Merkel bei PutinRahr Prof. Alexander © rahr

Merkel bei Putin

[Alexander Rahr] Bundeskanzlerin Angela Merkel macht ihre erste Auslandsreise im neuen Jahr (man kann sagen: zu Beginn des neuen Jahrzehntes) nach Moskau. Das Treffen mit Vladimir Putin am Samstag hat Symbolcharakter. Russland und Deutschland konferieren darüber, wie die Stabilität der brüchigen Weltordnung wieder hergestellt werden kann. Mit den USA über die multipolare Weltordnung zu reden, macht für Merkel scheinbar wenig Sinn. Präsident Donald Trump berät sich nicht, er befiehlt nur noch seinen Verbündeten und züchtigt sie, wenn sie ihm nicht gehorchen, mit Sanktionen. Was er auch im Nahen und Mittleren Osten tut – die Europäer werden von ihm vor vollendete Tatsachen gestellt. Trump braucht auch keine europäische Diplomatie als Konkurrenz zur amerikanischen.

Putin und Merkel werden mehrere Brennpunkte der Weltpolitik zu besprechen haben. Die Außenminister und die wichtigsten außenpolitischen Berater beider Länder sind dann anwesend. Es geht zunächst darum, Schlimmeres zu verhüten. Sollte der Iran tatsächlich seine Atombombe bauen, werden die USA Teheran mit allen Mitteln stoppen und dort militärisch intervenieren. Der Iran wird dann womöglich Israel angreifen. Eine Eskalationsspirale würde die gesamte Region erschüttern – Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen droht weitere Destabilisierung und Staatszerfall. Folge der dramatischen Entwicklung wird das Erstarken des islamischen Fundamentalismus sein, Europa stünde dann eine neue Flüchtlingswelle bevor.

Der vom Westen unterstützte „arabische Frühling“ ist gescheitert, mehrere arabische Staaten sind auseinander gefallen, der terroristische Islamische Staat formiert sich neu, die USA werden aus dem Nahen und Mittleren Osten verdrängt, Russland und die Türkei agieren dort zunehmend als eigenwillige Ordnungsmächte, die Europäer sind Zaungäste – zu schwach, um auf die katastrophale Entwicklung Einfluss zu nehmen. Die Region wird zum Pulverfass, wenn sie implodiert, reißt sie Europa mit in den Strudel.

Putin hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er mit dem Westen im Nahen und Mittleren Osten kooperieren möchte, vorausgesetzt, der Westen nimmt ihn ernst. Inzwischen mag Merkel zur Einsicht gekommen sein, dass über eine erfolgreiche Friedenssicherung in der Region eher mit Moskau als mit Washington zu verhandeln sei. Würde Einigung erzielt werden, müsste auch die EU ihre Blockadehaltung gegenüber Russland aufgeben. Jedenfalls demonstriert Merkel mit ihrem Russland-Besuch, dass Deutschland und die EU eine eigene Russland-Strategie suchen, anstatt sich vor den Karren der US-Eindämmungspolitik gegen den Rest der Welt einspannen zu lassen.

Ein möglicher Krieg im Iran ist die größte Bedrohung für die Weltpolitik. Entschärft werden kann der Konflikt nur durch die Rettung des von der Weltgemeinschaft damals ausgehandelten Atomdeals. Iran verzichtet auf den Bau der Atombombe – dafür werden alle Sanktionen aufgehoben und das Land zurück in den Welthandel integriert. Doch die USA wollen den Iran für seine früheren „Vergehen“ bestrafen. Ein gemeinsames Vorgehen der EU, Russlands und Chinas funktioniert heute nicht, weil Russland und die EU wegen der Krim-Annexion und dem Krieg in der Ostukraine im Clinch liegen, sich gegenseitig mit Sanktionen belegen und weil sie völlig unterschiedliche Auffassungen darüber vertreten, wie künftig mit Syrien und dessen Präsidenten Assad zu verfahren sei. Zwischen Russland und der EU herrscht überdies ein Wertekonflikt.

Merkel kann nicht das Ende ihrer Kanzlerschaft mit einer neuen Massenmigration einläuten. Sie möchte einen rühmlicheren Abgang. Die Ironie der Geschichte ist, dass ihr dabei Putin und Erdogan praktisch mehr helfen können, als Trump. Sie weiß, dass der Schlüssel zur Stabilität in der Region nicht mehr in Washington, sondern in Moskau und Ankara liegt. Sie wird vielleicht über ihren Schatten springen und in Moskau auf einige der Positionen Putins eingehen, dazu gehören die de facto Einfrierung des Konfliktes im Donbass, ein gemeinsamer Stabilitätspakt für das geschundene Syrien und ein Einstieg in den Ausstieg aus den Sanktionen.

Doch der eigentliche Kraftakt steht der Kanzlerin noch bevor, wenn sie die restlichen Europäer davon überzeugen muss, dass Amerika immer weniger Partner – und Russland kein Feind des Westens ist.

Auch Putin muss Zugeständnisse machen, um sich mit der EU aufs Neue zu verständigen. Im Ukraine-Konflikt hat er das schon gemacht. Die Wirtschaftskonjunktur in Russland lahmt; Russland benötigt den Westen weiterhin als Modernisierungspartner. Mächtige Wirtschaftslobbys und die Konsumgesellschaft in Russland drängen den Kreml zu einer positiveren Agenda mit dem Westen. Verlorenes Vertrauen muss wieder hergestellt werden; Merkels Moskau-Trip wäre der erste Schritt dazu.

COMMENTS

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    Anja Böttcher 4 Jahren

    Ich würde es gerne glauben, dass Merkel auch nur einmal das Rückgrat hat, sei es zum Ende ihrer Kanzlerschaft, auch nur die berechtigten Interessen der Europäer, in Frieden und Stabilität zu leben, zum Maßstab ihrer Politik zu erheben, als die Subalternität gegenüber den tyrannischen Hasardeuren und Kriegsverbrechern jenseits des Atlantiks.

    Allein mir fehlt der Glaube.

    Was das Überzeugen der europäischen Regierungen betrifft, denke ich, dass – da die deutsche Regierung – zur Frustration der deutschen Bevölkerung – bei der Eskalation gegen Russland, auch zum eigenen Schaden, meistens im Sinne der US-Eliten den Zuchtmeister anderer Europäer gespielt hat, wird wohl kaum Hindernisse für die Zustimmung Frankreichs, Italiens, Österreichs, Belgiens, Griechenlands, Spaniens und Portugals geben. Das dürfte locker eine Mehrheit sein.

    Osteuropa jedoch gilt es nur aufzufordern, eine ehrliche Wahl zu treffen: Sollten sie weiter nichts schöner zu finden, als die Hilfssherrifs für dieses jedes internationale Vertragswerk und jede Vereinbarung verachtende mörderische US-Establishment zu spielen, dann wird es ja wohl eine Ehrensache sein, wenn das schiefgeht, diesmal anstelle der Westeuropäer komplett die Konsequenzen dafür zu tragen.

    Auch um ihren engen internationalen Horizont zu erweitern, sind doch Polen, Balten, Kroaten, Ungarn und Rumänen sicherlich bereit, ab jetzt jeden Flüchtenden aus dem Nahen Osten bei ihnen willkommen zu heißen. Das wäre auch gar nicht so schlecht für die Demographiie.

    Wenn sie aber weiterhin pauschal erklären, Muslime passten nicht in ihre Gesellschaften, dann haben sie auch nicht dazu beizutragen, dass jene fliehen müssen.

    Ich wette, unter diesen Bedingungen würde jedes Plebiszit in diesen Ländern zu Gunsten einer Verständigung mit Russland ausfallen.

    Ob dazu aber die heftig in US-Thinktanks, transatlantischen Netzwerken und in Fellowships an US-Universitäten auf Erfüllung ihrer Beihilfe zum Erhalt der US-Tyrannei über Europa herangezüchteten Postenbesitzer im „neuen Europa“ in der Lage sind, anderes zu tun, als die Bevölkerung das will, wage ich gleichfalls zu bezweifeln.

    Wie schrieb Friedrich Hölderlin:“ denn wo einmal ein menschlich Wesen abgerichtet ist, da dient es seinem Zwek, da sucht es seinen Nuzen.“

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