[von Prof. Alexander Rahr] Verständlicherweise will jedermann in Deutschland endlich eine funktionsfähige Regierung sehen. Nur wird diese wahrscheinlich erst im Neuen Jahr zustande kommen; zu unterschiedlich sind vor allem die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der vier potentiellen Koalitionspartner.
Über Außenpolitik wird in der Jamaika-Koalition kaum gestritten, jedenfalls dringt darüber nichts nach draußen. Merkels CDU hat schon vor Jahren begonnen, einen Schulterschluss mit den Grünen in außenpolitischen Fragen zu suchen. Merkel und die Grünen favorisieren eine wertegeleitete Außenpolitik, die Demokratieexport fördert und mit autoritären Regierungen kritisch verfährt. Realpolitik ade.
Die Reform des Petersburger Dialogs, der Führungswechsel in diesem Gremium – sind ein Musterbeispiel der Kooperation zwischen Merkel und den Grünen in einem strategisch sensiblen Bereich der Beziehungen zu Russland. Sie setzten auf eine Stärkung der regierungskritischen Nichtregierungsorganisationen in Russland statt dem strategischen Dialog mit dem Kreml.
Die FDP hofft auf das Finanzministerium, in dem europapolitische Kompetenzen integriert sind. Für eine globalere außenpolitische Agenda ist die FDP weder personell, noch substantiell aufgestellt. In der FDP erinnert man sich an die inhaltsleeren Jahre deutscher Diplomatie unter Guido Westerwelle und will hier keine Wiederholung. Die Blamage wirkt nach wie vor fort.
Während Deutschland noch auf seine Regierung wartet, schaffen andere Staaten neue internationale Fakten. In der Ukraine-Krise haben die USA das Ruder übernommen. Die Vermittlungsversuche Deutschlands und Frankreichs im Rahmen des Minsker Prozesses sehen viele als gescheitert an. Die einen sagen, der Westen hätte viel mehr Druck auf Russland ausüben müssen, die Unterstützung für die Separatisten in der Ostukraine aufzugeben. Die anderen sind der gegenteiligen Meinung, dass Berlin und Paris es versäumt hätten, Druck auf die Ukraine auszuüben, die dem Donbass die versprochene Autonomie verweigert. Aber der Westen will nicht, dass die Ukraine verliert.
Was komplett fehlt, ist ein Dialog über die künftige europäische Sicherheitsarchitektur mit Russland. Sie ist bitter notwendig, denn nur im Rahmen eines neuen Verständnisses über die jeweiligen Sicherheitsinteressen des anderen, können künftig Konflikte, wie die in der Ukraine, neutralisiert werden. Zum Beispiel könnten künftige NATO-Osterweiterungen aufs Eis gelegt werden. Das wäre sinnvoll.
Die Europäer sind, was die Zukunft der Europäischen Union betrifft, zerstritten – in so vielen Fragen, nicht nur in der Flüchtlingsfrage. Dagegen scheinen sich die Europäer in der NATO auf einen gemeinsamen Nenner, was Russland angeht, geeinigt zu haben: mehr Aufrüstung, mehr Abschreckung, mehr Eindämmung. Kein guter Weg.
Russland hat derweilen seine strategische Entscheidung scheinbar auch getroffen. Es verabschiedet sich von Europa. Asien wird künftig von den reichen russischen Bodenschätzen mehr profitieren als Europa. Diejenigen im Westen, die glaubten, Russland könne man in Europa auf Distanz halten, aber über Assoziierungen mit EU und NATO „gefügig“ machen, haben die Entwicklung verschlafen. Der Westen will einfach nicht kapieren, dass Russland eben doch Alternativen für seine Entwicklung hat. Trotzdem muss etwas getan werden. Russland darf für Europa nicht verloren gehen. Das ist ein Appell an die künftige Bundesregierung.
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