Kein Friede in Sicht

[von Alexander Rahr] In wenigen Tagen findet der NATO-Gipfel in Den Haag statt, in neuer Besetzung: Donald Trump, Friedrich Merz, Mark Rütte werden zum ersten Mal die Geschicke der Allianz mitbestimmen. Der Gipfel wird Geschichte schreiben, denn eine Auseinandersetzung droht zwischen USA und Europa. Trump will den Ukraine Krieg durch eine Waffenruhe beenden und danach die Beziehungen zu Russland normalisieren. Die EU will die NATO auf einen Kriegskurs mit Russland führen.

Bundeskanzler Merz hat Vladimir Putin auf dem G-7 Gipfel einen Kriegsverbrecher genannt, mit dem man sich „nicht zusammen an einen Tisch setzen kann.“ Daraufhin hat Putin beim Sankt Petersburger Wirtschaftsforum Deutschland vor einem totalen Beziehungsbruch gewarnt, sollte Merz die Taurus-Raketen an die Ukraine liefern. Obwohl US-Präsident Trump auf eine diplomatische Friedenslösung für die Ukraine pocht, wollen die Europäer den Krieg weiter unterstützen – damit die Ukraine auf keinen Fall verliert. Die EU betrachtet die Ukraine als Teil seiner Hemisphäre seines Wertesystems und wird sie nicht an Russland „zurückgeben“.

Ein Friedensabschluss ist nicht in Sicht, Trump hat sich frustriert aus der diplomatischen Vermittlung herausgezogen, dem ukrainischen Präsidenten ist es gelungen, statt den USA, die Europäer stärker in den Krieg hineinzuziehen. Derweil will Putin die gesamten Territorien der bislang nur zur Hälfte eroberten Gebiete Zaporoschje und Cherson gewinnen, weil diese Gebiete seit 3 Jahren laut russischer Verfassung in den Staatenverband eingegliedert worden sind.

Einige Experten sind der Meinung, dass im neuen Brandherd im Nahen Osten – im israelisch-iranischen Krieg, anders als im Ukraine-Krieg, Atomwaffen zum Einsatz kommen könnten und die internationale Aufmerksamkeit von der Ukraine ablenken würde. Auf die Weltmacht USA trifft dies mit Sicherheit zu, denn Trump überlässt die Lösung des ukrainischen Konflikts den Europäern. Letztere, wiederum, glauben, dass Israel mit Unterstützung der USA den Krieg gegen den Iran sowieso gewinnen wird, also fokussieren Berlin, London, Paris ihre ganze Kraft auf die Ukraine.

Israel und die Ukraine – so die Lesart europäischer Politiker – sind Vorkämpfer der Demokratie gegen die Feinde der menschlichen Zivilisation. Kein Wunder, dass durch diese Art von Rhetorik die geopolitischen Konflikte weltweit zum Kampf der Zivilisationen ausarten. Sowohl Russland als auch der Iran sehen sich nämlich ebenfalls als ideologische Kämpfer der Gerechtigkeit gegen den „bösen Westen“.

Derweil gehen die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine weiter, eine Propagandaschlacht findet von allen Seiten statt, die ukrainische Wirtschaft und Armee wird nur durch westliche Hilfe aufrechterhalten, in Russland droht eine wirtschaftliche Rezession. Die EU will im nächsten Jahr Öl- und Gasimporte aus Russland verbieten, Moskau mit Sanktionen erdrosseln, doch solange China, Türkei und Indien Russland unter die Arme greifen, verpufft die Wirkung westlicher Sanktionen.

Noch ist die Erschöpfung der Kriegsparteien und ihrer Unterstützer nicht am Limit angelangt. Die russische Armee rückt weiter vor, während die Ukraine sich auf gezielte Drohnen-Attacken im russischen Hinterland fokussiert. Die Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine in Istanbul stehen erst am Anfang und könnten jederzeit an den utopischen Forderungen der Verhandlungsführer scheitern. Es scheint, als ob jede Seite darauf wartet, bis den anderen Kontrahenten die Puste ausgeht.

Der Krieg könnte somit bis ins nächste oder übernächste Jahr weitergehen. Diejenigen, die Anfang 2025 nach dem Wahlsieg Trumps mit einem Kriegsende noch vor dem Sommer gerechnet hatten, müssen bitter enttäuscht sein. Wer hätte gedacht, dass der Übergang von der monopolaren zur multipolaren Weltordnung, deren Zeuge wir sind, so kriegerisch vonstatten gehen würde. Der Westen jedenfalls will seine regelbasierte Ordnung für immer erhalten. Russland und die BRICS Staaten wollen sie in ihrem Sinn verändern.

COMMENTS

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    Prof. (h.c.) Peter Kustermann 3 Wochen

    Düstere Aussichten: Eskalation statt Entspannung

    Alexander Rahrs Kommentar „Kein Friede in Sicht“ zeichnet ein beunruhigendes Bild der globalen Lage, das sich durch den bestätigten Angriff der USA auf den Iran in der letzten Nacht noch verdüstert. Die Aussicht auf einen Flächenbrand im Nahen Osten wird dadurch realer denn je.Im Ukraine-Krieg herrscht tiefe Uneinigkeit: Während US-Präsident Trump eine Waffenruhe und Normalisierung mit Russland anstrebt, favorisiert die EU, insbesondere unter Bundeskanzler Merz, einen konfrontativen Kurs. Merz‘ harte Rhetorik und die potenzielle Taurus-Lieferung an die Ukraine zeigen die Entschlossenheit der EU, eine Niederlage der Ukraine um jeden Preis zu verhindern. Dies führt zu einer Pattsituation, in der die Ukraine maßgeblich von westlicher Hilfe abhängt. Trumps Rückzug aus der Vermittlung hat die Europäer stärker in den Konflikt hineingezogen, während Putin seine Eroberungsziele fortsetzt. Der Nahe Osten entwickelt sich zum neuen Brandherd. Die Möglichkeit eines Atomwaffeneinsatzes in der Region und der bestätigte US-Angriff auf den Iran rücken die globale Aufmerksamkeit unweigerlich von der Ukraine ab. Ein solcher Angriff erhöht die Spannungen massiv und steigert das Risiko einer unkontrollierbaren Eskalation drastisch. Die europäische Haltung, dass Israel mit US-Unterstützung siegen wird, erscheint angesichts der jüngsten Ereignisse nicht nur naiv, sondern potenziell gefährlich. Rahr kritisiert die Rhetorik, die Israel und die Ukraine als „Vorkämpfer der Demokratie“ darstellt. Diese Dämonisierung verwandelt geopolitische Konflikte in einen gefährlichen „Kampf der Zivilisationen“, da Russland und der Iran sich ebenfalls als Kämpfer für Gerechtigkeit sehen. Das erschwert diplomatische Lösungen erheblich. Wirtschaftlich scheinen die Sanktionen gegen Russland ihre volle Wirkung zu verfehlen, da China, die Türkei und Indien Moskau unterstützen. Die anhaltenden Konflikte und die noch nicht erreichte Erschöpfung der Kriegsparteien lassen einen langen, zermürbenden Krieg befürchten. Rahrs Fazit ist ernüchternd: Der Übergang zur multipolaren Weltordnung verläuft kriegerisch, mit einem Kampf zwischen der westlichen „regelbasierten Ordnung“ und den Veränderungsbestrebungen Russlands und der BRICS-Staaten. Die Welt steht am Scheideweg, und die Aussicht auf Frieden schwindet.

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    Horst Beger 3 Wochen

    Es ist keine Überraschung, dass auch mit dem 16. NATO-Generalsekretär Mark Rütte „kein Friede in Sicht ist“, denn die NATO war noch nie ein Friedensprojekt. Sie wurde mit dem Ziel gegründet: „Die Russen aus Europa zu halten, die Amerikaner drinnen zu halten und die Deutschen klein zu halten“, wie der 1. NATO-Generalsekretär das formuliert hat. Im Gegenteil, „obwohl der amerikanische Präsident Donald Trump auf ein diplomatische Friedenslösung drängt“, wie der Autor schreibt, wollen Deutschland und die Europäer den Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland in der Ukraine weiterführen und „die Ukraine nicht an Russland zurückgeben“. Von daher ist es berechtigt, wenn der Autor in diesem Zusammenhang von einem „Kampf der Zivilisationen“ spricht. Noch deutlicher ist es, von einem „Kampf der Kulturen“ zu sprechen, wie der amerikanische Geostratege und Politologe Samuel Huntington das in seinem gleichnamigen Buch von 1996 schreibt und darauf hinweist, dass das westliche(römische) Christentum das östliche(russische) Christentum seit dessen Bestehen bekämpft und, dass diese „Kulturgrenze“ auch die Ukraine in eine vom russischen Christentum geprägte Ostukraine und eine vom römischen Christentum beeinflusste Westukraine teilt, also ganz aktuell ist. Von daher kann man nachvollziehen, dass Russland in der Ukraine nicht nur seine geostategischen Interessen verteidigt, sondern auch „die christliche Russische Welt gegen die antichristliche Welt des Westens“. Das verstehen die einfältigen Atheisten des Westens natürlich nicht und die Antichristen leugnen das.

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      Horst Beger 3 Wochen

      PS: In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass der Namens-Vorgänger des neuen Papstes, Leo XIII. in einer Enzyklika von 1880 geschrieben hat: „Das russische Volk sei durch göttlichen Ratschluss berufen, das Christentum in die Zukunft zu führen. Dies dürfe sich aber nicht ohne die Mitwirkung der katholischen Kirche vollziehen.“ In der gegenwärtigen Politik wir das wohl so interpretiert, dass Russland deswegen vernichtet werden müsse.

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