Rezension: Russlands Botschafter. Meine Jahre in BerlinUnkauf, Urs 2017 bild © Unkauf

Rezension: Russlands Botschafter. Meine Jahre in Berlin

[Von Urs Unkauf] Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und Deutschland haben im August und September 2020 einen neuen Tiefpunkt erreicht. Sei es die Causa Nawalny, die damit einhergehende politische Instrumentalisierung der Nord Stream 2-Pipeline oder die divergierenden Interessen in Bezug auf die innenpolitischen Entwicklungen in der Republik Belarus – Russland und Deutschland treten mittlerweile sichtbar als Antagonisten auf. In der gegenwärtigen Debatte findet sich wenig Raum, um innezuhalten und auf die Entwicklungen in den deutsch-russischen Beziehungen der letzten Jahre zurückzublicken.

Vor diesem Hintergrund lesen sich die Erinnerungen des ehemaligen russischen Botschafters Wladimir Grinin wie ein Lehrstück aus besseren Zeiten, in denen gemeinsame Interessen im Mittelpunkt der Bemühungen standen und zwischenmenschliche Verbindungen entstanden, die heute noch bestehen und das Fundament dieser Beziehungen bilden. Die Memoiren eines Diplomaten bieten traditionell den Anlass, auf Verdienste und Begegnungen während seiner Dienstzeit zurückzublicken und das persönlich Erlebte in den Gesamtzusammenhang einer zeitgeschichtlichen Erzählung zu stellen. Der Stil des Chronisten überschneidet sich dabei mit persönlichen Anekdoten und eröffnet eine anschauliche Form der retrospektiven Betrachtung von Ereignissen, Persönlichkeiten und deren Zusammenhängen.

Wladimir Michailowitsch Grinin, der von 2010 bis 2018 als Botschafter der Russischen Föderation in der Bundesrepublik Deutschland amtierte, weiß in dieser Form vieles über die jüngere Geschichte der russisch-deutschen Beziehungen zu berichten und beleuchtet, gerne auch zwischen den Zeilen, einige Hintergründe der Entwicklung dieser Beziehungen in den letzten Jahren. Das Tätigkeitsfeld eines Botschafters hat sich, wie der Schweizer Historiker und Diplomat Paul Widmer in seinem einschlägigen Handbuch formuliert, zunehmend dem Anforderungsprofil eines Generalisten zugewandt. Grinins Erinnerungen sind ein anschauliches Zeugnis dieser Entwicklung. Ob Kunst und Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft oder Politik: Der russische Spitzendiplomat, der in den 1970er und 19080er Jahren für die Sowjetunion bereits auf Posten in der Bundesrepublik, der DDR und bei der sowjetischen Delegation in Genf war, ordnet die von ihm begleiteten und initiierten Projekte stets in einen verständlichen Kontext dessen, was die bilateralen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland auszeichnet.

Die Vielfalt und Dynamik an Aktivitäten in den oben genannten Bereichen, die sich in den deutsch-russischen Beziehungen vor der Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine entfaltete, zeichnet ein hoffnungsvolles Bild der Versöhnung, das insbesondere im Rückblick auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts alles andere als selbstverständlich erscheint.

So erfährt man auch, dass der russische Botschafter in den acht Jahren seines Wirkens nicht ein einziges Mal von der Bundeskanzlerin zu einem persönlichen Gespräch empfangen wurde (vgl. S. 194f.). Greta Thunberg und ihr deutsches Pendant hingegen wurden erst kürzlich im Kanzleramt empfangen. Allein dieser Zusammenhang sollte zum eigenständigen Nachdenken und begründeten Zweifeln anregen, ob die deutsche politische Führungsspitze der post-Schröder-Ära die Rolle Russlands als geopolitischer Größe in Eurasien wirklich begriffen hat. Wie die Zukunft unserer Beziehungen gestaltet wird, hängt maßgeblich davon ab, die Perspektive des Anderen nachvollziehen und vor seinem historischen Erfahrungshorizont begreifen zu können. Die Erinnerungen Wladimir Grinins können dazu eine wichtige Gedankenstütze bilden, die sich hoffentlich auch einige deutsche Politiker zu Gemüte führen werden.

 

Wladimir M. Grinin (2020): Russlands Botschafter. Meine Jahre in Berlin. Verlag Das Neue Berlin, 223 Seiten, 18,00 Euro.

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    Horst Beger 3 Jahren

    In seiner Rezension der Erinnerungen des russischen Botschafters Wladimir Michailowitsch Grinin „Meine Jahre in Berlin“(2010-18) äußert Urs Unkauf am Ende die Hoffnung, „dass auch einige deutsche Politiker sich die Gedanken des langjährigen Botschafters zu Gemüte führen werden.“ Abgesehen davon, dass unsere bräsige Bundeskanzlerin Angela Merkel den Botschafter in dieser Zeit nicht ein einziges mal zu einem persönlichen Gespräch empfangen hat, wurden von ihr auch die von ihrem Vorgänger Gerhard Schröder im Zusammenhang mit dem „Petersburger Dialog“ durchgeführten deutsch-russischen Regierungskonsultationen nach 2012 nicht mehr weitergeführt. Und der Petersburger Dialog selbst wurde von von ihr durch die Auswechselung des Vorsitzenden des deutschen Lenkungsausschusses und die Einsetzung eines regierungsabhängigen Parteisoldaten auf Linie gebracht.

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      Horst Beger 3 Jahren

      Zu dem „auf Linie bringen“ des Petersburger Dialoges durch die Bundesregierung gehört auch die Gründung des Online Dialoges KARENINA, dessen AutorInnen fast ausschließlich amerikahörige und russlandkritische Stimmen vereint. Angefangen bei der hysterischen Marieluise Beck und ihrem „Zentrum für liberale Moderne“, die Intellekt mit Geist verwechselt und deshalb Russland nicht verstehen kann. Bezeichnend ist auch, dass diese von der katholischen Konrad Adenauer Stiftung ideologisch gefördert und von der Bundesregierung und der amerikanischen Soros Foundation in Berlin finanziell unterstützt wird. So verwundert es auch nicht, dass sie die nationalsozialistische Entwicklung in der Ukraine als „Aufbruch eines Landes“ beschönigt. Gekrönt wird das Team der AutorInnen von KARENINA durch die neue Chefredakteurin der katholischen Missionszeitschrift „Ost-West“, die beschönigt, dass der Jahrhunderte alte Kulturkampf des westlichen (römischen) Christentums gegen das östliche (russische) Christentum vom Westen ausgeht, wie der amerikanische Politologe Samuel Huntington das in seinem „Kampf der Kulturen“ aufgezeigt hat.

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