Putins JahrespressekonferenzSchneider, Dr. Lic. Eberhard © Schneider

Putins Jahrespressekonferenz

Die jährliche Pressekonferenz Präsident Wladimir Putins, die wie immer live im Fernsehen und im Rundfunk übertragen wurde, fand am 17. Dezember 2020 statt, diesmal unter Corona-Bedingungen: Putin sprach aus seiner Residenz in Nowo-Ogarjowo in der Nähe von Moskau, wo auch die Journalisten des Kreml-Pools saßen.[1] Aus dem Internationalen Handelszentrum in Moskau konnten ebenfalls bis zu 250 russische und ausländische Journalisten Fragen stellen, und aus den wichtigsten Städten in den Regionen waren weitere Journalisten zugeschaltet. Insgesamt waren laut Kremlangaben 700 Journalisten akkreditiert. Mit viereinhalb Stunden Dauer war es die zweitlängste Pressekonferenz nach 2012, die drei Minuten länger war. Was waren Putins wichtigste Aussagen?

Wirtschaft

Das Bruttoinlandsprodukt ging in diesem Jahr um 3,6 Prozent zurück, das Realeinkommen sank um 3 Prozent die Arbeitslosigkeit ist von 4,7  auf 6,3 Prozent gestiegen, ungefähr 20 Millionen Menschen oder 13,5 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, die Staatsverschuldung beläuft sich auf 60 Milliarden US-Dollar, am 4. Dezember 2020 betrugen die Währungsreserven 587,7 Milliarden Dollar, der Nationale Wohlfahrtsfonds hat Rücklagen in Höhe von 13,5 Billionen Rubel (gegenwärtig in etwa 148 Milliarden Euro), 70 Prozent des russischen Haushalts werden nicht aus Öl- und Gaseinnahmen finanziert, was umgekehrt bedeutet, dass das russische Budget noch zu 30 Prozent von diesen Einnahmen abhängt.

Pandemie

Putin hört auf die Empfehlungen seiner Spezialisten. „Eine der wenigen Möglichkeiten, alle Pandemieprobleme zu überwinden, ist die Massenimpfung. Sie muss eine landesweite Immunität der Bevölkerung schaffen…Unser Impfstoff ist wirksam und sicher.“ Der russische Impfstoff könne auch an Standorten im Ausland produziert werden. Für die direkte Unterstützung der Bürger infolge von Corona wurden 838 Milliarden Rubel verwendet.

Politisches System

Die Staatsduma hat im Rahmen der Verfassungsreform vom März 2020 neue Rechte bekommen: sie trifft tatsächlich endgültige Entscheidungen nicht nur über den Premierminister, sondern auch über seine Stellvertreter und Minister. An der Staatsdumawahl 2021 werden bis zu 16 Parteien teilnehmen können, ohne dafür vorher Unterschriften sammeln zu müssen, weil sie gemäß den geltenden gesetzlichen Vorschriften bereits in einigen Föderationssubjekten vertreten waren.

Bildungswesen

„Wir haben 39.900  Schulen im ganzen Land, und nur zwei Prozent von ihnen arbeiten online, ein kleiner Teil im gemischten System, der große Teil im gewöhnlichen System. In der Hochschulbildung wird generell empfohlen, dass jetzt alle zum Online-Bildungssystem wechseln… Im Jahr 2021 sollten alle Schulen in der Russischen Föderation Zugang zum Hochgeschwindigkeits-Internet haben.“

Nawalnij

Putin nannte Alexej Nawalnij nicht beim Namen, sondern sprach vom „Patienten in einer Berliner Klinik“ oder von „unserem berühmten Blogger“. Zu den von Nawalnij am 14. Dezember in seinem YouTube-Kanal vorgestellten[2] elf FSB-Beamten und Spezialisten für chemische Kampfstoffe, die ihn auf seinen Reisen seit 2017 in 37 verschiedenen russischen Städten verfolgt hatten[3], sagte Putin, dass ihn russische Spezialisten „betreuen“ könnten, da er die „Unterstützung der US-Geheimdienste genießt“. Sie hätten ihn vergiften können, wenn sie das wirklich gewollt hätten. Nun hat es sich ja im August gezeigt, dass sie ihn wirklich vergiften wollten. Und es hätte auch geklappt, wenn nicht der Pilot in Omsk notgelandet wäre und wenn die Ärzte im dortigen Notfallkrankenhaus Nawalnij nicht sofort Atropin als Gegengift gegeben hätten. Nawalnij veröffentlichte am 21. Dezember sein 49-minütiges Telefongespräch[4] mit Konstantin Kudrjawzew (Absolvent der Militärakademie für Strahlenschutz, chemische und biologische Verteidigung), der laut Nawalnij Mitglied der Gruppe von FSB-Offizieren war, die ihn in Tomsk zu vergiften versuchten.[5] Nawalnij hatte sich ihm gegenüber als Stellvertretender Sekretär des Sicherheitsrats, Maxim Ustinow, ausgegeben, den es dort nicht gibt, denn die Position des Stellvertretenden Sicherheitsratssekretärs ist von Putin erst im Januar 2020 für Dmitrij Medwedew geschaffen worden, der als Premierminister zurückgetreten war, was Kudrjawzew offensichtlich nicht wusste.

Bezüglich der Aufklärung des Giftanschlags auf Nawalnij führte Putin aus: „Wir sind bereit zu untersuchen. Wenn jemand Informationen darüber hat, dass chemische Waffen verwendet wurden, in diesem Fall Nowitschok, bitten wir Sie, uns diese Informationen zu geben. Wir haben unseren Spezialisten vorgeschlagen, vor Ort zu sein: in Deutschland, Schweden, Frankreich und gemeinsam mit Kollegen vor Ort, um dieses Problem zu lösen. Oder wir bitten Sie, zu uns zu kommen, biologisches Material mitzubringen und uns zumindest eine offizielle Schlussfolgerung zu geben.“ Bisher habe die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation noch immer keine offizielle Stellungnahme erhalten. Die deutschen Behörden hätten das gesamte Material an die Organisation für das Verbot chemischer Waffen weitergeleitet. Diese würde Russland nichts geben, da angeblich Deutschland ihnen verboten habe, Informationen weiterzuleiten. Laut Mitteilung der Berliner Generalstaatsanwaltschaft von Mitte September 2020 seien die Berliner Behörden von der Senatsverwaltung für Justiz beauftragt worden, Russland Rechtshilfe zu leisten.

Von wem kam der Befehl, Nawalnij zu vergiften? Bereits in meiner September-Kolumne fragte ich, warum sollte Putin Nawalnij vergiften lassen wollen. Politisch ist er für Putin nicht gefährlich, da er wegen einer Vorstrafe aus den neunziger Jahren, die aus seiner damaligen geschäftlichen Aktivität konstruiert worden war, nicht für das Präsidentenamt kandidieren darf. Bei Meinungsumfragen über Präsidentschaftskandidaten bekam Nawalnij zwei %. Allerdings errang er aus dem Stand bei der Moskauer Oberbürgermeisterwahl 2013 den zweiten Platz mit 27 Prozent. Nawalnij ist zwar die bekannteste Figur der allerdings zersplitterten Opposition. Bei den Regionalwahlen konnte er der Machtpartei „Einiges Russland“ durch seine Methode des „smart voting“ – die Oppositionsparteien einigen sich auf denjenigen gemeinsamen Kandidaten unabhängig von dessen Parteizugehörigkeit mit den größten Wahlchancen – immerhin Stimmen abjagen.

Meine These: Einige sehr hohe Silowiki (Geheimdienste, Armee, Nationalgarde, Innenministerium, Militär), die Zugang zu chemischen Kampfstoffen haben und mit ihnen umgehen können, wollen Russlands Ansehen im Westen weiter diskreditieren und Putin zwingen, als Reaktion auf westliche Sanktionen in noch größerem Abstand zum Westen zu gehen und in Folge davon den Verteidigungs-, Sicherheits- und Repressionskräften mehr Einfluss zu verschaffen, mehr finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen und weitere gesetzliche Machtinstrumente zu geben. Oder ist es in Russland heute möglich, dass Prominente, deren Korruption Nawalnij in seinem YouTube-Kanal durch Video, Bilder und Dokumente ausführlich belegt hat, FSB-Offiziere für Mordaufträge kaufen können?

Außenpolitik

GUS

In Kirgisien sei die Lage permanent spannungsgeladen, ebenso in Tadschikistan.

Aus dem Ausland komme nie etwas Gutes, in Belarus sehe man dies ganz besonders. Man müsse dem belarussischen Volk die Möglichkeit geben, seine Probleme selbst zu lösen, ohne Einmischung von außen.

Im Bergkarabach-Konflikt habe es seit vielen Jahren immer wieder kleinere Auseinandersetzungen gegeben. „Die Situation geriet außer Kontrolle, und diese ‚Spannung‘ hielt viele Jahre an. Ich glaube nicht, dass dies auf irgendeine Art von Störung von außen zurückzuführen ist. Reibung und kleinere Scharmützel traten viele Male auf. Am Ende wurde alles zu einem Konflikt.“ Jede Seite habe ihre eigene Wahrheit. „Die Position der Türkei basiert auf der Tatsache, dass die Türkei – wie auch öffentlich erklärt – die gerechte Sache Aserbaidschans verteidigte, nämlich die Rückkehr von Gebieten, die während der Kämpfe in den 90er Jahren besetzt waren. Aus völkerrechtlicher Sicht habe ich auch darüber gesprochen, dass all diese Gebiete ein wesentlicher Bestandteil der Republik Aserbaidschan sind. Ich werde noch einmal wiederholen: Armenien selbst hat die Unabhängigkeit von Berg-Karabach nicht anerkannt, daher ist Berg-Karabach in diesem Sinne unter Berücksichtigung dieses Umstands auch aus völkerrechtlicher Sicht Aserbaidschan.“

Einen Abzug russischer Truppen aus Transnistrien könne es geben bei einer Normalisierung der dortigen Lage und einem Dialog zwischen Transnistrien und dem übrigen Moldowa.

USA

Er hoffe, dass die neue US-Administration ihre Partner und die EU respektieren werde und nicht darauf bestehe, ihre nationalen Interessen zu verraten. Putin hofft auf einen fairen Wettbewerb.

In Sicherheitsfragen trage Russland keinerlei Schuld an der derzeitigen Verschärfung. Die USA hätten die Kontrollregime aufgekündigt. Russland sei zu Gesprächen bereit und warte auf Antwort aus den USA. Putin ging auch auf die neuen russischen Hyperschallwaffen ein, auf „Awangard“ mit einer erreichbaren Geschwindigkeit von 20 Mach (Stratosphären-Gleitflugkörper, der mit Interkontinentalraketen in einen niederen Erd-Orbit gebracht wird und der sowohl mit einem konventionellen als auch mit einem Nuklearsprengkopf bestückt werden kann) und auf „Zirkon“ (Hyperschall-Seezielflugkörper). „Eine sehr wichtige Waffe, kürzlich haben sie einen weiteren, sehr wichtigen Test für uns durchgeführt. In der Tat ist die Arbeit daran im Grunde abgeschlossen, mehr als 8 Mach, die Reichweite ist groß. Darüber hinaus kann sie sowohl auf stationären Trägern als auch auf Schiffen sowie auf der Oberfläche und unter Wasser platziert werden.“ In Alarmbereitschaft seien bereits „Kinschal“ („Dolch“, ballistische Luft-Boden-Rakete) und die Laserwaffe „Pereswet“. Die Arbeiten an „Poseidon“ (Unterwasserdrohne mit Nuklearantrieb) würden planmäßig verlaufen. Putin verglich dabei den US-amerikanischen Verteidigungshaushalt in Höhe von 770 Milliarden Dollar mit dem russischen in Höhe von 46 Milliarden Dollar.

Der Westen habe sich bei der NATO-Osterweiterung nicht an seine Versprechen gehalten, die zwar nicht schriftlich festgehalten wurden, aber mündlich zugesichert worden seien. Michail Gorbatschow hatte dazu allerdings in seinem Interview am 18. Oktober 2014 erklärt: „Das Thema ‚NATO-Osterweiterung‘ wurde überhaupt nicht diskutiert und in diesen Jahren nicht angesprochen. Ich sage das mit voller Verantwortung. Kein einziges osteuropäisches Land hat das Thema angesprochen, auch nicht, nachdem der Warschauer Pakt 1991 aufgehört hatte zu existieren. Auch die westlichen Führer haben es nicht angesprochen.“[6]

Die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 sei ein Beweis für den Versuch der USA, Europa und anderen Staaten ihr teures LNG unter dem Vorwand des politischen Kampfes gegen Russland zu verkaufen.

Ukraine

Die Krim sei für den Westen ein Stein des Anstoßes, obwohl ein Referendum den Volkswillen deutlicher ausgedrückt als eine Parlamentsentscheidung. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wenn die Menschen der Krim bestraft würden mit westlichen Sanktionen, wenn man das Territorium nicht als russisches Gebiet anerkenne. „Die Entwicklung der Beziehungen Russlands zur Ukraine hängen weitgehend von den ukrainischen Behörden ab, ich werde jetzt nicht von der Ukraine sprechen.“ Das Minsker Abkommen, das durch die einschlägige Resolution des UN-Sicherheitsrates bestätigt worden sei und daher die Stärke des Völkerrechts erlangt habe, müsse umgesetzt werden. Russland unterstützte den Donbass und werde ihn auch weiterhin unterstützen. „Wir werden unsere Unterstützung für den Donbass sogar erhöhen. Dies gilt auch für die Aufrechterhaltung der Produktion, die Lösung sozialer Probleme, Infrastrukturprobleme usw. Wir werden uns also ruhig in diese Richtung bewegen. Wir können ohne Zweifel sicher sein, dass wir die Komplexität der Situation verstehen, die sich im Donbass entwickelt hat, und ich wiederhole dies nicht nur im humanitären Bereich, sondern auch in Richtung direkter Zusammenarbeit. Wir werden dies auch weiterhin tun.“

China

„Und China? Wir haben in vielen Bereichen überlappende Interessen. Vielleicht hat dies oder vielleicht eine Art Stimmung auf persönlicher Ebene dazu beigetragen, dass ich zuallererst gute, geschäftsmäßige, aber gleichzeitig sehr vertrauensvolle, freundschaftliche Beziehungen zu Präsident Xi Jinping habe.“

Türkei

„Wir haben jetzt unterschiedliche Ansichten zu bestimmten Themen mit Präsident Erdogan. Vielleicht manchmal gegensätzliche Ansichten. Aber das ist ein Mann, der sein Wort hält, ein Mann. Er wedelt nicht mit dem Schwanz. Wenn er glaubt, dass es für sein Land von Vorteil ist, geht er den ganzen Weg. Dies ist ein Element der Vorhersehbarkeit. Das ist sehr wichtig, um zu verstehen, mit wem Sie es zu tun haben.“

[1]              http://www.kremlin.ru/events/president/news/64671

[2]              https://www.youtube.com/watch?v=smhi6jts97I&t=2615s

[3]              https://www.kommersant.ru/doc/4616645, https://www.kommersant.ru/doc/4625840

[4]              https://www.themoscowtimes.com/2020/12/21/navalny-extracts-poisoning-confession-from-alleged-fsb-agent-on-trick-call-a72429

[5]              https://www.vedomosti.ru/society/articles/2020/12/22/852046-trusi-navalnogo?utm_campaign=newspaper_23_12_2020&utm_medium=email&utm_medium=email&utm_source=vedomosti%3Futm_campaign%3Dnewspaper_23_12_2020&utm_source=vedomosti

[6]      https://www.rbth.com/international/2014/10/16/mikhail_gorbachev_i_am_against_all_walls_40673.html

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