„Tote Seelen“  oder TECHNOLOGIE DES PROTESTES

„Tote Seelen“ oder TECHNOLOGIE DES PROTESTES

Moskauer fragen sich: Was war das am 27. Juli im Zentrum von Moskau? Die Opposition nannte es eine Aktion zur Unterstützung unabhängiger Kandidaten für die Moskauer Stadtduma. Die Moskauer Behörden behaupten, dass das Versammlungsgesetz verletzt worden sei. Aber was ist wirklich passiert?

Was wirklich schwer zu verstehen war: Bekannt ist, dass die Moskauer Stadtwahlkommission mehreren Oppositionskandidaten nicht erlaubt hat, sich für ein Amt zu bewerben. Das ist eine Tatsache. Der Grund – falsch eingereichte Dokumente, gefälschte Unterschriften und sogar die Verwendung von Namen verstorbener Personen für Unterschriften. In Analogie zum berühmten Werk von Nikolai Gogol werden sie von den Menschen als „tote Seelen“ bezeichnet. War es so oder nicht – wir können es nicht überprüfen. Wenn ja, hatte die Wahlkommission kein Recht, gegen das Gesetz zu verstoßen und politischen Manipulatoren die Kandidatur zu ermöglichen. Wenn nicht, haben die Behörden selbst geholfen, Unruhen im Zentrum Moskaus zu stiften.

Einige der Kandidaten, die nicht an den Wahlen teilnehmen durften, forderten die Menschen auf, auf die Straße zu gehen, um zu protestieren. Dabei stellte niemand einen offiziellen Antrag an das Büro des Bürgermeisters, die Aktion durchzuführen, was sie rechtswidrig machte. Danach entwickelte sich alles auf ziemlich seltsame Weise: Die Demonstranten blockierten die Straßen, durchbrachen Polizeikordons und gingen in einen Kampf mit der Polizei. Einige Demonstranten sprühten Gas und Polizisten wurden verletzt. Mehr als tausend Menschen wurden vorübergehend festgenommen – allerdings schnell wieder freigelassen.

Und jetzt das Interessanteste: Über die Ereignisse in Moskau berichteten alle großen Fernsehanstalten der Welt. Den Bildern im Fernsehen nach zu urteilen, gab es eine massenhafte Revolution der Moskauer Bevölkerung. Eine Art Moskauer Maidan. Nach Angaben des Innenministeriums, die nicht mit den Daten der Opposition übereinstimmen, nahmen etwa dreieinhalbtausend Menschen an den Veranstaltungen teil. Davon waren (man beachte!) 700 Journalisten und Blogger und zweitausend Zugereiste aus anderen Regionen des Landes. Laut Margarita Simonjan, Leiterin von ‚Russland Heute‘, erhielten alle, die aus anderen Städten kamen, Geld. Ein einfacher Blick auf die Zahlen zeigt, dass von fast 20 Millionen Moskauern etwa 900 zur Aktion kamen. Wenn die Demonstranten den Slogan „Das ist unsere Stadt“ skandierten, konnte das also nur dazu führen bei den Moskauern ein Lächeln hervorrufen.

Vieles deutet darauf hin, dass die gesamte Aktion nach der bekannten Methode ( im Russischen: Technologie) ablief: Eine kleine Anzahl von Menschen, die sich aktiv verhalten und in Konflikt mit der Polizei geraten, geht auf die Straße. Alles wird mit Dutzenden von Fernsehkameras gefilmt und über die ganze Welt verbreitet. Alle Medien der Welt beginnen sofort zu diskutieren und zu verurteilen. Es wird der Eindruck einer erschreckenden blutigen Diktatur erweckt, die Russland getroffen habe. Die Reaktion der internationalen Organisationen folgt unmittelbar. Diesmal war es die Europäische Union die als Erste reagierte. Brüssel, ohne auf die Untersuchung des Geschehens zu warten, erklärte, dass es „unverhältnismäßige Gewaltanwendung gegen friedliche Demonstranten“ gegeben habe. Gleichzeitig forderte Brüssel, dass die Wahlen für alle offen sein sollten, die wählen wollen.  Mich aber, zum Beispiel, würde interessieren: Wie würde sich die Polizei von Deutschland, den Vereinigten Staaten von Amerika, Brüssel oder London verhalten, wenn sie von Demonstranten angegriffen würde? Man warf schwere Gegenstände auf sie, sprühte Gas und verletzte Polizisten. Ich fürchte, dass ihnen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen die Aktionen der Moskauer Polizei wie ein unschuldiger Zeitvertreib erschienen wären.

Jefim Berschin

Übersetzung: Kai Ehlers

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COMMENTS

WORDPRESS: 1
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    Die ganze Logik von westlichen Regierungen bezahlter NGOs und der Gene-Sharpschen Regime Changes zerstört jede Chance auf demokratische Selbstverständigung von Gesellschaften.

    Menschen haben ein Recht zu demonstrieren und ihrer Regierung die Unzufriedenheit zu zeigen. Aber wenn andere Regierungen das für ihre eigenen Zwecke nutzen, verlieren die Menschen die Kontrolle über die Folgen ihrer Proteste.

    Das ist schäbig – und hat nichts mit Demokratie mehr gemein. Im Gegenteil: Es ist antidemokratisch und diskreditiert ernsthaftes Demonstrieren.