„Eine glatte Eins“: Russische Expertin bewertet Besuch von Annalena Baerbock in Moskau

„Eine glatte Eins“: Russische Expertin bewertet Besuch von Annalena Baerbock in Moskau

Am Dienstag besuchte die neue deutsche Außenministerin Moskau und traf sich dort mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Die Expertin des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften Dr. Ekaterina Timoschenkowa kommentiert die Ergebnisse für russland.NEWS.

Für Baerbock war der Besuch in Moskau ein ernsthafter Test. Für den Kreml war es sehr wichtig zu verstehen: Wird Angela Merkels Politik fortgesetzt oder wird sie sich ändern, und zwar genau so, wie es Baerbock selbst versprochen hatte. Das heißt, nicht nur die Kritik an den Menschenrechten wird zunehmen, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht: Nordstream 2 wird eingefroren und Deutschland wird sich nicht mehr auf einen Dialog mit Russland einlassen und als Vermittler im Ukraine Konflikt auftreten. Das heißt, Russland wollte wissen, ob die neue deutsche Außenministerin ein Schwergewicht sein würde oder ob der Schwerpunkt im Kanzleramt liegen würde und man mit Olaf Scholz verhandeln müsste.

Außerdem musste geklärt werden, inwieweit die Widersprüche zwischen den Sozialdemokraten in der Regierung, die Nordstream 2 offen unterstützen und der russischen Position in Sachen NATO sehr wohlwollend gegenüberstehen, und den Grünen stark sind. Inwieweit die Wertepolitik der Grünen und ihre Klimapolitik der Realität entsprechen werden.

In dieser Hinsicht war dies ein sehr wichtiges Sondierungstreffen, zumal sich die internationalen Beziehungen verschlechtert haben. Russland kann nun sagen, dass wir nicht nur mit Washington, sondern auch mit Berlin kommunizieren, was die reale Bedeutung Berlins als internationaler Vermittler erhöht. Das Treffen der Außenminister war also in jeder Hinsicht wichtig.

Was Annalena Baerbock persönlich betrifft, so hat sie sich als weitaus intelligentere und umsichtigere Politikerin erwiesen, als es ihr Wahlkampf vermuten ließ. Sie legte Kranz am Grab des Unbekannten Soldaten an der Kremlmauer nieder. Auf der Pressekonferenz sprach die Ministerin auch über die Verantwortung Deutschlands für den Angriff auf die Sowjetunion, über den deutschen Scham und Ehrfurcht vor den Opfern auf sowjetischer Seite im Zweiten Weltkrieg und über die Demut gegenüber der Bereitschaft der russischen Bevölkerung zur Versöhnung. Dies ist für Russland sehr wichtig. Erstens zeigt es, dass Deutschland einen konstruktiven Dialog führen will und wird, dass Deutschland Verständnis für die Sicherheitsbedenken Russlands hat. Gleichzeitig zeigte Baerbock, dass unsere Befürchtungen, die neue Generation deutscher Politiker werde nicht verstehen, wie wichtig es ist, den Frieden zu bewahren, weil sie keine Kriegserfahrung hat, nicht berechtigt sind. Die deutsche Ministerin betonte, dass erst die Einbindung Russlands in den internationalen Prozess die Entspannung ermöglicht habe. Und das bezieht sich auf die Tatsache, dass sowohl Russland als auch Deutschland für die Sicherheit in Europa verantwortlich sind. Und dieser Schritt war bemerkenswert gut durchdacht, ich würde ihr als Außenministerin eine glatte Eins geben.

Die Aufgaben, die Russland bei diesem Treffen hatte, habe ich bereits genannt. Baerbock hatte ihre eigenen Aufgaben. Ihr Auftritt war auch für die deutschen Wähler gedacht, und es war ihr wichtig zu zeigen, dass sie sich von einem so erfahrenen Politiker wie Sergej Lawrow in keiner Weise herabsetzen lassen würde und ihre Wertepolitik fortsetzt. So sprach sie das Thema Nawalny an, die Frage des Verbots von Memorial usw. Aber das ist im Grunde das, was Angela Merkel immer tat. Baerbock betonte auf der Pressekonferenz, dass es ihr wichtig sei, den Dialog fortzusetzen, vor allem auf der Ebene der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft – das haben wir alles schon gehört, das ist nichts Neues. Außerdem hat sich Lawrow, der ihre Situation verstand, d.h. dass Baerbock ihr Image in ihrem eigenen Land festigen muss und dass wir Deutschland als Partner brauchen, so respektvoll wie möglich ihr gegenüber verhalten. Den Respekt, den eine Bundesministerin des Auswärtigen bekommen kann, hat sie bekommen. Das Einzige, was meiner Meinung nach von deutscher Seite nicht ausreichend bedacht wurde, ist die Frage des Verbots von RT in Deutschland. Hier hat die russische Seite deutlich gemacht: Ihr redet ständig von Bürgerrechten, aber ihr verletzt sie, hier wird offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen.

Was die praktischen Ergebnisse der Verhandlungen angeht, so erwartete niemand einen Durchbruch oder ein neues Abkommen. Es war in erster Linie ein Sondierungsgespräch. Der russische Standpunkt wurde noch einmal deutlich gemacht: Wir brauchen keine neuen Treffen, nur um uns zu treffen, wir brauchen Ergebnisse. Russland erwartet, dass Deutschland und Frankreich Druck auf Kiew ausüben werden. Der Verhandlungsprozess ist im Gange.

 

 

COMMENTS

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    Rudolf Tretter 2 Jahren

    Ich freue mich, dass die deutsche Ignoranz gegenüber Russland ein Ende gefunden hat und der Dialog zwischen beiden Ländern wieder aufgenommen wurde. Möge sich diese Diplomatie zu einem friedenführendem Miteinander aller Gesprächsparteien führen, Russland, Deutschland, EU-Staaten und der Ukraine.

    Ich wünsche mir ein friedvolles Europa unter allen Völkergruppen die auf diesem Kontinent leben !!

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    Horst Beger 2 Jahren

    „Eine glatte Eins“ ist im russischen Notensystem eine glatte Fünf, was die russische Expertin aus diplomatische Gründen natürlich nicht schreiben konnte. Immerhin hat Frau Baerbock alle vorbereiteten Fragen und Antworten fast ohne Fehler abgelesen und dafür eine gute Haltungsnote bekommen. Und wenn Herr Lawrow am Ende festhält, dass kein weiteres Treffen mehr notwendig ist, zeigt das, dass
    inhaltlich bei dem Treffen nichts herausgekommen ist.

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