[von Alexander Rahr] Im Verlaufe des Jahres 2024 scheint die extensive Kriegsrhetorik einer Suche nach der Friedenslösung im Ukraine-Konflikt gewichen zu sein. Zwar gehen die Kämpfe zwischen Russland und der Ukraine unvermindert weiter, wobei ukrainischen Elitetruppen es gelungen ist Teile des russischen Territorium in der Region Kursk zu erobern. Aber das Wort Friedenslösung findet sowohl in der ukrainischen, als auch in der russischen Führung, trotz fortdauernder westlicher Waffenlieferungen an die Ukraine, langsam seinen Platz in der politischen Rhetorik.
Nach dem kläglichen Scheitern des „Friedensgipfels“ in der Schweiz, den starken Verlusten der ukrainischen Armee auf dem Schlachtfeld, der drohenden Niederlage des ukrainischen Vorstosses auf russisches Territorium und dem vermutlich baldigen Durchbruch der Front im Donbas, schliesslich den zahlreichen Fehlversuchen Kiews, die NATO direkt in einen Krieg mit Russland hineinzuziehen, scheint sich nun die oberste Führung der Ukraine dazu durchzuringen, doch einen Frieden mit Russland auszuhandeln.
Der russische Präsident Putin sagt in jeder Rede, dass sein Land für Verhandlungen offen sei. Er hat mehrmals klargemacht, dass es ihm nicht (mehr) um die Besetzung der gesamten Ukraine geht, sondern um den „Schutz russischer Minderheiten“ im Ostteil der Ukraine. Es scheint, dass ein Waffenstillstand möglich wäre, wenn die Ukraine bereit wäre, die Krim, den Donbas und die Landbrücke entlang des Azowschen Meeres zur Krim dem russischen Besatzer zu „überlassen.“
Was nicht passieren wird, ist eine Kapitulation der Ukraine. Präsident Selenski hat eine Abgabe von Territorien an Russland bislang kategorisch abgelehnt. In dieser Haltung wird er bis dato vom Westen bestärkt. Die Ukraine und der Westen sind vermutlich bereit, den Russen in der Frage der NATO-Mitgliedschaft der Ukraine entgegenzukommen, falls Russland sich an die staatlichen Grenzen von 1991 zurückzieht. Diese Forderungen sind für Russland völlig unrealistisch, denn Moskau braucht künftig die ostukrainischen Territorien als Puffer gegen den Westen. Letzteres wird Moskau als Sieg im Konflikt mit der Ukraine und der NATO verkaufen.
Kiew und Moskau stehen beide unter erheblichem Druck der BRICS-Staaten, allen voran China, Indien, Türkei, den Krieg (mit Gebietsverlusten der Ukraine) jetzt zu beenden. Die Idee Land für Frieden gewinnt an Aktualität. Kiew soll möglicherweise durch einen EU-Beitritt, die Aussicht auf einen milliardenschweren Wiederaufbauplan, sowie Sicherheitsgarantien (EU, USA, BRICS) „kompensiert“ werden.
Noch sind wir sehr weit von einem Friedensplan entfernt. Noch keimen im Westen vage Hoffnungen auf einen militärischen Überraschungssieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld. Noch werden immer mehr Waffen an die Ukraine geliefert. Noch sieht sich die russische Generalität in der Lage, zumindest bis zum Dnjepr vorzudringen und die Ukraine ganz vom Schwarzen Meer abzuschneiden. Noch glaubt der Westen, Russland mit Sanktionen ganz von der Weltgemeinschaft zu isolieren. Noch befindet sich die russische Wirtschaft im Aufschwung, sodass westliche Sanktionen ihr Ziel verfehlen. Aber es kommt der Moment, wo Verluste an Soldaten, Material, die Zerstörung der Infrastruktur und innere Wirtschaftsprobleme den Drang nach einer diplomatischen Lösung forcieren könnten.
Ein Zeitfenster für die Beendigung des Krieges könnte Trumps Präsidentschaft dienen. Würde Anerika tatsächlich den Krieg in der Ukraine durch einen „Deal“ mit den Kriegsparteien ernsthaft beenden wollen, müssten auch die Europäer dieser Lösung wohl oder übel zustimmen. Niemand kennt Trumps Friedensplan wirklich, aber man munkelt, er sei darauf gerichtet, sowohl Putin als auch Selensky eine gesichtswahrende Exitstrategie zu offerieren.
Der zweite Friedensgipfel wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht von einem westlichen Staat ausgerichtet werden, auch wenn Bundeskanzler Scholz plötzlich Berlin als Konferenzort ins Spiel bringen könnte. Eher findet ein solcher Summit in einem BRICS-Staat oder einem Land des Globalen Südens statt. Mit Verweis auf das 50jährige Jubiläum der OSZE (KSZE) würde der Sondergipfel auch die künftige europäische Sicherheitsarchitektur, die sich am Resultat des Ukraine-Krieges ausrichten wird, ins Auge fassen.
Welches Aussehen eine solche Sicherheitsarchitektur haben könnte, steht in den Sternen. Eine Kapitulation Russlands nach dem Beispiel Deutschlands 1945 ist ausgeschlossen. Ausgeschlossen scheint auch ein territorialer Zerfall der Ukraine – das wird der Westen nach eigenem Sicherheitsempfinden niemals zulassen. Eine nachhaltige Friedenslösung würde eine weitere NATO-Osterweiterung auf das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ausschliessen. Gleichzeitig hat der Ukraine-Krieg vermutlich das Ende der
Organisation des Kollektiven Sicherheitspaktes (CSTO, russisches Pendant zur NATO) eingeleitet. Nicht ausgeschlossen für die Zukunft der Sicherheitsarchitektur Eurasiens ist ein chinesisch-russisches Militärbündnis.
Niemand weiss, welche strategische Bedeutung der NATO (und den Sicherheitsinteressen Europas) seitens der USA zugemessen wird.
Eine Schwächung der Blöcke NATO und CSTO, ein Militärpakt China-Russland, separate Militärbündnisse wie sie von Grossbritannien gerade gegen Russland angestossen werden – das sind Realitäten, mit denen sich die Architekten der künftigen europäischen Sicherheitsordnung beschäftigen werden .
COMMENTS
Der Autor hat nicht berücksichtigt, dass der pathologische Militarismus unserer einfältigen deutschen Politiker/innen einem Kriegsende in dem Ukraine-Konflikt entgegensteht. Dieser hat uns bereits zwei verlorene Weltkriege gegen Russland eingebracht und scheint auch vor einem dritten nicht zurück zu scheuen.
In seinen Spekulationen über „das nahende Ende“ des Stellvertreterkrieges der NATO in der Ukraine hat der Autor den pathologischen Militarismus unserer psychopathischen deutschen Politiker/innen nicht berücksichtigt, der einem baldigen Kriegsende entgegensteht. Und, dass „der obersten Führung der Ukraine“ aus nicht-ethnischen Ukrainern das Leben der Ukrainer und Russen gleichgültig ist, und diese von gleichgesinnten Amerikanern und Deutschen unterstützt und finanziert wird.