Regionalwahlen – Generalprobe für die Staatsdumawahl 2021?Schneider, Dr. Lic. Eberhard © Schneider

Regionalwahlen – Generalprobe für die Staatsdumawahl 2021?

[Eberhard Schneider] Vom 11. bis zum 13. September 2020 fanden in verschiedenen Regionen der Russischen Föderation, wie aus der Aufstellung unten gut zu ersehen ist (ohne Sewastopol auf der Krim), Wahlen statt: Gouverneurswahlen in 15 Föderationssubjekten (3 Republiken, 11 Gebieten, einer Stadt) statt (gelb), Wahl der regionalen Parlamente in acht Gebieten (blau) und beide Wahlen gleichzeitig in drei Regionen (grün).

Zudem wurden auf kommunaler Ebene 22 Stadträte gewählt, und in vier Bezirken wurden Abgeordneten für die Staatsduma nachgewählt. Insgesamt fanden 9.071 Wahlkampagnen statt.

Gouverneurswahlen

Die 17 Kandidaten der Macht – fünf hatten sich selbst aufgestellt, wurden aber von „Einiges Russland“ unterstützt – erhielten überall mehr als die Hälfte der Stimmen, so dass keine Stichwahl erforderlich ist.[1] Sechs bekamen mehr als 80 % der Stimmen, am schlechtesten schnitt mit 56,54 % der Gouverneur des Gebiets Smolensk ab, der als einziger nicht von der Machtpartei „Einiges Russland“ aufgestellt oder unterstützt worden war, sondern von der nationalistischen „Liberaldemokratischen Partei Russlands“ (LDPR), deren Höchstem Rat er angehört.

Einen anderen Politiker an der Spitze eines Föderationssubjekts hatte die LDPR in der am Pazifischen Ozean nahe China gelegenen Region Chabarowsk, den erfolgreichen und populären Gouverneur Sergej Furgal. Der ehemalige Schrotthändler war im September 2018 mit überwältigender Mehrheit zum Gouverneur gewählt worden und hatte dem von „Einiges Russland“ unterstützten Kandidaten eine demütigende Niederlage bereitet. Am 9. Juli 2020 wurde Furgal verhaftet und beschuldigt, 2004 und 2005 Aufträge zur Ermordung von zwei Geschäftsleuten gegeben zu haben. Seit zwei Monaten demonstrieren Zehntausende in mehreren Städten der Region – in Chabarowsk rund 10 % seiner Einwohnerzahl – gegen die Verhaftung von Furgal, vor allem gegen die Einmischung der föderalen Behörden aus dem sieben Zeitzonen entfernten Moskau. Inzwischen richten sich die Proteste auch gegen Wladimir Putin. Dass der Präsident den ebenfalls aus der LDPR kommenden Vorsitzenden des Staatsdumaausschusses für Körperkultur, Sport, Tourismus und Jugend, Michail Degtjarew, der bisher nichts mit Chabarowsk zu tun hatte, zum Interimsgouverneur ernannt hat, trug nicht zur Beruhigung bei. Die Ermittlungsabteilung der Staatsanwaltschaft Chabarowsk hatte vor 15 Jahren festgestellt, dass Furgal nicht an den ihm zur Last gelegten Verbrechen beteiligt war.[2] Nur das Moskauer Stadtgericht kann diese Entscheidung endgültig aufheben.

Zum ersten Mal durfte drei Tage lang gewählt werden. Dieses Verfahren war bei dem Verfassungsreferendum erprobt worden. Durchschnittlich wurde zur Hälfte vorab abgestimmt, am häufigsten mit 79,5 % im Jüdischen Autonomen Gebiet, am geringsten mit 44,3 % im Gebiet Nowosibirsk. Der Ko-Vorsitzende der kremlkritischen NGO „Golos“ („Stimme“), welche Wahlen beobachtet, Grigorij Melkonjanz, meint, dass es während der dreitägigen Abstimmung unmöglich war, die Kontrolle über die Ehrlichkeit des Ergebnisses zu gewährleisten, und dass die Stimmzettel in den Säcken ersetzt werden könnten. Bei dem von Präsident Waldimir Putin für Anfang Oktober geplanten Treffen mit den Vorsitzenden der vier Staatsdumafraktionen wollen die Oppositionsparteien vorschlagen, die dreitägige Abstimmung bei Wahlen wieder abzuschaffen.[3]

„Golos“ stellte folgende Rangliste der Meldungen über Verstöße während des gesamten Zeitraums der Kampagne auf[4]: nach Regionen: Krasnodar 284, Tscheljabinsk 118, Samara 114, Iwanowo 105, Orjol 91, und nach Art der Verstöße: Verletzung der Rechte von Beobachtern, Kommissionsmitgliedern, Medienvertretern (Bewegungsbeschränkungen, Fotografierverbot usw.) 293, Verstöße bei vorzeitiger Abstimmung 292, Druck auf Wähler und Wählerbestechung 139, Verstöße bei der Abstimmung „zu Hause“ 113, Missbrauch von „administrativen Ressourcen“ 105, verschiedene Arten von Ergebnisverzerrungen: Ausfüllen von Wahlzetteln, Abstimmung für andere Personen, illegale Aufnahme in Wählerlisten usw. 88.

Wahl regionaler Parlamente

Die elf regionalen Parlamentswahlen gewann jeweils „Einiges Russland“ mit Werten von 28,61 % (Kaluga) bis 63,95 % (Belgorod). In sieben von elf Föderationssubjekten gewann die Machtpartei aber weniger als 50 % der Stimmen, und im Vergleich zu den Wahlen vor fünf Jahren in diesen Regionen haben sich ihre Ergebnisse fast überall verschlechtert. Durchschnittlich erhielt ER 49,3 %.

Die zweitstärkste Partei war sieben Mal die „Kommunistische Partei der Russischen Föderation“ (KPRF) zwischen 12,9 % (Kaluga) und 19,5 % (Kurgan), drei Mal die LDPR zwischen 11,6 % (Magadan) und 15,31 % (Jamalo-Nenzen) sowie einmal die Partei „Gerechtes Russland“ (GR) mit 14,79 % (Tscheljabinsk). Drittstärkste Partei war sieben Mal die LDPR zwischen 6,58 % (Belgorod) und 14,46 % (Kurgan), vier Mal die KPRF zwischen 8,83 % (Jamalo-Nenzen) und 11,86 % (Tscheljabinsk). Die KPRF gewann durchschnittlich 13,7 %, die LDPR 10,5 %. Beide Parteien haben im Vergleich zur Wahl 2015 ihre Positionen grundlegend verbessert, und GR mit im Schnitt von 8 % konnte seine Position gehalten.

30 von 41 Parteien hatten Kandidaten registriert. Von den vier registrierten neuen Parteien konnten drei die Fünf-Prozent-Hürde überwinden („Neue Menschen“, „Für die Wahrheit“, „Grüne Alternative“).[5]

Kommunalwahlen

Für eine Überraschung sorgte die Lähmung von „Einiges Russland“ bei der Kommunalwahl. In Tambow, Nowosibirsk und Tomsk funktionierte die von Alexej Nawalnij entwickelte Strategie des „Smart Voting“ (SV)[6]. Die Machtpartei verlor ihre Mehrheit in den Stadtparlamenten von Tambow, Nowosibirsk und Tomsk. So konnten 19 Kandidaten durch SV in den Stadtrat von Tomsk einziehen, 16 in den Stadtrat von Tambow und 12 in den Stadtrat von Nowosibirsk. In Nowosibirsk gewann die Machtpartei nur 23 – statt 33 wie beim vorherigen Mal – von 50 Sitzen. Insgesamt haben 114 von SV unterstützte Kandidaten bei 18 Wahlen auf verschiedenen Ebenen gewonnen.

Nach Meinung von Experten funktioniere SV nur auf kommunaler Ebene, wo eine hohe Wahlkultur herrsche. Bei Parlamentswahlen seien ein Hauptinitiator und ein Trigger nötig

[1]              https://www.kommersant.ru/doc/4492416

[2]              https://www.kommersant.ru/doc/4474215

[3]              https://www.rbc.ru/newspaper/2020/09/18/5f63658f9a7947053f38526d

[4]              https://www.golosinfo.org/articles/144708

[5]              https://www.vedomosti.ru/politics/articles/2020/09/14/839896-mesta-zakonodatelnih

[6]              Zu SV vgl. meine September-Kolumne.

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