Politischer Zustand: destruktiv wie museal

Kommentar von Dr. Gerhard Mersmann

Wir leben in einer Welt, in der verschiedene Imperien in Konkurrenz zueinander stehen und um Vorteile streiten. Das ist nichts Neues, sondern eine historische Konstante. Als größtes Volk in Zentraleuropa hat Deutschland besonders seit 1871 eine wichtige Rolle gespielt. Sie war gekennzeichnet durch einen kometenhaften Aufstieg durch Wissenschaft, Kultur und Technik. Und sie war gekennzeichnet durch verschiedene fehlgeschlagene Versuche, sich in den Kreis global agierender Imperien zu begeben. Die beiden verheerendsten Versuche waren die Weltkriege im 20. Jahrhundert. Seit der Niederlage von 1945 war das Land gespalten und geriet unter die Observanz zweier Imperien, die im II. Weltkrieg kooperierten und danach als zwei antagonistische Kontrahenten um die globale Herrschaft fochten: UdSSR und USA.

Die Bundesrepublik konnte unter dem militärischen Schirm der USA ökonomisch erfolgreich agieren, die DDR entwickelte sich innerhalb des COMECON zu einem potenten Faktor. Aufgrund der unterschiedlichen Steuerungsphilosophien und Eigentumsverhältnisse sind vergleichende Bewertungen nicht immer hilfreich. Entscheidend ist, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten stattfand, zu den Bedingungen der USA und der Bundesrepublik. Was nicht in Angriff genommen wurde, war eine Neuorientierung des wiedervereinten Deutschland unter einer eigenen, souveränen Führung, mit einer von allen Deutschen mit gestalteten Verfassung und frei von militärischer Besatzung. Die Fortexistenz unter dem Schirm der USA führte in die nächste Verwerfung, die aus der Vorstellung resultierte, den Folgestaat der Sowjetunion nicht als verhandlungsfähigen Partner, sondern als Zaungast zu betrachten, dem das Agieren nach den eigenen imperialen Vorstellungen nach Belieben auftischen zu können.

Die aus dem Triumphalismus resultierende Arroganz hat zu dem Konflikt geführt, der heute unter dem Begriff der Ukraine zu verstehen ist. Dass nun die neue Administration der USA die alte Strategie bereit ist zu revidieren und mit Russland zu einem Verhältnis kommen will, das aus geostrategischen Erwägungen den USA zugute kommen könnte, hat die politischen Frontlinien in Europa dramatisch verändert. Und dass die deutsche Politik diese Veränderung nicht bereit ist zu nutzen und sich aufmacht, einen Krieg weiter zu befeuern, der bereits verloren ist, spricht dafür, dass Teile der Gesellschaft den Sinn für die Realität verloren haben und andere Akteure wiederum fettgedruckt auf den Gehaltslisten der Kriegsindustrie stehen. Es birgt als Konsequenz eine existenzielle Gefahr für Deutschland als Nationalstaat in der jetzigen Form.

Das systematisch betriebene Versäumnis, mit einer alle vereinenden Verfassung und nationaler Souveränität den Weg in die Zukunft zu beschreiten, wendet sich nun in eine fatale Auflösungsbewegung. Eine alternde Gesellschaft, die in allem Neuen zunächst das Risiko sieht, die mehr den Missbrauch als den Nutzen im Visier hat und die sich dabei eingerichtet hat, für alle eigenen Versäumnisse propagandistisch konstruierte Feindbilder verantwortlich zu machen, macht nicht den Eindruck, als wäre sie in der Lage, den Kurs zu ändern.

Ein „Weiter so!“ ist dazu geeignet, die Abwärtsbewegung zu beschleunigen. Sollte dieses noch existierende Gebilde, das sich Deutschland nennt, noch eine Perspektive haben, dann kann es nur durch ein gewaltiges Stoppschild signalisiert und durch eine radikale Veränderung der Politik bewerkstelligt werden. Dazu wird eine Strategie benötigt, die von der Bevölkerung getragen wird. Das, was wir momentan erleben, ist destruktiv wie museal.

COMMENTS

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    Horst Beger 1 Monat

    Eine tiefer liegendere Ursache für den „destruktiven politischen Zustand des noch existierenden Gebildes, das sich Deutschland (und Europa) nennt“, ist das in zwei Weltkriegen untergegangene sogenannte christliche Abendland. Zwar haben die katholischen Gründungsväter der europäischen Union mit den Römischen Verträgen von 1957 versucht, das untergegangene „christliche Abendland“ noch einmal wieder zu beleben. Und in den Vorgesprächen saß der römische Kardinal Tisserant mit am Tisch, der im gleichen Jahr in Rom ein kleines Frauenkloster nach orthodoxem Ritus errichten ließ, in dem er in ununterbrochenem Gebet für die „Einheit“ der christlichen Kirchen beten
    lässt, das heißt für den Alleinvertretungsanspruch der römischen Kirche. Dass die Gebete einer Kirche, „die dem Geist in der Wüste dient“, wie der Dichterphilosoph Fjodor Michailowitsch Dostojewski das in seiner Erzählung „Der Großinquisitor“ literarisch ausgedrückt hat, ist nicht verwunderlich. Es zeigt aber eine tiefer liegendere Ursache des „propagandistisch konstruierten Feindbildes Russland und des Ukraine-Konfliktes“.

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    Stephan, karl Ulrich 1 Monat

    Danke Herr Meersmann – endlich habe ich Kommentare gefunden , die mir einen erhellenden Einblick in die hintergründig destruktive Gedankenwelt des Landes gibt das ich mag, aber es wird von einer schrecklichen politisch ökonomischen Klasse beherrscht

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