Marija Kolesnikowa, Belarus: Millionen und Sanktionen der EU schaden dem DialogKai Ehlers

Marija Kolesnikowa, Belarus: Millionen und Sanktionen der EU schaden dem Dialog

Ein bemerkenswertes Gespräch konnte man in der Samstagsausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 29.08.2020[1] lesen. Die von dem oppositionellen Frauentrio nach den Zusammenstößen mit der belorussischen Staatsmacht im Lande verbliebene Marija Kolesnikowa, faktische Sprecherin des Koordinationsrates  der Opposition in Belarus gab Interventionen von Seiten der EU eine deutliche Absage.

Für die, die dieses Interview nicht selbst lesen konnten, hier das Wichtigste in Kürze:

Nach einer kurzen Skizze ihrerseits, dass die Protestbewegung sich nun von der Straße mehr in die Breite bewege, antwortet Frau Kolesnikowa auf die Frage, ob sie befürchte, dass der Machtkampf in Belarus nach den ersten Zusammenstößen zwischen Staatsmacht und Opposition „nun geopolitisch aufgeladen“ werde:

„Die Erklärung der EU, dass der Koordinationsrat  an der Verteilung von 53  Millionen Unterstützungsgeldern  für Belarus mitwirken soll,  hat uns sehr geschadet. Sie war für Lukaschenko ein Zeichen dafür, dass die EU versuche, die Situation von außen  zu beeinflussen, sich in die inneren Angelegenheiten von Belarus einmischen wolle.  Dem Koordinationsrat, gegen den ein Strafermittlungsverfahren  läuft, erweist die EU, die uns doch helfen will, so einen Bärendienst. Wir haben nie um Geld gebeten, haben im Gegenteil immer wie ein Papagei gesagt, dass wir mit unseren Problemen selbst fertig werden wollen.“

Auf Nachfrage, wie die EU sich denn verhalten sollte, ergänzt sie:

„Wenn es eine Chance auf Dialog  in Belarus gibt, könnte die EU zusammen mit Russland als Vermittler auftreten. Beide  sind an Belarus als normalem, funktionierendem Staat interessiert. Das würde uns sehr helfen.“

Und die Frage, ob denn nicht „das Risiko  eines russischen Eingreifens“ bestehe, beantwortet sie:

„Im Unterschied  zur traditionellen Opposition  in Belarus, die denkt, sie brauche keine Beziehungen zu Russland,  sind wir als Vertreter der Mehrheit überzeugt, dass wir die pragmatischen Beziehungen  mit Russland bewahren müssen. Das Land ist unser wichtigster Partner. Niemand hat vor, diese Beziehungen zu ändern. Vielmehr gibt es  die Idee, sie freundschaftlicher zu gestalten. Wir sehen, das Lukaschenko  nicht in der Lage ist, sie auszubauen, ständig gibt es  ‚Milchkriege‘, ‚Gaskriege‘, Geschäftskonflikte mit Russland.  Unsere Botschaft ist klar: Wir wollen die Beziehungen  bewahren und entwickeln, zum beiderseitigen Nutzen und Vorteil.“

Und weiter gefragt, ob sie „für oder gegen EU-Sanktionen gegen das Regime“ sei, legt  Frau Kolesnikowa schließlich nach:  „Als jemand, der zu Kompromissen und  Dialog aufruft, bin ich gegen Sanktionen.“

Sicher kann Frau Kolesnikowa nicht für den ganzen Koordinationsrat sprechen, der pluralistisch zusammengesetzt ist, der noch über kein kohärentes Programm verfügt und in dem auch antirussische, nationalistische Kräfte vertreten sind. Und unentschieden ist auch, ob und wie vom Ausland her in die Auseinandersetzungen in Belaruss eingegriffen werden wird.  Welches Gewicht die von Frau Kolesnikowa vertretene Position haben wird, muss sich zeigen.

Bemerkenswert ist aber, dass ausgerechnet die FAZ dieses Interview bringt, zudem noch auf der prominenten Innenseite des politischen Teils ihrer Ausgabe. Man darf das als Signal zur Vorsicht an die Adresse der politischen Etage verstehen  – wobei die Redaktion es sich allerdings nicht verkneifen kann, Frau Kolesnikowas Forderung nach Unterstützung der von ihr gewünschten Vermittlung durch „EU und Russland zusammen“ zu verkürzen. Stattdessen liest man da im Kopf des Textes die Formulierung: Frau Kolesnikowa „appelliert  an die EU in Belarus zu vermitteln und spricht sich gegen Sanktionen aus“. Zwar wird der Wunsch nach Vermittlung und die Ablehnung der Sanktionen erwähnt, aber die eindeutige Position Frau Kolesnikowas, die EU und Russland  sollten zusammen vermitteln, fällt glatt unter den Tisch. Diese Dimension eröffnet sich den Lesern und Leserinnen erst bei genauem Hineinschauen in den Text.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

[1] FAZ, Text: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/marija-kolesnikowa-im-gespraech-wir-sind-die-mehrheit-16927142.html

 

COMMENTS

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    Klatt,Hans 4 Jahren

    Vorfall Nawalny!!!!!
    Ich kann dieses ganze drum herum von der BRD nicht mehr hören über die Situation von H. Nawalny.
    Zu meiner Person selbst, bin fas 30 Jahre in der RF gewesen und habe dort einige Politiker kennengelernt in meinem Wirkungsbereich. Habe mich noch nie so wohl gefühlt , wie zu meiner Zeit in der RF. Auch nach meinem Berufsleben, ist der Kontakt in die RF bis dato nicht abgebrochen, sondern weiter forciert worden.
    So, nun zu H. Nawalny. Man muss wissen- und das ist in den Deutschen Nachrichten nicht so bekannt- dass Herr Nawalny und H. Chrodowski- die wohl beide das Ziel verfolgen, die RF umzukrempeln, was ich hoffe wohl nie gelingen wird- keine guten Verbündeten sind, sondern der eine möchte besser sein als der andere.
    Man muss sich heute auch die Frage stellen, ob der Kontrahent von H. Nawalny nicht seine Finger im Spiel hatte, denn Möglichkeiten aus dem Exil aus England, gibt es genügend.
    Die andere Frage, wenn dies so nun in der BRD festgestellt worden ist, warum hat Herr Nawalny die RF verlassen, -obwohl er Hausarrest hatte-????
    Also viele offenen Fragen sind seitens der BRD nicht beantwortet worden, so auch die Bitte des Außenministerium der RF, die nun festgellten Ergebnisse in die RF zu übermitteln.
    Warum wird seitens der BRD hier gemauert???
    Die Meinungsbildung einiger Politiker hier in der BRD ist unseriös und plaudern nur das nach, damit diese in der Presse erscheinen( Stoltenberg, Rüttgers, Merz etc.
    Hoffe nur, das es ein gutes Ende finden wird. Ach zu Nord Stream 2 muss ich sagen, hier hat das eine mit der Energieversorgung Deutschland und Europa nichts zu tun. Die RF hat auch die Möglichkeit generell die Transportleitung über die UA abzuschalten oder?
    Lassen Sie mich noch einen Satz zu den baltischen Staaten und Polen sagen. Die Baltischen Staaten haben in der Zeit der Sowjetunion gut gelebt. Die Polen wurden von Nazi Deutschland befreit und können sich auch nicht beklagen.
    Ach, was soll es noch.
    Dies ist meine persönliche Meinung zu den gesamten Sachverhalt.

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    Horst Beger 4 Jahren

    Die in dem Interview von Marija Kolesnikowa geäußerte Kritik und Ablehnung der von der EU angebotenen Millionenhilfen für die Oppositionsbewegung in Belarus und der einstimmig beschlossenen Sanktionen der NATO-EU gegen Weißrussland zeigen, dass man aus dem aggressiven Vorgehen in der Ukraine gelernt hat und bei dem geostrategischen Schachspiel um Belarus diesmal weniger offensiv vorgehen will. Und, dass ausgerechnet die russlandkritische FAZ das Interview geführt hat, bestätigt dies.

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