Verlorenes Vertrauen und fehlgeschlagene Erwartungen

Kommentar von Dr. Gerhard Mersmann
Jean-Paul Sartre wird zugeschrieben, über das Vertrauen gesagt zu haben, dass man es in Tropfenportionen gewinne, jedoch eimerweise verliere. In Bezug auf die neue Regierung, und dort vor allem den Kanzlerkandidaten, kann das Bild vervollständigt werden: alle Eimer sind leer und das Wort Vertrauen findet man allenfalls noch im Duden. In einem einzigartigen Manöver hat dieser Mann gezeigt, wie man diejenigen, in deren Auftrag er handeln müsste, wenn er das ganze System ernst nähme, als Volltrottel ins Abseits stellt. Wählerbetrug hat es schon immer gegeben. Zumeist hat der Faktor Zeit dabei eine Rolle gespielt. Aber in wenigen Tagen nach einer Wahl alle Aussagen in ihr Gegenteil zu verkehren, das ist ein Novum. Und das dreckige Grinsen des Delinquenten unterstreicht sein Format.

Trost bietet wiederum ein anderes Zitat. Es stammt von Benjamin Franklin:

„Nichts schmerzt so sehr wie fehlgeschlagene Erwartungen, aber gewiss wird auch durch nichts ein zum Nachdenken fähiger Geist so lebhaft wie durch sie erweckt.“

Alle, die den seit längerem anhaltenden Prozess des Verfalls der demokratischen Staatsidee mitverfolgen und die für sich reklamieren, noch einen lebhaften Geist zu besitzen, können dem Vertreter der Zerstörungsfraktion also nur dankbar sein, dass er so vorgegangen ist, wie er es tat. Allerdings sei allen noch einmal ins Buch der Erkenntnis geschrieben, dass es sich hier um einen Kulminationspunkt handelt. Es ist nicht der Anfang, sondern das Ende des Vertrauensverlustes in eine Staatsform, die lange Zeit für Frieden und einen gewissen Wohlstand bürgen konnte. Und mit beidem ist es vorbei.

Die soziale Spaltung der Gesellschaft steht in jeder Statistik und ist bei jeder Schulspeisung und an jedem Müllcontainer, an dem sich Rentner versorgen, sichtbar. Und der Frieden ist mit der geplanten Aufrüstungsorgie mental schon lange eine Reminiszenz der Vergangenheit. Wenn einmal die Archive geöffnet werden, anhand welcher Methoden die Ukraine in die Lage getrieben wurde, in der sie sich heute befindet, wird sichtbar werden, mit welchen chauvinistischen Geistern koaliert wurde, um die nie besiegten Ressentiments gegen Russland zu aktivieren.

Seit Jahren sind die durch staatliche Mittel finanzierten Denkfabriken dabei, die Geschichte umzuschreiben. Sie sollten nur aufpassen, dass da nicht irgendwann steht, am Sender Gleiwitz sei zurückgeschossen worden. Das träfe nämlich die polnischen Verbündeten, die ihrerseits auch im Kriegsrausch sind, vielleicht doch zu sehr. Narkotisiert wie die Experten aus den Denkfabriken von den medialen Rauschmitteln sind, haben sie jede Form von Realitätssinn verloren und fabulieren nun von einem bevorstehenden Krieg. Wenn das Szenario stimmte, von dem der ehemalige Pop-Beauftragte und Außenminister als Häuptling der Atlantikbrücke sprach, dass der Russe 2028 vor der Tür stünde, dann könnte man sich die gewaltigen Investitionssummen sparen. Bis das Kriegswerkzeug verfügbar und von entsprechenden Militärkräften bedienbar wäre, vergehen ca. 2 Jahrzehnte. Worum es geht? Ums Geschäft! Und wer in diesem Zusammenhang von Klima spricht, torkelt genauso durch die Realität wie die eben Beschriebenen.

Nein, seien wir ehrlich! Das politische System hat mit dem agierenden Ensemble bereits abgedankt. Niemand weiß, wie der weitere Verlauf sein wird. Nur eines ist sicher, wer derartig verkommen agiert, kann nur noch auf ein Gefolge hoffen, das sich im Milieu von Korruption, Kollusion und Nepotismus zuhause fühlt. Die lebhaften Geister, von denen Benjamin Franklin sprach, wenden sich angeekelt ab und sinnen auf Neues.

COMMENTS

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    Horst Beger 1 Monat

    „Die nie besiegten Ressentiments gegen Russland“ haben ja einen tiefer liegenden Grund, den der amerikanische Politologe Samuel Huntington in seinem Buch „Kampf der Kulturen“ von 1996 aufgezeigt hat. Darin weist er darauf hin, dass das westliche(römische) Christentum das östliche(russische) Christentum seit dessen Bestehen bekämpft, ohne auf den grundlegenden Unterschied einzugehen. Der Verfall der demokratischen Staatsidee ist daher systemimmanent, und der „Deliquent“ kann sich sicher sein: „Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte“, wie Mephisto Goethes „Faust“ in Auerbachs Keller demonstriert.

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