Krieg in der UkraineAlexander Rahr

Krieg in der Ukraine

[von Alexander Rahr] Der 24. Februar wird, wie 9/11 in die Geschichte eingehen. Westliche Geheimdienste haben richtig gelegen, als sie einen militärischen Angriff Russlands auf die Ukraine prognostizierten. Zur Stunde ist unklar, ob Putin die Okkupation der gesamten Ukraine samt Regime Change in Kiew plant, oder ob er die Ukraine mit der Zerstörung der nationalen Militärinfrastruktur zur Neutralität und Absage an den Beitritt zum Westen „zwingen“ will.
Im ersten Fall würde die Kriegsgefahr in Europa so gross sein wie nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg. Es wäre das Ende jeglicher Entspannung, Abrüstung und Dialogs. Krieg, nicht Diplomatie würde die Beziehungen zwischen Russland und Westen auf Jahre hinaus bestimmen.
Der zweite Fall würde an den russisch-georgischen Fünf-Tage-Krieg von 2008 erinnern. Damals rückte die russische Armee, als Antwort auf den Angriff Georgiens auf die abtrünnige Republik Südossetien, bis zur georgischen Hauptstadt Tbilisi vor, zerstörte die gesamte Militärinfrastruktur des Nachbarlandes, und entriss Georgien die beiden separatistischen Republiken Abchasien und Südossetien. Die eigentliche Kriegsgefahr war aber schnell vorbei, es gab auch keine Sanktionen gegen Russland.
Putin hat die Ukraine vor die Wahl gestellt: entweder Krieg, oder Kapitulation Kiews und Annahme des Neutralitätsstatus‘. Die USA haben signalisiert, dass sie einen Krieg mit Russland (für die Ukraine) nicht führen wollen. Für Sicherheitsgarantien für die Ukraine ist es aber zu spät.
Der Westen wird versuchen, gegenüber Russland eine zweite Front aufzumachen: Wirtschaftssanktionen. Gemeinsam glauben USA und EU Russland mit massiven Sanktionen beikommen zu können, man geht von einer schnellen und massiven Beschädigung der russischen Wirtschaft aus. Russland sollen auf diese Weise die Mittel für die Kriegsführung weggenommen werden.
Klar ist, dass ein Abschalten Russlands vom internationalen Zahlungssystem SWIFT und ein Importstop für russische Energieträger die eigene europäische Wirtschaft ebenfalls massiv schädigen würde. Der Westen hat auch eingesehen, dass reine Wirtschaftssanktionen Russland seit der Ukraine Krise 2014 wenig anhaben konnten. Russland hat seine Wirtschaftsbeziehungen von der EU auf Asien umorientiert. Der Westen plant jetzt schmerzhafte Sanktionen direkt gegen die russische Elite und Bevölkerung, in der Hoffnung, dass Putin damit die Unterstützung in der Gesellschaft verliert und vielleicht gestürzt wird.
Letztendlich wird der Westen jetzt alles daran setzen, um sich von russischen Rohstofflieferungen unabhängig zu machen. Russland soll von der westlichen Wirtschaft radikal abgekoppelt werden.
Das alles wird viel Geld kosten. Schon jetzt beginnt aus der Ukraine ein Bevölkerungsexodus, der die Flüchtlingskrise von 2015 noch um ein Vielfaches übersteigern kann. Die Rohstoffabhängigkeiten des Westens von Russland sind kaum ersetzbar.
Putin wird das alles nicht beeindrucken. Er hat sich den Schritt genau überlegt. Er nimmt den historischen Bruch mit dem Westen in Kauf. Sein Plan ist die Schaffung der multipolaren Weltordnung, die nicht mehr vom Westen dominiert sein wird. Er verachtet seit Langem die Werte-orientierte Aussenpolitik der EU. Mit der Eurasischen Union schafft er in Osteuropa eine Alternative zum Westen. Die europäische Sicherheitsordnung – den Stop der NATO Osterweiterung – hat er auf diplomatischem Weg in Verhandlungen nicht in seinem Sinne beeinflussen können, deshalb greift er jetzt in der Ukraine zur Gewalt.
Wir stehen erst am Anfang der Eskalation. Weder Russland noch der Westen werden nachgeben. Beide Seiten sehen sich stark genug, die Gegenseite zu besiegen. Die Eskalation wird durch den hybriden Krieg, Propaganda- und Desinformationskriege auf beiden Seiten verstärkt werden. Der Kampf um die richtigen Narrative wird die nächsten Jahre prägen. Der Westen wird aus Prinzip die Ukraine mit allen verfügbaren Mitteln unterstützen. Der Angriff auf die Ukraine bedeutet für den Westen einen Angriff auf die europäische Friedensordnung. Russland und der Westen sind nicht mehr Gegner, sondern Feinde.
Eine Spaltung der Ukraine in Ost und West ist nicht mehr unrealistisch. Aber was bedeutet das für die europäische Sicherheitsordnung? Europa muss sich auf einen neuen Kalten Krieg vorbereiten. Russland und der Westen werden massiv aufrüsten. Beide Seiten werden versuchen, die Wirtschaft des jeweils anderen zu beschädigen. Wohlstand, humanitäre Beziehungen, Wirtschaftskontakte – werden massiv zurückgehen.

COMMENTS

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    Humml 2 Jahren

    Nun die Geschichte scheint etwas größer zu werden, als wir dachten – war man doch so an die Zurückhaltung der Russen in den letzten 30 Jahren gewöhnt.

    Rückblickend ist das eigentlich Erstaunliche die Zwangsläufigkeit der heutigen Ereignisse, die unmittelbar auf das Jahr 1999 zurückgehen, als Jewgeni Primakow seine US-Besuch abbrach, die Regierungsmaschine über dem Atlantik wenden ließ, nachdem er von der Bombardierung Belgrads durch die Nato erfuhr und weiter die Folge des Jahres 2001, als die USA aus dem ABM-Vertrag ausstiegen, was eine Kette von Ereignissen auslöste, in der die Münchner Sicherheitskonferenz 2022 der berüchtigte Tropfen gewesen sein dürfte, der das Faß zum Überlaufen brachte.

    Man nehme zu Kenntnis, die RF wird sich nun das Recht heraus nehmen, seine Sicherheit proaktiv zu verteidigen.

    Gleiches recht für alle.

    Während jedoch die Nato, allen voran die USA, ihre vermeintlichen Sicherheitsinteressen weltweit verletzt sehen, dieselbe ohne jede Rücksicht oder Skrupel militärisch zu wahren belieben – vor nicht allzu langer Zeit wurde Deutschland ja sogar im Hindukusch verteidigt – geschieht dies heute im Falle Rußlands vor dessen eigener Haustür – ein doch auffälliger Unterschied.

    Nun die Apologeten eines Regimes – sog. Linke, Grüne und Liberale konnten da bisher ihrer Begeisterung gar nicht Herr werden – eines Regimes, das so „braun“ ist, wie man es nach 1945 ohne weiteres sein kann, wenn es gegen den alt bewährte Untermenschen geht, können zetern und kreischen – sie werden sich daran gewöhnen müssen.

    Und all diejenigen, die da von ihren hinlänglich bekannten Allmachtphantasien nicht lassen können, „werden ihr Handeln bereuen, wie sie schon lange nichts mehr bereut haben“. (Putin am 21.04.2021)