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Die Zwanziger Jahre: gefährliche Welt

[Alexander Rahr] Die Europäische Union als Ganzes mag Nord Stream II abgelehnt haben, doch mit ihren exterritorialen Sanktionen gegen europäische Unternehmen, haben die USA ihren europäischen Verbündeten einen schweren Schlag versetzt. Das kann die EU nicht auf sich sitzen lassen.

Die EU steht auf einmal vor einer schweren Schicksalsentscheidung: Entweder sie akzeptiert die Oberhoheit amerikanischer Interessen über die europäischen und begibt sich freiwillig in die Rolle des Vasallen. Oder sie beginnt sich von Amerika zu emanzipieren.

Wer glaubt, dass die USA ihre exterritorialen Sanktionen gegen die Europäer nur in solchen Fällen wie Iran oder Russland erheben werden, der irrt. Den disziplinarischen Rohrstock werden die Amerikaner nicht mehr aus der Hand legen. Die nächste Züchtigung der Europäer kommt im Falle des Aufkaufs von Chinas Huawei Technologien.

Die europäischen Abhängigkeiten von Amerika sind grösser denn je. Nur haben wir das in der Vergangenheit nicht bemerkt, oder haben es sorglos hingenommen.

Die überwiegende Mehrzahl der EU Länder will einem Streit mit den USA aus dem Weg gehen. Europäische Konzerne wollen auf keinen Fall ihren lukrativen amerikanischen Markt verlieren. Die mittelosteuropäischen EU Staaten sehen in Russland und China den Aggressor und in den USA ihren Beschützer. Ein Land wie Polen will insgeheim keine deutsch-französische Führung in Europa, sondern die amerikanische. Es gibt in Europa keinen Konsens für eine eigenständigere europäische Sicherheits-und Verteidigungspolitik, schon gar nicht für eine „alternative NATO“.

Europa hat sich an die sicherheitspolitische Fremdbestimmung gewöhnt. Von 1945 bis 1990 herrschten die USA und die UdSSR über Europa; seit 1990 – nur noch die USA.

Wie kann unter diesen Umständen eine Emanzipierung Europas von den USA gelingen? Die Antwort ist einfach: gar nicht.

Unter den gegenwärtigen transatlantisch geprägten europäischen Führungseliten ist eine Abkapselung von Amerika unrealistisch.

Nur Frankreich könnte, wenn es sich in seinem Nationalstolz zu sehr verletzt sieht, ernsthaft opponieren – im alten Stil de Gaulles. Alle anderen Europäer werden vor den USA und ihren wirtschaftlichen Machtinstrumenten einlenken.

Ein pro-russisches Narrativ hat momentan keine Chance. Die Idee eines gemeinsamen Raumes von Lissabon bis Wladiwostok wird von den Gegnern einer Annäherung an Russland im Keim erstickt. Es gibt kaum Studien aus Think Tanks oder Medienberichte, die für eine Wiederannäherung an Russland plädieren.

Die Dämonisierung Russlands ist Ausdruck des hybriden Krieges, der mit ungleichen Waffen geführt wird. Auf die Angriffe des Westens kann Russland kaum wirklich reagieren.

Das anti-russische Narrativ hat inzwischen erreicht, dass Russland in den westlichen Gesellschaften als alleiniger Aggressor dasteht: Russland greift seine Nachbarn an, ist korrupt, sperrt die eigene Opposition hinter Gitter, schießt Passagierflugzeuge ab, mischt sich in Wahlen anderer Staaten ein, dopt seine Sportler, bringt Regimegegner im Ausland um … Die Liste der russischen „Schandtaten“ ließe sich beliebig fortsetzen. Von internationalen Sportwettkämpfen wurde Russland ausgeschlossen – eine größere Demütigung gibt es nicht. Nun wird versucht, Russland den Sieg im Zweiten Weltkrieg abspenstig zu machen, unter der Begründung, der Kommunismus sei ja genauso schlimm, wie der Hitler-Faschismus. Zudem eskaliert der Pipelinestreit: die USA wollen, dass Nord Stream II zu einer Bauruine wird – eine weitere ungeheuerliche Demütigung, die schwer zu ertragen ist.

Welche Europäer sollen unter diesen Umständen, gegen den amerikanischen Wunsch, eine Normalisierung der Beziehungen mit Russland anstrengen? Die Mehrheit der Europäer wird sich den Amerikanern unterstellen.

Kann es sein, dass im Zuge der neuesten Entwicklung Europa seine „europäische“ Identität verliert und vollends transatlantisch – also pro-amerikanisch (böse Stimmen sagen Amerika-hörig) wird? Die Idee der Vereinigten Staaten von Europa ist jedenfalls ausgeträumt.

Man muss kein Geschichtskenner sein, um zu wissen, dass es in dieser Sache keine Gewinner sondern nur Verlierer geben kann. Ein Land wie Russland lässt sich nicht in die Enge treiben. Die USA können nicht gegen alle ihre Gegner gleichzeitig Sanktionen verhängen. Aus solchen Situationen wie diesen haben früher schreckliche Kriege begonnen. Die Zwanziger Jahre lassen grüßen.

COMMENTS

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    Anja Böttcher 4 Jahren

    Sehr geehrter Herr Rahr,

    herzlichen Dank dafür, dass Sie die heutzutage seltene Courage haben auszusprechen, was ist und was jedem aufmerksamen Beobachter spätestens seit 2013 klar ist: Als nämlich Edward Snowden die geradezu gespenstisch vollständige Totalüberwachung vor allem der deutschen Bevölkerung aufdeckte, eine deutsche Regierung, bestehend aus den repräsentativen Parteien der beiden stablisten demokratischen Milieus Deutschlands, des rheinisch-badensisch-baderischen Katholizismus und der Sozialdemokratie, nur mit einem schlecht verhohlenen Täuschungsmanöver der eigenen Bevölkerung antworteten („No-spy-agreement“), eine Farce, auf die sich die Vertreter der US-Tyrannis noch nicht einmal einließen und eine deutsche Bundeskanzlerin das um entscheidende Grundrechte als beraubt dastehende Grundgesetz zum bloßen „Ideal“ erhob, da wusste jeder aufmerksam analytisch denkende Demokrat in Deutschland, dass etwas geschehen war, das an Bedrohlichkeit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 nach dem Reichstagsbrand entspricht: die offene Beendigung der zweiten deutschen demokratischen Illusion.

    Und nur ein halbes Jahr später war auch mit der antirussischen Trommelei einer durch NATO-Netzwerke gleichgeschalteten Einheitspresse klar, dass es wieder um einen erneuten, diesmal US-diktierten „Generalplan Ost“ gehen sollte – diesmal aus der Feder von US-Geostrategen von Zbngniew Brzezinski, den neokonservativen Thinktank-Strategen der „Defense of the New American Century“ und den Chefidiologen des CSIS und des Pentagons stammend, jedenfalls denselben geopolitischen Fußstapfen folgend wie Wilhelm II und Adolf Hitler.

    Wer Englisch lesen kann und sich nicht weigert zu verstehen, was er liest, weiß aus offen zugänglichen Pentagon-Papieren, dass die USA nicht weniger beanspruchen als die globale Hegemonie – also, in klarem Deutsch, die WELTHERRSCHAFT, und seit 2014 ganz offen einen Weltkrieg gegen Russland und China als nicht zu geringen Preis dafür erachten – was für den europäischen Kontinent einem atomaren Selbstmord gleichkäm.

    Wie es um die sogenannte westliche „Pressefreiheit“ steht, zeugt eindrücklich das erbärmliche Hinsiechen Julien Assange, der rechtswidrig in englischer Isolationshaft und, nach Auffassung des UN-Beauftragten Niels Melzer unter Psychofolter gehalten, auf seine Überführung und Entsorgung in den USA warten muss, weil er die Frechheit besaß, dem Beispiel der Geschwister Scholl zu folgen und Kriegsverbrechen im Rahmen des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs des US-amerikanischen Unrechtsregimes offenzulegen – als australischer Staatsbürger, der der US-Führung nichts schuldet.

    Sprechen wir also nicht nur von der zwangsläufigen Verödung unsereres gesamten Wirtschaftspotenzials, falls wir uns der Tyrannis beugen – denn wer sich behandeln lässt wie die gebeutelten lateinamerikanischen Staaten wird auch auf dem Wohlstandsniveau von Puerto Rico enden, sondern sehen wir noch weiter in den tiefen Abgrund, der sich dahinter auftut.

    Krieg, totaler Krieg, nuklearer Krieg, Weltkrieg, Ende aller menschlichen Zivilisation Europas, Tod aller Europäer.

    Im nächsten Jahr übt die NATO Krieg gegen Russland – und Deutschland spielt dafür „Drehscheibe“ und „Speerspitze“. Die, die das mitzuverantworten haben, sind die unwürdigen Opportunisten aus zwei ehemaligen Volksparteien, die von 70-80% Zustimmung auf gemeinsam weniger als 40% abgestürzt sind. Sie sind uns, den Bürgern, auf der Grundlage des ramponierten Grundgesetzes verpflichtet und befinden sich, wenn sie ihm nicht folgen, auf gesetzesbrecherischer Grundlage.

    Es gibt zwei Artikel des Grundgesetzes, die uns Bürger ganz klar verpflichten, gegen erneute totalitäre Gefahren aufzustehen und die Wiederherstellung des Rechts zu verpflichten:

    Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

    Art 26

    (1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.

    Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
    Art 20

    (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
    (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
    (3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
    (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

    Die Orientierung von exekutivem Handeln an einer tyrannischen äußeren Instanz ist nicht mit der Verfassung vereinbar. Die kriegerische Ausrichtung unseres Landes an den Weltherrschaftsansprüchen einer feindlichen äußeren Macht ist nicht mit der Verfassung vereinbar. Die Eskalation unserer Beziehung zu den Russen ist nicht mit der Verfassung vereinbar.

    Als Vasallenkonstruktion einer tyrannischen Macht, die für ihre Weltherrschaft zum nuklearen Völkermord schreiten will, wird keine deutsche Regierung die Minimalanforderungen an Regierungsautorität erfüllen können, die erfordert, die eigene Bevölkerung vor Vernichtung zu schützen und sie zu ernähren.

    Also entweder stehen die auf, die auf der Grundlage des Verfassungsverständnisses der Verfassungsmütter und -väter ihren Rechtsbestand gegen die nur noch faschistoid zu nennende Bündnislogik unter der US-Tyrannis verteidigen – oder unser Land wird auf Dauer in Verödung, Chaos und anschließend einen vernichtenden Krieg getrieben werden.

    Wehe dem, der auch diesmal darin versagt, das Leben der eigenen Kinder gegen kriegswütige Tyrannen zu schützen, weil er noch nicht einmal den Kampf dagegen wagt. Wir stehen da, wo unsere Vorfahren schon zweimal standen – nur in einer Zeit, in der Waffentechnologie zur Vernichtungstechnologie endgültig fortgeschritten ist.

    „Das große Karthago führte drei Kriege. Nach dem ersten war es noch mächtig. Nach dem zweiten war es noch bewohnbar. Nach dem dritten war es nicht mehr aufzufinden.“

    Offener Brief an die deutschen Künstler und Schriftsteller, 1951
    Zitat von Bertolt Brecht

    Und zur üblen Geschichtsverfälschung in der Erklärung des Europäischen Parlaments, das wieder einmal die Sowjetunion und das Nazi-Regime gleichgestellt hat, kann man nur angemessen mit den Worten des des Kommunismus gänzlich unverdienten Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann antworten:

    „Den russischen Kommunismus mit dem Nazifaschismus auf die gleiche moralische Stufe zu stellen, weil beide totalitär seien, ist bestenfalls Oberflächlichkeit, im schlimmeren Falle ist es – Faschismus. Wer auf dieser Gleichstellung beharrt, mag sich als Demokrat vorkommen, in Wahrheit und im Herzensgrund ist er damit bereits Faschist und wird mit Sicherheit den Faschismus nur unaufrichtig und zum Schein, mit vollem Haß aber allein den Kommunismus bekämpfen.“

    Die jetzige Politik unter der US-Tyrannis hat nichts mehr mit Demokratie, nichts mehr mit Freiheit und nichts mehr mit irgendeiner der Bewahrung werten kulturellen Tradition Europas zu tun. Er lässt stattdessen mit Schauern gemahnen an den schlimmsten Absturz Europas in Tod und Zerstörung, den zu beenden Russland den höchsten Blutzoll bezahlt hat.

    Es ist an uns, sich diesmal dem Verhängnis entgegenzustellen.

    Mit freundlichen, solidarischen, christlichen, demokratischen und humanistischen Grüßen,
    Anja Böttcher
    Anja Böttcher

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    Horst Beger 4 Jahren

    Ob man die heutige Situation der Nicht-Beziehungen Deutschlands und Europas zu Russland mit den Zwanziger Jahren vergleichen kann, ist mehr als fraglich. Denn die USA haben erst durch ihr militärisches Eigreifen in die bis dahin noch kontinentalen Kriege in Europa, diese zu Weltkriegen gemacht. Und die geschichtsverfälschenden Behauptungen des in England lehrenden Historikers Christopher Clark, die Europäer seien alle „Schlafwandler“ gewesen, entbehren jeder ernsthaften wissenchaftlichen Grundlage. Durch einseitige Quellenauswahl und ohne Berücksichtigung der Vorgeschichte behauptet er, die Franzosen und die Russen seien die Auslöser des Krieges der „Urkatasthrophe von 1914“ gewesen und entlastet damit Deutschland und England weitgehend von den Verursachern. Das hat ihm in Deutschland natürlich besondere Aufmerksamkeit verschafft, während die Engländer nicht so blauäugig waren.
    Im übrigen war die „Europäische Idee“ eine aus der Zeit gefallene Utopie
    der katholischen Grundungsväter des sogennten „christlichen Abendlandes“, was sich spätestens jetzt mit dem Brexit zeigt.

    aufmmeksamkeit

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