Europa unter angelsächsischem DiktatRahr, Prof. Alexander © russlandkontrovers

Europa unter angelsächsischem Diktat

Die Bundesregierung hat einen großen Fehler begangen. Wer letztendlich die Entscheidung über die Ausweisung russischer Diplomaten getroffen hat: Er wird sich für die mutwillige Zerstörung der Beziehungen mit Russland irgendwann verantworten müssen. Denn die britischen Anschuldigungen gegenüber der russischen Regierung im Falle Skripals werden sich als falsch erweisen.

Leider bestimmen die angelsächsischen Kräfte heute alleine die sicherheitspolitische Agenda des Westens. Wenn London und Washington unbedingt ihren hybriden Krieg mit Russland führen wollen, sollen sich die europäischen Kontinentalmächte dort heraushalten. Wie vor fünfzehn Jahren im Irak-Krieg, der ebenfalls auf der Falschinformation über angebliche Massenvernichtungswaffen aufgebaut war.

Bei den Brexit-Verhandlungen waren die EU-Mitgliedsstaaten gegenüber London nicht zimperlich gewesen. Berlin, Paris und Brüssel haben ihre Bedingungen unerbittlich durchgesetzt. Wie kann es dann sein, dass ein Land wie Großbritannien, das eigentlich schon die EU verlassen hat, weiterhin die sicherheitspolitische Agenda des Westens bestimmt?

Dass sich praktisch alle EU-Staaten auf die britische Formel: „Es gibt keine alternative Erklärung für den Giftgasangriff als dass die russische Regierung dahinter steckt“ geeinigt haben, ist erschreckend. Russland hat klar erklärt, dass es mit dem Anschlag nichts zu tun hat. Die westliche Reaktion zeigt in erschreckender Weise, dass man Russland der Lüge bezichtigt. Das nach dem Ende des Kalten Krieges aufgebaute Vertrauen scheint völlig zerstört zu sein. Der führende russische Politologe Sergei Karaganov schreibt, was die meisten Russen heute denken: Der Westen hat Russland einseitig den neuen Kalten Krieg erklärt.

Berlin hätte zumindest die Auswertung des Giftgases durch ein neutrales Chemie-Institut abwarten müssen. Auch sollten Skripal und seine Tochter, nachdem sie aus dem Koma erwachen, zunächst Gehör finden. Die englischen Geheimdienste tappen ja immer noch im Dunkeln, was den Tathergang betrifft. Wer, wo und wie hat den Opfern das Gas verabreicht? Russische Chemiewaffenexperten sollten ebenfalls Zugang zu den Giftgas-Befunden in London erhalten, um mit ihren englischen Kollegen eine gemeinsame Expertise durchzuführen. Warum sagt Bundesaußenminister Heiko Maas, die russische Seite wolle nicht kooperieren? Warum diese Vorverurteilung, diese Eile? Um die Britten in der gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik zu halten? Und das um den Preis der vollständigen Zerrüttung der Beziehungen zu Russland?

Natürlich gibt es alternative Erklärungen für den Giftgasanschlag und sie müssen fairerweise, wie bei allen anderen Verbrechen auch, genau geprüft werden. Skripal kann ein Opfer der russischen Mafia in London geworden sein. Das Giftgas könnte aus Syrien eingeschmuggelt worden sein, wo es sowohl von den Regierungstruppen als auch von der Assad-Opposition eingesetzt wird. Auch hätte ein erbitterter Kreml-Gegner im Ausland wohl ebenfalls ein Motiv, Russland ein weiteres Mal an den Pranger zu stellen und zu versuchen, Russland die Fußball-WM abzunehmen oder die Energieallianz Russland-EU endgültig zu begraben. Geheimdienstoperationen unter falscher Flagge sind ein probates Mittel solcher Provokationen.

Innerhalb weniger Monate hat sich bezüglich Russland ein Narrativ entwickelt, das Schwindel erregend ist: Russland als Hort des Dopings im Sport, russische Diplomaten als Drogenschmuggler, russische Hacker als Wahlfälscher im Westen. Die Liste der Anschuldigungen lässt sich beliebig fortführen. Der breiten Öffentlichkeit im Westen wird ein Russland-Bild suggeriert, das schlimmer kaum sein könnte. Die russischen Rechtfertigungsversuche, das russische Narrativ – all das zählt längst als Propaganda, der man niemals Gehör schenken sollte.

Wohin führt die Eskalationsspirale, bislang nur im Informationskrieg, aber bald möglicherweise schon darüber hinaus. Im Kalten Krieg gab es stets Politiker, die trotz immer wieder aufkommender Krisen, nach Ansätzen einer Entspannungspolitik gesucht haben. Heute ist das kaum mehr der Fall. Warum? Ganz einfach: Weil die westliche Führungselite Russland nicht mehr ernst nimmt, nicht respektiert, als absolut schwach ansieht. Der Westen hat nach dem Zerfall der UdSSR das falsche Narrativ für Russland entwickelt. Er dachte, Russlands Zukunft läge alleine in der liberalen westlichen Demokratie. Diese Entwicklung sei alternativlos, schrieb man. Als Russland sich für einen anderen Weg entschied, wurde es jahrelang medial kaputtgeschrieben, das Bild einer marginalisierten Ex-Großmacht, der bald die Wirtschaft um die Ohren fliegt, hat sich in den Köpfen der Entscheidungsträger im Westen etabliert. Eine gefährliche und falsche Vorstellung, die der Westen schleunigst revidieren sollte, bevor alles zu spät wird.

Schließlich ein Wort über die vielgelobte westliche Humanität. Die Entscheidung der Bundesregierung, russische Diplomaten auszuweisen, hätte nicht an dem Tag der großen Volkstrauer in Russland nach der Brandkatastrophe von Kemerowo getroffen werden müssen. Berlin hätte wenigstens menschliche Solidarität mit den Russen in ihrem unendlichen Leid demonstrieren müssen.

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