PARISER GEHEIMNISSE – Oder wer die Verhandlungen in der Normandie Vier gewonnen hat

PARISER GEHEIMNISSE – Oder wer die Verhandlungen in der Normandie Vier gewonnen hat

Ich folge weiterhin der Regel: Nimm dir Zeit, um zu beurteilen, was passiert ist. Denn auf der heißesten Strecke sehen Ereignisse vielleicht nicht so aus, wie sie in zwei oder drei Tagen aussehen werden. Der Gipfel des Normandie-Quartetts in Paris bildet da keine Ausnahme.

Andrej Kolesnikow, Korrespondent der Moskauer Zeitung Kommersant, der während des Gipfels des Normandie-Quartetts in Paris anwesend war, konnte hören, was Angela Merkel zu Wladimir Putin sagte, als die Spitzenpolitiker gemeinsam zur Pressekonferenz gingen. Merkel sagte: „Wladimir, heute bist du der Gewinner.“

Im Prinzip war im Vorfeld klar, dass in Gesprächen mit politischen Schwergewichten wie Putin, Merkel und Macron der junge ukrainische Präsident Wladimir Selenski zum Scheitern verurteilt war. Er kam nach Paris in der Hoffnung, zumindest Merkel und Macron davon überzeugen zu können, die Minsker Abkommen und die so genannte „Steinmeier-Formel“ zugunsten der Ukraine zu überdenken, stolperte aber sofort über die eiserne Logik des professionellen Juristen Putin. Das Ergebnis ist, so glaubt Oleksiy Chesnakow, der auch am Gipfel teilnahm, dass „der Präsident der Ukraine zum ersten Mal die Verpflichtungen seines Landes dokumentiert hat, die Minsker Abkommen wörtlich und vollständig umzusetzen“. Und ebenso der „Steinmeier-Formel“ zu folgen. Mit anderen Worten, er hat offiziell zugegeben, dass es die Ukraine war, welche die Minsker Abkommen nicht eingehalten hat. Obwohl Russland sanktioniert wurde. Und er hat das Kommuniqué mit seiner Unterschrift versehen. So schien also alles klar? Aber klar?

Schon am nächsten Tag, nach der Rückkehr nach Kiew, wo eine Menge Nationalisten auf Selenski  warteten, appellierte der Präsident der Ukraine an die Führer der Europäischen Union, die Sanktionen gegen Russland zu verschärfen, weil Russland die Minsker Abkommen nicht umsetze! Darüber hinaus veröffentlichte die offizielle Website des ukrainischen Präsidenten eine extrem verzerrte Version des Kommuniqués. Die deutsche Zeitung BILD, deren Journalisten die Dokumente wahrscheinlich nicht gelesen haben, schrieb, dass das Kommuniqué Russland verpflichte, seine Truppen aus Donbas abzuziehen. Natürlich steht in dem Dokument nichts dergleichen, ebenso wenig wie über die russischen Truppen im Donbas. Dennoch reichten selbst diese oben aufgeführten Täuschungen und Tricks nicht aus, um die Nationalisten zu beruhigen. Am nächsten Tag brachen Dutzende von Kämpfern in die Werchowna Rada ein und schlugen Parlamentarier zusammen, meist Mitglieder der Präsidentschaftsfraktion „Diener des Volkes“. Ich denke, dass nicht nur diese Art von Offenbarung, sondern auch alle möglichen üblen Handlungen in naher Zukunft auf uns warten.

Grundsätzlich möchte ich in einem solchen Fall, in dem Hunderttausende von Menschenleben auf dem Spiel stehen, nicht von Gewinnern und Verlierern sprechen. Schließlich geht es um Versuche, den Krieg zu stoppen, um Versuche, weitere Verluste an Menschenleben zu verhindern. Und einiges wurde erreicht. So wurde beispielsweise vereinbart, Gefangene auszutauschen und bis zum 31. Dezember 2019 einen Waffenstillstand auf der gesamten Kontaktlinie zu gewährleisten. Das ist eine gute Sache. Aber dann kam eine  Offenbarung von Selenski: „Um die Wahrheit zu sagen, ich weiß nicht, wie ich den Waffenstillstand kontrollieren soll. Wir haben uns schon oft darauf geeinigt, aber alles ist zusammengebrochen.“

Er weiß es nicht, aber alle anderen wissen schon lange, was der Grund dafür ist. Erstens, es ist höchste Zeit zuzugeben, dass es einen Bürgerkrieg in der Ukraine gibt. Es ist ein Bürgerkrieg. Und nichts anders. Alle offiziellen Dokumente dokumentieren seit langem, dass Deutschland, Frankreich und Russland nur Vermittler sind, und der Krieg zwischen der offiziellen Ukraine und den nicht anerkannten Republiken Donbas stattfindet. Daher ist es notwendig, eine Einigung mit ihnen zu erzielen. Nicht mit Russland und nicht mit Putin. Natürlich wäre es töricht, nicht zuzugeben, dass Russland Einfluss auf diese Republiken hat.  Hat es. Aber wenn Russland beginnt, gegen ihre Interessen vorzugehen, wird dieser Einfluss sofort verschwinden.

Zweitens ist es offensichtlich, dass Selenski keine Macht über seine eigenen Strafverfolgungsbehörden hat. Und vor allem über die nationalistischen Bataillone nicht. Sie hören auf ich nur, wenn die Interessen des Präsidenten mit ihren eigenen übereinstimmen, ebenso wie mit den Interessen derer, die an diesem Krieg riesige Summen verdienen. Übrigens hat Selenski in Paris auch versucht, den Westen zu erschrecken: Wenn der Westen ihn nicht unterstütze, würden die Nazis an die Macht kommen. Das erinnert an das Verhalten des ehemaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin in den 90er Jahren. Er schreckte den Westen damit, dass die Kommunisten an die Macht zurückkehren könnten.

Und schließlich noch eine Sache. Der Präsident des Landes konnte keine umfassenden Verhandlungen führen, wenn ihm zu Hause eine Reihe von Ultimaten gestellt und so genannte „rote Linien“ gezogen wurden, die er nicht übertreten durfte, weil er sonst sofort als Verräter der Interessen der Ukraine angesehen worden wäre. Also bemühte er sich, nicht über sie hinauszugehen, um seinen eigenen Nationalisten zu gefallen. Oder aus Angst vor ihnen. Dies brachte den Verhandlungen keinen Nutzen, da zu keinem der Themen eine politische Einigung erzielt wurde.

Aber ein Gewinner der Verhandlungen fand sich noch. Zwar nahm er selbst nicht an den Verhandlungen teil und durfte nicht in den Verhandlungsraum. Aber er schaffte es, in den Festsaal zu gelangen, nachdem  die führenden Gesprächsteilnehmer ihn verlassen hatten. Dort nahm er seinen Wein und seine Sandwiches. Wer war dieser Gewinner? Es ist der ehemalige Chef des Charkower Marktes,  jetzt der Innenminister, Anführer der nationalistischen Bataillone und anderer Sicherheitsbehörden, Arsen Avakow. Er kam nach Paris, wahrscheinlich um seinen eigenen Präsidenten zu kontrollieren. Und nach den Verhandlungen gab er für die Seinen eine Erklärung direkt vor den Fernsehkameras ab: „Es gibt keinen Verrat. Man kann sich verteilen.“ Und die Menge Nationalisten der Nationalisten, die sich in der Nähe der Präsidialverwaltung versammelt hatten, begann sich zu zerstreuen.

Nein, Frau Merkel, Sie haben den Gewinner nicht erraten.

            Yefim Bershin

Übersetzung: Kai Ehlers

Im russischen Original >>>

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