[von Prof. Alexander Rahr] Es ist zum Weinen. Russlands Präsident Putin macht endlich einen vernünftigen Vorschlag, wie der Konflikt in der Ukraine entschärft werden kann – nämlich durch die Stationierung bewaffneter UN-Friedenstruppen entlang der Frontlinie zwischen Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen – und wird sofort gnadenlos von der Ukraine und einer pro-ukrainischen Stimmung im Westen ausgebremst.
Warum ist man so dagegen? Kiew ist gegen Putins UN-Friedensmissionsvorschlag aus mehreren Gründen. Erstens fürchtet Kiew eine dauerhafte Einfrierung des Konflikts mit Unterstützung der UNO. Kiew will die abtrünnigen Gebiete ultimativ wiederhaben, es lehnt Provisorien strikt ab.
Zweitens will Kiew nicht mit den Separatisten reden. Keinesfalls sollen die pro-russischen Rebellen irgendwelche internationale Anerkennung erfahren. Eine Amnestie für die pro-russischen Kämpfer, wie in den Minsker Vereinbarungen vorgesehen, wird es mit Kiew nicht geben.
Und drittens fordert Kiew die Entsendung der UN-Blauhelme nicht nur an die Frontlinie, sondern auch an die russische Grenze zum abtrünnigen Donbass, damit diese dort die militärische Unterstützung Moskaus an die Separatisten stoppen.
Russland sagt, eine Übergabe der Kontrolle seiner Grenze zur Ostukraine an Kiew oder UN-Blauhelme kann erst dann erfolgen, wenn die ukrainische Zentralregierung dem abtrünnigen Donbass die versprochene Teilautonomie zugesteht. Davon will Kiew heute nichts mehr wissen, obwohl man es im Minsker Abkommen so vereinbart hatte.
Bundesaußenminister Gabriel begrüßte Putins Vorschlag als eine Initiative in die richtige Richtung. Als einen Hoffnungsschimmer für eine Friedensregelung in der Ostukraine. Er wurde vom ukrainischen Außenminister und dem ukrainischen Botschafter in Deutschland daraufhin massiv angegriffen. Entgegen aller diplomatischen Gepflogenheiten. Auch die pro-ukrainische Community in den deutschen Medien und sozialen Netzwerken verschmähte Gabriels Aussagen. Niemand nahm Gabriel in Schutz.
Kurz darauf meldete sich auch Merkels Regierungssprecherin. Sie sprach sich einerseits für die Blauhelm-Idee aus, unterstützte aber gleichzeitig alle Vorbehalte der offiziellen ukrainischen Seite. Gabriel wurde von der Kanzlerin desavouiert, obwohl Merkel in ihrem Sommerinterview selbst von der Notwendigkeit einer gesamteuropäischen Annäherung an Russland gesprochen hatte.
Die Friedenschance ist damit vertan. Die Fronten weiterhin verhärtet. Schade. Ohne Kompromisse – kein Fortschritt. Warum denkt man nicht an die armen Menschen, die täglich in der Ostukraine sterben. Wichtig wäre doch gerade ihnen eine neue Lebensperspektive zu geben. Eben mit UN Hilfe.
Warum folgt man nicht dem Fahrplan der Minsker Verhandlungen, der die Reihenfolge der notwendigen Maßnahmen klar definiert hat – zunächst Waffenstillstand an der Front, dann Autonomielösung für den Donbass, schließlich Übergabe der Kontrolle der Grenze zwischen Russland und den Abtrünnigen an Kiew. Unterschrieben ist unterschrieben.
Die Antwort ist offensichtlich. Die Ukraine hofft jetzt auf neue militärische Unterstützung aus den USA. Kiew beobachtet mit Genugtuung die Eskalation des Konfliktes zwischen Moskau und Washington. Und glaubt, dass der internationale Druck auf Russland jetzt so stark wird, dass Russland nachgibt und verliert.
Der Minsker Prozess wird damit Geschichte, obsolet.
Seriöse Analysen warnen vor solch kurzsichtigem Denken. Bei allem Verständnis für die Wünsche der Ukrainer und einiger westlicher Politiker, Russland eine schmerzhafte Niederlage in der Ukraine zuzufügen und es zurückzuschlagen – diese Rechnung wird nicht aufgehen.
Ein solches Verhalten birgt Gefahren, dass Russland sich provoziert fühlt und asymmetrisch zurückschlägt. Die ukrainische Armee und die von Russland unterstützten Separatisten sind heute gleichstark. Sollten die USA die ukrainische Armee mit schweren Waffen ausstatten, würde Moskau logischerweise die Rebellen ebenfalls aufrüsten. Das vorherrschende Denken im Westen, Russland sei nicht mehr die Sowjetunion und damit dem Westen unterlegen, stimmt nicht.
Realistischerweise sollte der UN Sicherheitsrat den Vorschlag Putins zur Grundlage eines Resolutionsentwurfs nehmen, der zweifellos auch die Interessen der ukrainischen Seite in Betracht zieht, letztendlich aber – ganz im Sinne dessen was Gabriel gesagt hat – Europa einer Lösung im Ukraine-Konflikt endlich näher bringt.
Die Regierung der Ukraine muss selbst etwas tun, um die an engen Beziehungen zu Russland interessierten eigenen Bevölkerungsteile im Ostteil des Landes hinter sich zu bringen. Die Wirtschaftsblockade gegen den Donbass ist ein Fehler. Das kürzlich verabschiedete Gesetz zur Verbannung der russischen Sprache aus den nationalen Lehranstalten ist ebenfalls ein Weg in die entgegengesetzte Richtung.
Hoffentlich wird die Bundesregierung auch nach den Wahlen am Minsker Prozess so festhalten, wie bisher.
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