Putin: 2024 keine anschließende AmtszeitSchneider, Prof. Dr. Lic. Eberhard © Schneider

Putin: 2024 keine anschließende Amtszeit

Auf einem Treffen mit Leitern und Chefredakteuren internationaler Nachrichtenagenturen im Rahmen des XXII. Internationalen Petersburger Wirtschaftsforums Ende Mai antwortete Präsident Wladimir Putin auf die Frage nach einer dritten Amtszeit:

„Ich habe immer streng die Verfassung beachtet und beachte sie. Die Verfassung schreibt klar vor: nicht mehr als zwei Amtszeiten hintereinander. Gegenwärtige befinde ich mich in der zweiten Amtszeit. Wie sie sich erinnern, war ich zweimal vorher Präsident, und danach verließ ich den Posten des Präsidenten, weil die Verfassung es nicht erlaubt, ein drittes Mal gewählt zu werden, das ist alles. Und ich beabsichtige, mich in Zukunft an diese Regel zu halten.“[1]

Dem steht das Ergebnis einer Umfrage des Moskauer Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum entgegen, die am 19. Juni veröffentlicht wurde, wonach 51 % der Befragten nach 2024 Putin in einer dritten Amtszeit sehen wollen, 27 % nicht.[2]

Es ist wohl davon auszugehen, dass Putin 2024 nicht erneut als Präsident kandidieren wird. Dann stellt sich die Frage, wer Putins Favorit für dieses Amt sein wird. Werden wir ein Déjà-vu erleben und wird der heutige Premier Dmitrij Medwedew 2024 wie 2008 für das Präsidentenamt kandidieren?

In der Tageszeitung „Moskowskij komsomolez“ äußerten sich dazu am 9. Juni mehrere prominente russische Politikwissenschaftler[3]: Nach Meinung von Dmitrij Oreschkin spielen in der Nachfolgefrage bei Putin zwei Faktoren eine Rolle. Der eine ist psychologischer Natur und betrifft die Einstellung Putins, dass er niemandem vertrauen kann. Selbst wenn er – wie er damals 1999/2000 Boris Jelzin nach dessen Rücktritt als Präsident versprochen hatte, nicht gegen ihn vorzugehen, was Putin eingehalten hat – von seinem Nachfolger ein ähnliches Versprechen erhalten sollte, so würde Putin nicht glauben, dass es eingehalten wird. Putin kennt seine Untergebenen gut. Er versteht, dass, sobald die Mittel des Staates, ihn zu schützen, verloren gehen, jeder über ihn herfallen wird, egal ob fair oder nicht fair.

Der zweite Faktor betrifft die machtpolitische Realität in Russland. Unter Jelzin gab es eine Gewaltenteilung, so dass die Staatsduma und auch das Verfassungsgericht in Konflikte zum Präsidenten geraten konnten und der Präsident mit ihnen Probleme hatte. Putin hat das alles radikal geändert, denn er ist jetzt de facto das Oberhaupt sowohl der Exekutive als auch der Legislative, der Justiz und der Militärmacht. Das bedeutet, dass, wenn jemand nach Putin mit dem gleichen Satz von Befugnissen an die Macht kommt, kein Gericht, kein Parlament, keine Presse, keine Staatsanwaltschaft Putin wird schützen können. Er wird schwach und wehrlos sein. Und wenn der Nachfolger es für notwendig hält, seinen Vorgänger aufzugeben, um die Beziehungen zum Westen aufzubauen, dann wird niemand Putin helfen.

Der Direktor des Moskauer „Instituts für politische Studien“, Mitglied des „Rats für Außen- und Sicherheitspolitik“ und Ko-Vorsitzender des „Rats für nationale Strategie“, Sergej Markow, ist der Meinung, dass es noch zu früh ist, über einen Nachfolger für Putin zu sprechen, weil es in der heutigen Zeit sehr schwer ist, Voraussagen zu treffen, da die Situation sich sehr schnell ändern kann. Die „Ein-Kanal“-Auswahl hält Markow für weniger als 50 % für wahrscheinlich. Er deutet zwei weitere Varianten an: Putin wählt drei seiner Verbündeten aus und bietet ihnen einen fairen Wettbewerb bei demokratischer Wahl an. Möglich wäre auch der Übergang zu einer kollektiven Führung in Form einer Art Staatsrat an der Spitze des Staats, in dem Putin die wichtigste Person sein wird.

Alexander Baunow vom Moskauer Carnegie Center ist sich ziemlich sicher, dass die Wahl eines Putin-Nachfolgers noch nicht getroffen wurde. Sie wird bis zum letzten Moment hinausgezögert werden, um die Loyalitäten der politischen Klasse und der Verwaltungsbürokratie nicht zu spalten zwischen Putin und dem Nachfolgekandidaten. Die Entscheidung 2024 wird nicht unter extremem Druck getroffen werden. Gute Chancen hat Medwedew, an zweiter Stelle rangiert ein Gouverneur.

Am 21. August 2017 veröffentlichte die 2002 entstandene Stiftung „Peterburgskaja politika“ („St. Petersburger Politik“) ein Rating von zwanzig möglichen Putin-Nachfolgern.[4] Bei dem Rating wurden folgende fünf Kriterien verwendet: Öffentlichkeit (Ausmaß der Anwesenheit des Nachfolgekandidaten in der Kohorte der bekannten Medien), Erwartung (Stellung im Interpretationsraum der Eliten und der Expertenkommunität einschließlich des nicht-öffentlichen Bereichs), Aktivität (Niveau der Ambitionen des Kandidaten und indirekter Indikator für die Zustimmung zu den Aktivitäten des Kandidaten seitens der höheren Führung), Nicht-Umstrittenheit, Subjektivität (Kontrolle einflussreicher Clans und/oder von Ressourcenströmen). Die ersten drei Kandidaten sind folgende in Rangfolge:

Rang Name Öffent-lichkeit Erwar-tung Akti-vität Nicht-Um-stritten-heit Subjek-tivität Summe
1 MEDWEDEW, Dmitrij, Premier seit 2010, geb. 1965 5 5 5 3 3 21
2 SOBJANIN, Sergej, Meïr Moskaus seit 2010, geb. 1958 5 4 5 3 2 19
3 DJUMIN, Alexej, Generalleutnant, Gouverneur des Gebiets Tula seit 2016, geb. 1972 3 5 2 4 4 18

 

Aus der Tabelle ist zu ersehen, dass Medwedew die größten Chancen für die Putin-Nachfolge hat. Hinzu kommt, dass Putin schon einmal ihm vertrauen konnte, weil Medwedew 2012 bereit war, auf seine zweite Präsidentschaftskandidatur zugunsten Putins zu verzichten. An zweiter Stelle rangieren zwei Gouverneure, der Oberbürgermeister von Moskau, Sergej Sobjanin, und der Gouverneur des Gebiets Tula, Alexej Djumin.

Für die Beurteilung der Kandidaturchancen Sobjanins dürfte es wichtig sein, mit wieviel Prozent er am 9. September wiedergewählt wird. Sobjanin war von 2001 bis 2005 Gouverneur des erdölreichen Gebiets Tjumen, anschließend leitete er die Präsidialadministration bis 2008 während der Präsidentschaft Putins, dann übernahm er bis 2010 die Leitung des Regierungsapparats im Range eines Stellvertretenden Regierungschefs, als Putin Premier war.

Djumin war nach Abschluss seines Studiums im Moskauer Militärbezirk eingesetzt zur Abwehr von technischer Spionage. 1995 trat er in den Föderalen Schutzdienst (FSO) ein und war in der Präsidentenschutzverwaltung tätig. Als Putin 2008 Regierungschef wurde, war er dessen persönlicher Adjutant. 2012 wurde er Stellvertretender Leiter des FSO. 2014 stieg er zum Stellvertretenden Leiter des russischen Militärgeheimdienstes (GRU) auf und hatte eine Schlüsselrolle bei der Krimoperation im Februar 2014 inne, die zur Vereinnahmung der Halbinsel durch Russland führte. Er leitete auch die Notevakuierung des damaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch aus der Ukraine. 2015 stieg Djumin zum Ersten Stellvertretenden Befehlshaber der Bodentruppen auf. Im Dezember 2015 ernannte Putin Djumin zum Stellvertretenden Verteidigungsminister.

Ein weiteres Szenario zur Frage der Putin-Nachfolge veröffentlichte am 23. Oktober 2017 der Gründer und Direktor des 1996 geschaffenen „Zentrums für Studien zur postindustriellen Gesellschaft“, Wladislaw Inosemzew, unter der Überschrift „Putin an der Kreuzung“.[5] Dieses Szenario beinhaltet die Umwandlung Russlands in eine parlamentarische Republik, in der die exekutive Machtfülle nicht mehr beim Präsidenten liegt, sondern beim Premier, der vom Parlament gewählt wird. Dies würde Putin erlauben, bis zum Ende seiner Tage an der Macht zu bleiben, wenn er jeweils von der Parlamentsmehrheit immer wieder zum Regierungschef gewählt wird, es sei denn, unerwartete Ereignisse kämen dazwischen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Szenario im Jahr 2024 eintritt, schätzt Inosemzew auf 50 %. Nach der nächsten Staatsdumawahl 2021 könnte es umgesetzt werden.

Sollte sich Putin, so ist zu schlussfolgern, 2024 – wie 2008 – auf die Position eines Premiers zurückziehen, könnte er diesen Schritt benutzen, um Russland in eine parlamentarische Republik zu verwandeln. Er könnte das damit begründen, was er 2008 noch nicht wollte, dass, wenn eine so machterfahrene Führungspersönlichkeit wie er das Amt eines Premiers übernimmt, dieses Amt machtpolitisch entsprechend ausgestattet sein muss.

[1]              https://news.rambler.ru/politics/39944902-putin-vyskazalsya-o-dalneyshem-prezidentstve/

[2]              https://www.levada.ru/2018/06/19/polovina-rossiyan-hochet-videt-putina-prezidentom-i-posle-2024-goda/

[3]              http://www.mk.ru/politics/2018/06/09/preemnikom-putina-v-2024-godu-stanet-medvedev.html

[4]              https://fpp.spb.ru/fpp-top-successors

[5]              https://snob.ru/selected/entry/130376

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