Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XIV) – Diesmal dabei: „neues Gefühl“, „Oma Courage“, „Pearl-Harbor-Moment“ und „Placebo-Truppe“

Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XIV) – Diesmal dabei: „neues Gefühl“, „Oma Courage“, „Pearl-Harbor-Moment“ und „Placebo-Truppe“

von Leo Ensel.     Vokabelkritik ist zu Kriegszeiten das Gebot der Stunde. Ich veröffentliche in unregelmäßigen Abständen eine Sammlung teils verharmlosender, teils lügenhafter Wörter oder Formulierungen, deren Sinn und Funktion es ist, unsere Gesellschaft – uns alle – an das Undenkbare zu gewöhnen und möglichst geräuschlos in Richtung „Kriegstüchtigkeit“ umzukrempeln.

Massen- und Impulsproblem

Was klingt wie aus einer Thermodynamik-Vorlesung, meint schlicht: die Eroberung Kaliningrads! „Wir haben die Fähigkeit entwickelt, dieses Massen- und Impulsproblem, das Russland für uns darstellt, mit 22 Divisionen zu stoppen.“ (Wozu natürlich die „offensive Kapazität“ aller NATO-Akteure garantiert sein muss.) So in dankenswerter Offenheit US-General Donahue (Europe and Africa) auf der LandEuro-Konferenz im Juli 2025 in Wiesbaden. (vgl. „Anwendungsfall“, „interoperabel“, „Suwalki-Lücke“)

Militärschlag

Zum Beispiel am 22. Juni der USA gegen den Iran. Sprachlich nicht so holprig wie „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“, sondern fast so kompakt wie der „Strike“ selbst. Bringt also – Herr de Saussure lässt grüßen – Bezeichnendes („signifiant“) und Bezeichnetes („signifié“) nahezu kongenial zur Deckung! (Im Gegensatz zu den tolpatschig von „Militärischer Spezialoperation“ stammelnden – sprich: zumindest propagandistisch weit zurückgebliebenen – Russen!) (vgl. „Engagement“, „Mission“)

Mörder und Killer

Damit meinte Marie-Agnes Strack-Zimmermann einen gewissen russischen Staatsmann, der laut MASZ bereits – darunter macht sie es nicht – „Hunderte von Millionen Menschen unter die Erde gebracht hat“. (vgl. „Bestie“, „zweiter Hitler“ etc.)

mutmaßlicher Kriegsverbrecher

„Donald Trump trifft in Alaska morgen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Putin“, anmoderierte am 14. August 2025 Christof Heinemann im Deutschlandfunk ein Gespräch mit seinem Hauptstadtkorrespondenten Steffen Wurzel über eine „Videoschalte“ des am Vortag extra aus Kiew nach Berlin angereisten „Präsident Wolodymyr Selenskyj“ mit Bundeskanzler Merz und „weiteren Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der westlichen Verbündeten“. Dass Heinemanns Standardtitulierungen „Kremlchef“ und „Russlands Machthaber“ ihm diesmal nicht mehr ausreichten, kann man aus seiner Perspektive nachvollziehen. Dass er aber sicherheitshalber – man weiß ja nie! – noch das Wörtchen „mutmaßlich“ vorschaltete, befremdet denn doch. Da war Black-Rot-Kanzler Merz mit seinem „vielleicht schwersten Kriegsverbrecher unserer Zeit“ zumindest beim Adjektiv doch erheblich mutiger!

Narrativ

Einst ein akademisches Schwergewicht, heute auf BILD-Niveau hinaufgestiegener Begriff für die beliebte Methode, Fakten zu einer scheinbar kohärenten Geschichte nach dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip aufzufädeln: „Widdi-widdi-wie-sie-mir-gefällt!“ (vgl. „Erzählung“)

neue Entschlossenheit

„Deutschland ist wieder zurück auf der europäischen und der internationalen Bühne“, jubelte Friedrich Merz in seiner Regierungserklärung kurz vor dem Brüsseler NATO Gipfels vom Juni 2025. Die neue Entschlossenheit Deutschlands werde in der Welt registriert und von den Partnern begrüßt. – Heidegger und Sartre in Berlin und Brüssel! (vgl. „mitgestalten“, „neue Stärke“)

neues Gefühl

Aufgepasst! Hier geht es nicht etwa um – was durchaus naheliegen würde – das erste erfolgreiche Masturbationsabenteuer eines Zwölfjährigen, sondern um noch Großartigeres: „Wie es sich anfühlt, einen Menschen zu töten?“, fragte das RedaktionsNetzwerk Deutschland einen 20jährigen Deutschen, der seine Ausbildung zum Verkäufer abbrach, um „seinem Herzen zu folgen“ und im Raum Charkiw für die Ukraine zu kämpfen. Antwort: „Das ist ein neues Gefühl“, sagt Hanz (Kampfname). Und dann bescheiden: „Die Russen versuchen, mich zu töten. Anscheinend mache ich einen besseren Job.“ – So einfach ist das. Mit den neuen Gefühlen. (vgl. „professionelle Ebene“, „Sinnsuche“)

neue Stärke

Die „neue Entschlossenheit“ erfordert natürlich zwingend auch noch etwas anderes: „Wir Europäer müssen zu neuer Stärke finden“, rüttelte der „von meinem ersten EU-Rat mit sehr gutem Gefühl nach Hause“ fahrende Kanzler Merz am 27. Juni 2025 die deutsche Öffentlichkeit auf. Am Besten natürlich, indem man die Bundeswehr via Fünf-Prozent-Dauer-Viagra „konventionell zur stärksten Armee Europas“ macht! (vgl. „neue Entschlossenheit“, „rauhes geopolitisches Umfeld“)

Nie wieder Krieg!

Hört man heutzutage, wenn überhaupt, nur noch von einem Häuflein grauhaariger Ostermarschierer. Nach 80 Jahren Enthaltsamkeit lautet nun von der FAZ über Udo Lindenberg bis zur taz die (noch schamhaft unausgesprochene) neue „Animal Farm“-hafte Ergänzung: „Nie wieder Krieg – ohne uns!“

(Noch)

Auf die Klammer kommt es hier an! „(Noch) keine Wehrpflicht: Union und SPD im Koalitionsvertrag“, titelte die Plattform „Soldat & Technik“ am 10. April 2025. – Heißt im Klartext: Nicht ob sie kommt, sondern wann, ist noch unklar! (vgl. „im Augenblick“, „Teilverpflichtung von Teiljahrgängen“, „zunächst auf Freiwilligkeit“, „zur Zeit“)

Noch nicht Krieg, aber auch nicht Frieden

Eine Formel, die sich in verschiedensten Variationen gerade einbürgert. Hier, lange vor Merz und Pistorius, bereits Anfang 2025 verwendet als Titel eines Dossiers der „Bundesakademie für Sicherheitspolitik“. Erinnert ausgerechnet an die berühmte Trotzki‘sche Formel „Weder Krieg noch Frieden“ vom Februar 1918 anlässlich der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk. – Idealer rethorischer Nebelwerfer, um einen „neuen Normalzustand“ zu installieren. Suggeriert, die Zeit des „richtigen Friedens“ sei nun definitiv vorbei. Umso eleganter wird dann demnächst der schleichende Übergang zum „richtigen Krieg“ vonstatten gehen… (vgl. „grauer Krieg“, „hybrid“, „Wir sind im Krieg mit Russland“)

normalisieren

„Wir müssen unser Verhältnis zum Krieg normalisieren. Und wir müssen kriegsbereit sein.“ Dekretiert tapfer – die noch gestern tabuisierte Ausnahmesituation zum Alltag machend – ein Johannes A. Kaufmann in der Braunschweiger Zeitung. Und mit der Softcorenummer gibt sich ein berühmter Regionalreporter und lokaler Wissenschaftsredakteur selbstverständlich nicht zufrieden. Deshalb brüllt der Braunschweiger Löwe so laut, dass man es bis nach Wolfenbüttel hören kann: „Nicht sich zu verteidigen und zurückzuschießen. Sondern wirklich Krieg zu führen.“ Wirklich Krieg! So tönen die neuen harten Männer. Am Schreibtisch zu Braunschweig.

notwendig

Ist laut RedaktionsNetzwerk Deutschland: „Töten“! Konsequenz: „Man muss es halt machen.“ Die jahrtausendealte Logik: „Die oder wir.“

offensive Mentalität

„Der schlichte Panzeroffizier braucht auch in der Verteidigung eine offensive Mentalität. Wir müssen den Kampf zum Gegner tragen. Wir müssen die Entscheidung so früh wie möglich suchen.“ So ganz offen offensiv im Kiesewetter-JargonGeneralleutnant Jürgen-Joachim von Sandrat am 19.11.2024 zur NZZ. Ergo: „Wir dürfen für Russland nicht berechenbar sein, sonst ist Abschreckung schwierig zu erreichen. Es darf keine roten Linien geben, die Russland einkalkulieren kann.“ – Und nochmal, weil‘s so schön war: „Keine roten Linien.“ Keine! (vgl. „aktive Verteidigung“, „Mentalitätswechsel“)

Oma Courage

Als solche wollte uns die FDP zur EU-Wahl 2024 ihre „Eurofighterin“ und dreifache Großmutter Agnes Strack-Zimmermann andrehen. Leider ging der Schuss nach hinten los. (Hegels „List der Vernunft“ schlägt nun mal früher oder später unerbittlich zu!) Brechts berühmte Marketenderin ist keine couragierte Heldin, sondern eine auf ewig unbelehrbare Kriegsprofiteurin, die durch ihre Geschäfte nach und nach alle drei Kinder verliert – aber trotzdem weiter emsig auf den Schlachtfeldern Handel treibt. Oder in den Worten des Stückeschreibers: „Sie glaubt an den Krieg bis zuletzt. Sie lernt so wenig aus der Katastrophe wie das Versuchskarnickel über Biologie lernt.“ Passt doch überraschend gut…

outsourcen

Deutschland habe Kriege früher „outgesourced“. Das ginge nun nicht mehr, monierte Redakteurin Anja Reinhardt am 31. August 2025 früh morgens im Deutschlandfunk. – Hören wir mal genauer hin: Outsourcen bedeutet Auslagerung von Unternehmenseinheiten. Hat Deutschland also seine Kriege bis gestern wie Callcenter nach außen verlagert? Innere Konflikte einfach exportiert? Und wohin? Nach Jugoslawien? Afghanistan? Mali? Und sowas kann man heutzutage ungestraft im DLF behaupten?! Ist Frau Reinhardt am Ende noch ein Putin‘sches U-Boot – outgesourced aus Moskau?

Peacekeeper

So taufte einst US-Präsident Ronald Reagan stolz im Herbst 1982 die neueste Interkontinentalrakete – bestückt mit bis zu zehn thermonuklearen Sprengköpfen. Als Sprachschablone wird der inzwischen aussortierte und durch ‚bessere‘ Systeme ersetzte Peacekeeper aber sicher bald wieder, zeitengewendet recycelt, neue Dienste erfüllen.

Pearl-Harbor-Moment

Den, das hofft inständig man im Westen, soll das ukrainische „Husarenstück“ – der Drohnenangriff auf die russische strategische Bomberflotte vom 1. Juni 2025 – in Russland ausgelöst haben. – By the way: Die japanische Attacke auf Pearl Harbor im Dezember 1941 verwandelte den zu diesem Zeitpunkt noch europäischen Krieg in den II. Weltkrieg. Ob die Akklamateure des „Husarenstücks“ dies auch zuende gedacht haben?

Placebo-Truppe

Militärische Schwester der „Fencheltee-Diplomatie“. Gesichtet von Dr. Hauke Friederichs, seines Zeichens Sicherheitspolitischer Korrespondent der ZEIT. Eine Placebo-Truppe für die Ukraine, warnte er dringend am 5. September im (einstigen) ‚Flaggschiff der Entspannungspolitik‘, würde nur schaden. Kurz: So wird das nichts. Da ist erheblich „mehr Stärke“ – sprich: militärisches Viagra – gefragt! Mit anderen Worten: Der Qualitätsjournalist argumentiert nach dem berühmten Motto: „Jungs, seid nicht feige – lasst mich hintern Baum!“

professionelle Ebene

„Dass die ausländischen Kämpfer in ihren Heimatländern oft mit Argwohn betrachtet werden, liegt womöglich auch an der russischen Propaganda – die ohne Belege versucht, sie allesamt als Kriminelle oder Terroristen, als Mörder oder Neonazis zu diskreditieren“, nimmt das RedaktionsNetzwerk Deutschland Deutsche auf „Sinnsuche“ in Schutz, die diesen als „Internationale Legionäre“ an der ukrainischen Front fanden. „Wizard“ (Kampfname), einer der Glücklichen, „sagt: ‚Mir sind einige Idioten untergekommen, aber eben auch viele gute Jungs. Keiner von denen kommt von der Front zurück und sagt, geil, ich habe viele Russen kaltgemacht. Das läuft bei uns auf einer professionellen Ebene ab.‘“ – Gottseidank sind unsere sinnsuchenden Jungs in der Ukraine also keine jämmerlichen Lustmörder, sondern – „professionelle Ebene“ – coole Berufskiller! (vgl. „coolste Ausschnitte“)

prorussisch

Ist alles, was nicht der offiziellen westlichen Sicht der Dinge entspricht.

Putin (II)

Kürzestes Wort für folgende komplizierte Formeln: „Kreml-Chef“, „Machthaber“, „brutaler Mafiaboss“, „Despot“, „Diktator“, „russischer Widerpart“, „dummer Hurensohn“ („stupid son of a bitch“), „Kriegstreiber“, „Schlächter“ („butcher“ – in Butscha?), „Mörder und Killer“, „(vielleicht) schwerster Kriegsverbrecher unserer Zeit“, „Raubtier“, „Bestie“, „zweiter Hitler“.

(wird fortgesetzt)

Erstveröffentlichung bei globalbridge.ch

 

COMMENTS

WORDPRESS: 1
  • comment-avatar
    Horst Beger 3 Stunden

    Der Psychopat Hitler ist 1933 ja nicht an die Macht gekommen, weil er ein genialer Führer war, sondern weil der päpstliche Kammerherr von Papen und die katholische Zentrumspartei, die geistigen Väter der heutigen CDU/CSU, „ein Bollwerk gegen den Bolschewismus“ schaffen wollten. Und die katholische Zentrumspartei hat dem Psychopat Hitler, Vergleiche mit heutigen Politikern sind möglich, zusammen mit den Nationalliberalen, die heute mit Ausnahme von Frau Strack-Zimmermann keine Rolle mehr spielen, zur Zweidrittel-Mehrheit für das berüchtigte Ermächtigungsgesetz verholfen haben, das dem Psychopat Hitler uneingeschränkt Machtbefugnisse gab. Die einzigen, die damals dagegen gestimmt hatten, waren die Sozialdemokraten, die seit der ausgerufenen „Zeitenwende“, mit Ausnahme der „Grünen“, an Einfalt nicht mehr zu überbieten sind. Auf das Stichwort „Rom“ müssen wir wohl noch lange warten.

  • DISQUS: