[von Dr. Gerhard Mersmann] Es ist ja nicht so, als habe das immer wieder durch Kriege geschundene Europa nicht den Preis bezahlt, den Aischylos den strengen Weg der Gnade genannt hat, die am Weltensteuer sitzt. Oder, um es zeitgenössisch verständlicher auszudrücken: Wenn in der Geschichte irgendwo ein Sinn herrscht, dann offeriert sie den Menschen Momente, in denen sie das Dasein für einen Augenblick begreifen. In der Staatskunst sind Menschen mit diesem Einblick selten, wiewohl es sie immer wieder gibt. Ob sie einem gefallen oder nicht, aber Figuren wie ein Richelieu, ein Zhou Enlai, oder, um in dem auf Irrwegen zumeist zuhause befindlichen Deutschland zu bleiben, gab es auch einen Bismarck und einen Brandt, übrigens die einzigen, die, obwohl sie politisch sehr unterschiedlich sozialisiert waren und gegensätzliche Interessen vertraten, die einzigen waren, die um den Faktor Russland in einem europäischen Frieden wussten.
Der Westfälische Frieden war auch so eine Sternstunde. Als alles am Boden lag und ausgeblutet war, einigte man sich in einem innerhalb von zwei Jahren in Münster und Osnabrück ausgehandelten Frieden auf die Grundlagen der modernen internationalen Diplomatie: keine Einmischung mehr in die inneren Angelegenheiten des anderen, Vereinbarungen auf Augenhöhe und das Streben nach gegenseitigem Vorteil. Henry Kissinger, historisch kein Unschuldslamm, befand jedoch dieses Prinzip, das übrigens in der gesamten angelsächsischen Literatur als die Westfalian Order beschrieben wird, als das Leitsystem mit der größten Friedensaffinität.
Ein Blick in die täglichen Journale dokumentiert in bedrückender Weise, dass sich zumindest die rudimentäre Entität, die sich großspurig als Europa bezeichnet, sich wohl auf dem weitest möglichen Punkt entfernt von den Frieden ermöglichenden Diplomatie befindet. Da existieren nur kriegerische Aktionen, auch wenn sie sich hinter Zöllen, Embargos und Rechtsakten verbergen. Denn, auch dieses muss man benennen, zu einer tatsächlichen kriegerischen Auseinandersetzung mit den Großmächten dieser Welt ist man gar nicht in der Lage. Und, man mache sich keine Illusionen, wird man trotz der ganzen Auf- und Hochrüstung nicht in der Lage sein. Man nennt das Friedensdividende. Mental fehlt es an Kriegsvolk, egal, wie sehr sich auch die Agenten der Waffenindustrie anstellen.
Richelieu sagte einmal, ein Diplomat regt sich nicht auf, der macht sich Notizen. Allein diese Aussage würde bei den Vertretern, die momentan in unserem Namen das heilige Feld der internationalen Politik besudeln, nichts als großes Unverständnis hervorrufen. Das Groteske an diesen Figuren ist, dass sie reden, als ginge es auf den nächsten Kreuzzug, aber bitte ohne Risiko und persönliche Konsequenzen.
Von Mao Ze Dong stammt der Satz, dass die Macht aus den Läufen der Gewehre komme. Dieses bezieht sich nicht nur auf innere Konflikte, sondern auch auf die Spieleröffnung, wenn zwischenstaatlich die Diplomatie versagt hat und keine Rolle mehr spielt. In beidem sind Deutschland und die irrlichtende Administration der EU auf dem Weg zum Bankrott. Die Diplomatie wurde über Bord geworfen und die nötigen Waffen, die beim vermeintlichen Feind Eindruck erwecken würden, sind nicht vorhanden.
Deshalb sitzen am kommenden Freitag in Alaska auch die am Verhandlungstisch, die über beides verfügen: Diplomatie und Gewaltpotenziale. Ob einem das gefällt oder nicht. Die Vereinigten Staaten und Russland sind die Player. So sieht es aus auf dem strengen Pfad der Gnade. Und Dilettanten haben dort nichts verloren.
COMMENTS
Danke für die Erwähnung von Super-Henry. Das Gipfeltreffen hat stattgefunden. Das Fazit lautet: zarte Annäherung der beiden Supermächte! Bleibt Frieden ein utopischer Traum❓
Der Autor beschreibt realistisch, wer und warum am kommenden Freitag „auf dem strengen Pfad der Gnade“ in Alaska am Verhandlungstisch sitzt und wer nicht. Aber man täusche sich nicht über die „Figuren“, die mit dem Segen Roms seit Jahrhunderten einen Kreuzzug gegen Russland führen und in ihrer Verblendung bereit sind, einen Weltenbrand zu entzünden, um eine Einigung der Realisten in Alaska zu verhindern.