Antje Vollmer – Eine Friedensbewegte

Antje Vollmer – Eine Friedensbewegte

[von Alexander Rahr] Am 15.3.2023 verstarb Frau Antje Vollmer, eine der bekanntesten Friedenspolitikerinnen in Deutschland, Gründungsmitglied der Partei der Grünen in den 1980er Jahren, später Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestages. Die fast 80-jährige Antje Vollmer konnte in der Berliner Zeitung, kurz vor ihrem Tod, ihr politisches Vermächtnis veröffentlichen. In Deutschland stieß ihr Artikel auf breite Zustimmung. Weniger bekannt ist die Vermächtnis-Rede, die Frau Vollmer Ende Januar vor Teilnehmern des deutsch-russischen Bismarck-Dialogs, als sie krankheitsbedingt kaum noch sprechen konnte, gehalten hat.

Antje Vollmer stellte drei Prinzipien für die deutsche Politik auf. Sie hielt die Umorientierung der deutschen Diplomatie auf Themen des Feminismus für nicht zeitgemäß. Sie sah keine echte Alternative zur klassischen Friedenspolitik, keine Alternative zur Fortsetzung der Verständigung und Aussöhnung mit dem russischen Volk, und keine Alternative zum Aufbau einer gemeinsamen Koexistenz Westen-Russland in Europa.

Die Ex-Grüne-Politikerin übernahm weder pro-russische, noch pro-amerikanische Positionen. Deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine kritisierte sie als unnötigen Anstoß zu einem möglichen Weltkrieg, der das Haus Europa zerstören würde. Sie kritisierte den ausufernden Bellizismus in Deutschland, vor allem in ihrer Partei der Grünen, der ausschließlich auf eine Niederlage Russlands und einen militärischen Sieg der Ukraine setzte, ohne dass ernsthaft über eine Friedensdiplomatie nachgedacht wurde. Irgendwann sei der Konflikt in der Ukraine zu Ende und die Konfliktseiten bräuchten danach schnell eine einvernehmliche Lösung, wie man die neuerliche Teilung Europas verhindere und eine funktionierende Sicherheitsarchitektur schaffen könne, die weitere Kriege verhindern würde.

Antje Vollmer sprach sich im engen Kreis für die Beibehaltung des Petersburger Dialogs aus. Ein solch wichtiges strategisches und diplomatisches Instrument dürfe Deutschland nicht planlos aus der Hand geben. Für die Zukunft würden solche Plattformen verstärkt für das kommende Friedensstiften benötigt werden, auch für Vertreter der nachrückenden Politikergeneration und Zivilgesellschaft. Naiv waren diese Vorstellungen keineswegs, sondern realistisch.

Ganz und gar nicht einverstanden war die Grand Dame der deutschen Nachkriegspolitik vom Selbstverzicht Deutschlands, in den 2020er Jahren die langjährige Vermittler-Rolle zwischen Russland und dem Westen weiter zu spielen – eine wichtige historische Diplomatie, die alle Vorgänger von Bundeskanzler Olaf Scholz verantwortungsbewusst praktizierten. Und die von Moskau selbst akzeptiert war. Auch der schlimmste Konflikt, wie der jetzt in der Ukraine, dürfe nicht dazu führen, dass Deutsche ihre Aussöhnungspolitik mit Russland, die Europa stabilisiert und nicht (wie heute fälschlicherweise gesagt wird) destabilisiert hatte, völlig über Bord werfen.

In vielen internen Gesprächsrunden, die Frau Vollmer in ihrer Berliner Wohnung initiierte, wurde heftig darüber diskutiert, ob die EU sich weiter erweitern oder die Werte-Politik irgendwann an ihre geopolitischen Grenzen stoßen würde. In der arabischen Welt sei sie vor einem Jahrzehnt schon gescheitert. Bei aller Freude und Stolz über die Errungenschaften der Aufklärung und der Freiheitsidee in der Europäischen Union, müsste der Westen es lernen, in guter Nachbarschaft mit schwierigen, fremden (und teils neu erstarkten) Kulturräumen zu leben – des Weltfriedens wegen. Ein Weltkrieg der „Demokraten gegen Autokraten“, wie es die USA wollten, würde am Ende eine kaputte Welt hinterlassen. Hier seien in der Vergangenheit gravierende Denkfehler im Westen gemacht worden.

Interessant war Antjes Vollmer Idee von einer Wiederbelebung der Idee der Bewegung der Blockfreien. Um eine Bipolarität in der Weltpolitik zwischen Westen bzw. China/Russland zu verhindern, müssten Länder des Global South, vielleicht sogar die Ukraine, zu Initiatoren der Formierung dieses wichtigen Kraftzentrums der Weltpolitik werden. Die blockfreie Bewegung würde zur Abminderung des globalen Einflusses des Westens führen – aber auch die Achse Peking-Moskau unnötig machen.

Alexander Rahr, Senior Fellow WeltTrend Institut für Internationale Politik, Osteuropahistoriker und Publizist.

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