (der KPRF im Irkutsker Gebiet).

Darüber hinaus muss man berücksichtigen, dass Putin und die Regierung kurz vor den Wahlen zwei unpopuläre Entscheidungen verkündet haben: die Erhöhung des Rentenalters um 5 Jahre und der Mehrwertsteuer von 17 auf 19 Prozent. Beides zusammen wird die russischen Bürger pro 4köpfigen Haushalt im Durchschnitt fast 20.000 Rubel im Jahr kosten. Bedenkt man, dass der durchschnittliche Monatslohn in Russland nach verschiedenen Berechnungsmethoden 30 bis 40 Tausend Rubel und in vielen Regionen noch viel weniger beträgt, ist das eine sehr spürbare Summe. Und das nach fast 4 Jahren Rezession bzw. Stagnation und  angesichts eines zwar bereits verkündeten aber für die Bevölkerung bis jetzt nicht bemerkbaren Wirtschaftswachstums.

Vor diesem Hintergrund ist das Ergebnis der Machtpartei am 9.09. kaum als Misserfolg einzuschätzen.

Hinzu kommt, dass die LDPR und die KPRF, deren Vertreter in den wenigen von der ER nicht kontrollierten Regionen gesiegt haben, keine realen politischen Gegner Wladimir Putins sind. Sie kritisieren zwar die soziale- und Wirtschaftspolitik der Medwedew-Regierung und der ER, aber Putin ist für ihre Kritik Tabu, als wäre die Medwedew-Regierung vom Himmel gefallen und nicht von Putin ernannt. Noch dazu, dass beide Parteien begeistert die Außenpolitik Putins befürworten.

II.

Das Gesagte soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Wahlergebnis der Machtpartei am 9.09. mindestens zum Teil durch manipulative Methoden herbeigeführt wurde. Direkte Fälschung durch Einwerfen zusätzlicher Stimmzettel oder Umschreiben von Protokollen der Wahlkreiskommissionen scheinen weniger als vorher im Spiel gewesen zu sein, und wenn doch, wie in der Primorje Region (der südliche Teil der Pazifikküste), wurde das operativ nach Moskau gemeldet und die Zentrale Wahlkommission (ZWK) griff ein. Konkret fasste in Primorje die ZWK einen fragwürdigen Beschluss: Als es klar wurde, dass der ER-Kandidat in der Stichwahl seinen kommunistischen Rivalen nur durch grobe Massenfälschung in mehreren Wahlkreisen überholt hatte, wurden nicht die Ergebnisse in diesen bestimmten Wahlkreisen für ungültig erklärt, was den Sieg des kommunistischen Kandidaten bedeutet hätte, sondern die Wahlen in der Region wurden insgesamt annulliert. Alles wird hier von Anfang an noch einmal beginnen müssen. Einen Kandidaten der Machtpartei, der mehr Erfolgschancen zu haben scheint als sein Vorgänger, scheint der Kreml bereits gefunden zu haben.

Begebenheiten dieser Art scheinen aber eine Ausnahme zu sein. Anders als die erprobte Waffe der Macht – Nichtzulassung von populären Machtkritikern zur Aufstellung ihrer Kandidatur und vollständige propagandistische Dominanz der amtierenden Gouverneure in den Massenmedien und auf allen anderen Wahlkampffeldern. Vielerorts (wie, z.B. in Moskau) war der Wahlkampf deshalb rein nominell, das Ergebnis vorbestimmt und die Beteiligung trotz aufdringlicher Werbung der Machtpartei niedrig.

Aber in den wenigen Regionen, wo es zur Stichwahl kam, waren drastische Erhöhung der Beteiligung und Konsolidierung der Wähler um den Rivalen des Kandidaten der Machtpartei zu beobachten (Chabarowsk, Wladimir, Primorje). Sonst hat der 9. September 2018 nichts Neues in Bezug darauf gebracht, was Russland heute am meisten braucht: eine reale politische Konkurrenz. Aber auch das ist wertvoll: Die Machtkonstruktion, die in Russland in den letzten 18 Jahren errichtet wurde, ist robust und nicht auf Entwicklung, sondern auf Selbsterhaltung ausgerichtet. Es kommt darauf an, dass es immer besser verstanden wird, dass langfristig die Selbsterhaltung Russlands nur durch Entwicklung und die Entwicklung nur durch reale politische Konkurrenz möglich sind.

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