Russlands „Manhattan-Projekt“: Enorme Geldmengen

Russlands „Manhattan-Projekt“: Enorme Geldmengen

von E. Röde.  Russlands Präsident Wladimir Putin betrachtet die Invasion in der Ukraine als eine einzigartige Gelegenheit, um moderne Kriegführung zu lernen. Nachdem Russland das Ausmaß des Krieges in der Ukraine falsch eingeschätzt hat, restrukturiert es nun seine Militärstrategie und vergrößert die Armee deutlich, um zukünftigen Konflikten gewachsen zu sein.  

Trotz der militärischen Aufrüstung hat Russland einen erheblichen technologischen Rückstand, insbesondere in fortschrittlichen Bereichen wie künstlicher Intelligenz, bedingt durch Mangel an Mitteln und Fachwissen. Statt neue Technologien zu entwickeln, modernisieren sie häufig alte Ausrüstung.  

Eine mögliche Lösung für Russlands technologische Herausforderungen könnte eine engere Zusammenarbeit mit China im Bereich künstliche Intelligenz sein, was jedoch die politische Handlungsspielräume Russlands stark einschränken könnte.  

„Putin hat sehr deutlich gemacht, dass die Invasion in der Ukraine eine einzigartige Gelegenheit ist, um etwas über Krieg im modernen Format zu lernen. Die gesamte Staatsverwaltung hat den Auftrag erhalten, aus diesem Krieg zu lernen“, sagt Tor Bukkvoll während eines Seminars beim Verteidigungsforschungsinstitut (FFI) teil, wo er einen Vortrag darüber hielt, was Russland lernt.  

Das heutige Russland ist keineswegs ein Land mit freier und offener Debatte, aber gerade in Bezug auf Kriegführung ist die Situation etwas anders. Es gibt mehrere Militärzeitungen und -zeitschriften, in denen Erfahrungen und Lehren aus dem Krieg in der Ukraine ausgetauscht werden, berichtet Bukkvoll.  

Da dies relativ frei und offen geschieht, können auch norwegische Forscher wie er die militärische Fachdiskussion, die intern in Russland stattfindet, genau verfolgen. Nach dreieinhalb Jahren vollumfänglicher Invasion des Nachbarlandes gibt es sechs Bereiche, von denen russische Verteidigungsexperten meinen, dass man daraus lernen kann:  

Verbesserung 

 Auch wenn der Krieg Russland enorme Kosten in Menschenleben und Wirtschaft verursacht, macht die Erfahrung die Armee besser. Ein Bereich, an dem man sich bereits angepasst hat, ist die Zusammensetzung der Armee. Lange Zeit war sie so aufgebaut, dass sie kleinere Operationen in postsowjetischen Gebieten bewältigen konnte, erklärt Bukkvoll.  

Doch die geplante, kurzfristige „militärische Spezialoperation“ in der postsowjetischen Region Ukraine scheiterte, und plötzlich befand sich Russland mitten in einem umfassenden Krieg, auf den es nicht vorbereitet war und aus dem es nicht entkommen konnte.  

„Deshalb herrscht heute in Russland eine ziemlich große Einigkeit darüber, dass es ein Fehler war, die Armee auf kleinere Operationen auszurichten. Davon hat man sich jetzt verabschiedet. Das bedeutet, dass das russische Militär größer wird und mehr Soldaten bekommt“, prognostiziert Bukkvoll.  

Technologischer Rückstand 

Aber Quantität ist nicht alles. Eine militärische Lektion, die Russland gerade lernt, ist, dass es technologisch hinterherhinkt. „Mehrere Russen weisen darauf hin, dass Russland weder genug Geld noch Kompetenz hat, um in Zukunft größere technologische Fortschritte im militärischen Bereich zu machen“, so Bukkvoll.  

„Unser Bild ist, dass Russlands Innovationsfähigkeit und die technologische Entwicklung neuer Ausrüstung nach dreieinhalb Jahren Krieg geschwächt sind. Es scheint, als sei das vernachlässigt worden“, ergänzt FFI-Forscherin Julie Udal.  

Russland konzentriert sich eher darauf, Ausrüstung zu ersetzen, die im Krieg verloren geht. Das bedeutet, dass alte Ausrüstung aufgerüstet und dann wieder eingesetzt wird, sagt Udal.  

Neue Technologie ist teuer 

Und es hilft auch nicht immer, neue Waffensysteme mit neuer Technologie zu entwickeln: 
„Russland hat durchaus die Fähigkeit, neue Technologie zu entwickeln. Sie haben einen neuen Panzer namens Armata und ein neues Jagdflugzeug produziert, aber es scheint sehr schwierig, große Mengen davon zu kaufen, weil sie einfach so teuer sind. Oft bevorzugt das Militär die alten Modelle, weil sie dann viel mehr Einheiten bekommen, auch wenn diese technologisch weniger fortschrittlich sind“, vermutet Bukkvoll.  

Innovation 

Der T-14 Armata ist Russlands Kampfpanzer der nächsten Generation, aber die Entwicklung ist seit Putins Invasion in vollem Umfang ins Stocken geraten. Dennoch haben die Russen jetzt Angst, technologisch abgehängt zu werden. Besonders im Bereich künstliche Intelligenz wird heftig debattiert.  

„Manche argumentieren, dass Russland schon in diesem Jahr eine Entscheidung im Bereich künstliche Intelligenz treffen sollte und ein Manhattan-Projekt starten müsste, um künstliche Intelligenz in die Verteidigungsindustrie zu bringen“, sagt Bukkvoll.  

Russlands Manhattan-Projekt 

Das Manhattan-Projekt war einst ein US-geführtes Forschungsprogramm im Zweiten Weltkrieg, das zur Entwicklung der Atombombe führte. Jetzt fordern russische Stimmen, dass sie sich entscheiden müssen, ob sie etwas Ähnliches – allerdings im Bereich KI – machen wollen. „Das heißt, Russland muss enorme Geldmengen investieren und sehr viele personelle Ressourcen aufwenden, um künstliche Intelligenz zu realisieren“, sagt Bukkvoll.  

Und Geld hat Russland nicht im Überfluss: „Ich glaube, Russland hätte größere Chancen für so ein Projekt, wenn es nicht im Krieg wäre“, sagt Bukkvoll nach dem FFI-Seminar gegenüber der norwegischen Online-Zeitung Nettavisen und fügt hinzu, dass die Prognosen des FFI darauf hindeuten, dass Russland auch nach einem möglichen Frieden in der Ukraine große Militärausgaben haben wird.  

„Außerdem stellt sich die Frage, ob sie die dafür nötige Kapazität für KI haben. Russland ist in vielen Bereichen stark, aber einer ihrer schwächsten Bereiche in der Waffenindustrie ist Elektronik, was für künstliche Intelligenz ziemlich wichtig ist. Deshalb wird das ein sehr großer Kraftakt für Russland“, sagt Bukkvoll.  

Alternative China 

Putin hat wenige andere Optionen. Wenn sie auf künstliche Intelligenz verzichten, könnten sie komplett abgehängt werden. Eine naheliegende Alternative ist, sich an China anzulehnen, sagt Bukkvoll: „China ist auf diesem Gebiet bereits weit fortgeschritten. Wahrscheinlich hätte China nichts dagegen, Russland als eine Art Partner zu haben“, sagt Bukkvoll.  

Aber wenn der Kreml das macht, sind sie vollkommen davon abhängig, mit den chinesischen Behörden gut auszukommen. Bukkvoll geht davon aus, dass „das erhebliche Konsequenzen für Russlands politische Handlungsspielräume in den kommenden Jahren haben wird, weshalb viele in Russland dem skeptisch gegenüberstehen“, sagt Bukkvoll.  

Russische Sturheit kann schaden 

Bukkvoll nennt einen Punkt, der die Fähigkeit der Russen zerstören könnte, aus dem Ukraine-Krieg zu lernen. Es geht darum, wie die dominante Erzählung über den Krieg in Russland aussehen wird, nachdem die Waffen schweigen. „Wenn man das Narrativ bekommt, dass ‚wir das insgesamt ganz gut gemacht haben‘, dann wird das zu weniger Lernen führen, als wenn man anerkennt: ‚Hier lief es schief, hier müssen wir etwas ändern‘“, mahnt Bukkvoll.  

„Wenn man die Bereitschaft und Fähigkeit der Russen zu lernen betrachtet und das mit ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten kombiniert – wo steht Russland in 20 bis 30 Jahren militärisch? Sind sie stärker oder schwächer?“ „Das glaube ich, hängt ganz davon ab, wie die Wirtschaft läuft“, antwortet Bukkvoll. Wenn Russland weiterhin Geld mit Rohstoffen verdienen kann, beispielsweise mit Öl und Gas, könnten sie gestärkt dastehen, glaubt Bukkvoll.  

„Aber wenn die rohstoffbasierte Wirtschaft nicht mehr funktioniert und man eine breitere Wirtschaft mit Innovation in vielen Bereichen braucht, glaube ich nicht, dass sie das mit einem autoritären Regime kombinieren können“, schließt der leitende FFI-Forscher ab.  

 

ffi.no Forsvarets forskningsinstitutt, Forschungsinstitut des norwegischen Militärs   

COMMENTS

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    Horst Beger 1 Woche

    Das sog. „Manhattan-Projekt“ war und ist, wie der Autor aufgezeigt und begründet hat, nicht die Ursache sondern die Folge des Kalten Krieges des Westens gegen Russland, der schon während des Zweiten Weltkrieges begonnen hat. Da der Kalte Krieg des Westens gegen Russland nie zu ende war und in dem Stellvertreterkrieg Deutschlands und der NATO gegen Russland in der Ukraine in einen Heißen Krieg übergegangen ist, mag es folgerichtig sein, dass auch Russland ein „Manhattan-Projekt“ anstrebt, um sich auch in Zukunft gegen den Westen verteidigen zu können. Hinzu kommt, dass dem geostrategischen West-Ost-Konflikt ein kultureller West-Ost-Konflikt zugrunde liegt, der viel älter ist als der politische. Der amerikanische Geostratege und Politologe Samuel Huntington hat diesen jahrhundertealten Kulturkampf in seinem Buch „Kampf der Kulturen“ von 1996 als Kampf des westlichen (römischen) Christentums gegen das östliche (russische) Christentum aufgezeigt, ohne auf den substanziellen Unterschied einzugehen. Und er hat darauf hingewiesen, dass diese „Kulturgrenze“ auch die Ukraine in eine vom russischen Christentum geprägte Ostukraine und eine vom römischen Christentum beeinflusste Westukraine teilt, also ganz aktuell ist. Von daher kann man auch verstehen, dass Russland in dem Stellvertreterkrieg Deutschlands und der NATO gegen Russland in der Ukraine nicht nur seine geostrategischen Interessen verteidigt, sondern auch die christliche Russische Welt gegen die antichristliche Welt des Westens. Das verstehen die aufgeklärten Atheisten des Westens natürlich nicht, und die Antichristen leugnen das.

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      Horst Beger 1 Woche

      Und wenn der Stellvertreterkrieg in der Ukraine auf ein „Armageddon“ hinausläuft, wie der Westen das provoziert, hat er diese „Endlösung“ nicht anders verdient.

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