[von Leo Ensel] Ein Bundeskanzler nimmt im Handstreich sein gesamtes Volk, über 84 Millionen Menschen, in Geiselhaft. Wie soll man eigentlich eine solche Maßnahme adäquat benennen? Darauf hat möglicherweise bereits vor über 60 Jahren ein anderer Kanzler eine recht plausible Antwort geliefert.
Hat Konrad Adenauer den obigen Satz wirklich Anfang November 1962 während einer turbulenten Bundestagsdebatte im Zusammenhang mit der sogenannten „Spiegel-Affaire“ geäußert? Oder hat er sich nicht vielleicht doch erst kürzlich anlässlich einer gewissen Ankündigung eines anderen deutschen Bundeskanzlers in Washington am 11. Juli 2024 via Klopfzeichen aus dem Jenseits gemeldet? Der Autor dieser Zeilen, Nichtjurist seines Zeichens, ist sich da keineswegs sicher.
Je mehr er darüber nachgrübelt, desto plausibler erscheint es ihm, dass der altbundesrepublikanische Ex-Kanzler diesen Satz eigentlich nur auf die aktuelle Situation gemünzt haben kann!
Denn wie soll man es anders benennen, wenn ein Bundeskanzler, der einen Eid abgelegt hat, Schaden von seinem Volk abzuwenden, im Handstreich beschließt, eben dieses Land und dessen gesamte Bevölkerung – mehr als 84 Millionen Menschen – in Geiselhaft zu nehmen, sprich: sie im Krisen- und erst recht im Kriegsfalle zur Zielscheibe gegnerischer Präventiv- oder Vergeltungsschläge zu verwandeln? Und dessen smarte Außenministerin einen Verzicht auf eben diese Geiselnahme als „nicht nur verantwortungslos, sondern auch naiv gegenüber einem eiskalt kalkulierenden Kreml“ bezeichnet? Der stramme Kriegstüchtigkeitsminister das Volk beschwichtigend einlullt: die Gefahr, das Land drohe selbst zum Kriegsschauplatz zu werden, sei „blanker Unsinn“? Der Vizekanzler – wie die Außenministerin Mitglied einer einstmals friedensbewegten Partei, die vor vier Jahrzehnten gegen analoge Maßnahmen vehement protestierte – scheinbar verantwortungsbewusst stammelt, Aufrüstung sei „erst mal nichts, mit dem ich mich leicht tue“, um dann mit sorgendurchfurchter Mine, stellvertretend für sein Volk (das es ausbaden muss), die bittere Pille tapfer zu schlucken und diesem verhängnisvollen Beschluss umgehend seinen Segen zu erteilen? Und dann, eine Reminiszenz an das Altwählerklientel, das Valium – „Wir dürfen nicht dabei stehen bleiben, in Kriegsszenarien zu denken. Die Arbeit muss auf den Frieden gerichtet sein“ – postwendend nachliefert?
Kinderfragen eines Nichtjuristen.
Chapeau, dass jedenfalls ein gelernter Jurist, Alexander Unzicker, nun die Zivilcourage besitzt, solche Fragen einmal grundsätzlich vom Bundesverfassungsgericht klären zu lassen! Sollten immer mehr Menschen seinem Beispiel folgen und, jeweils an ihrem Platz, endlich anfangen, Sand ins Getriebe der sich ins Unermessliche steigernden Kriegsmaschinerie zu streuen, dann wäre unser Land vielleicht doch noch nicht verloren …
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„Noch ist Polen nicht verloren“, heißt es in der polnischen Nationalhymne. Aber angesichts unserer einfältigen Politiker/innen erinnert der Aufruf des Autors, „Sand ins Getriebe der ausufernden Kriegsmaschinerie zu streuen“ eher an einen „einsamen Rufer in der Wüste“ als an einen Propheten.
So richtig es ist, dass wir wieder „vor einem Abgrund von Landesverrat stehen“, so fragwürdig ist es, dazu ausgerechnet Konrad Adenauer zu zitieren, dessen geistigen Väter von der katholischen Zentrumspartei um den päpstlichen Kammerherrn v.Papen mit dem Segen Roms Hitler 1933 an die Macht gebracht haben. Und der zusammen mit den katholischen Gründungsvätern der Europäischen Union das in zwei Weltkriegen untergegangene „christliche“ Abendland mit den Römischen Verträgen noch einmal wiederbeleben wollte. Und in den Vorgesprächen saß der römische Kardinal Tisserant mit am Tisch, der im gleichen Jahr laut Osservatore Romano in Rom ein kleines Frauenkloster nach orthodoxem Ritus einrichten ließ, in der er Betschwestern für die Rückkehr der russischen Kirche in die römische Kirche (der diese nie angehörte) beten lässt.