Neuer Generalstaatsanwalt – Beginn der Erneuerung in den Sicherheitsstrukturen?Schneider, Dr. Lic. Eberhard © Schneider

Neuer Generalstaatsanwalt – Beginn der Erneuerung in den Sicherheitsstrukturen?

[Eberhard Schneider] Zur „Januar-Revolution“ von Präsident Wladimir Putin, die in den Kolumnen von Januar (Verfassungsänderungsvorschläge) und Februar (neue Regierung) analysiert worden war, gehört auch der Wechsel an der Spitze der Generalstaatsanwaltschaft. Am 20. Januar war der seit 2006 amtierende Generalstatanwalt Jurij Tschajka zurückgetreten.[1] Am 22. Januar nahm der Föderationsrat den Rücktritt an und bestätigte den bisherigen Stellvertretenden Leiter des Ermittlungskomitees, Generalleutnant der Justiz Igor Krasnow, einstimmig als neuen Generalstaatsanwalt. Zwei Stellvertretende Generalstaatsanwälte, Alexander Buxman und Viktor Grin, verantwortlich für die Überwachung der Ermittlungen in den zentralen Apparaten des Ermittlungskomitees und des Innenministeriums, wollen nicht unter Krasnow arbeiten und gingen deshalb in Pension.

Am 22. Januar ernannte Präsident Wladimir Putin per Dekret Tschajka zum Vertreter des Präsidenten für den Föderalen Bezirk Nordkaukasus. Zu dem 2010 gebildeten Föderalen Bezirk Nordkaukasus gehören die teilweise politisch schwierigen Republiken Tschetschenien, Inguschetien, Dagestan, Nord-Ossetien, Kabardino-Balkarien und Karatschajewo-Tscherkessien sowie der Kraj Stawropol.

Tschajka war 2006 vom Amt des Justizministers an die Spitze der Generalstaatsanwaltschaft gewechselt. Ein Jahr später nahm Putin die Ermittlung der Generalstaatsanwaltschaft weg und machte sie zum Ermittlungskomitee (russ. abgekürzt SKR) bei der Generalstaatsanwaltschaft, das 2011 eine völlig selbständige Behörde wurde mit Alexander Bastrykin als ihrem Chef (bis heute). Tschajka plädierte regelmäßig für eine Verschärfung der Kontrolle des Ermittlungskomitees, z.B. für die Ausweitung des Rechts der Staatsanwälte, Strafverfahren abzubrechen, wie auch für das Recht der Staatsanwaltschaft, wichtige Fälle einzuleiten. Oft kam es zu Konflikten zwischen der Generalstaatsanwaltschaft und dem Ermittlungskomitee. Am auffälligsten war der Fall von 2011, als unter dem „Dach“ Moskauer Staatsanwälte illegale Glückspiele betrieben wurden. Die Generalstaatsanwaltschaft war inzwischen mit der Aufgabe betraut worden, dem Druck der Kontrollorgane und der Silowiki (vor allem Innenministerium, Inlandsgeheimdienst FSB) auf das Business entgegenzuwirken. Auf der andern Seite haben in jüngster Zeit Staatsanwälte vor Gericht immer häufiger das Ersuchen der Ermittler um Festnahme von Verdächtigen nicht unterstützt.

Krasnow war seit 1997 bei der Staatsanwaltschaft und ab 2006 als Ermittler in der Zentralstalle der Generalstaatsanwaltschaft tätig gewesen. 2016 wurde er mit 40 Jahren Stellvertretender Leiter des Ermittlungskomitees. Dort war er in erster Linie als Ermittler in besonders wichtigen Fällen bekannt, z.B. bei den politischen Morden des Oppositionsführers Boris Nemzow, des Rechtsanwalts Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasia Baburowa sowie bei dem Diebstahl während des Baus des Weltraumbahnhofs Wostotschnij. Krasnow beaufsichtigte ferner die Untersuchungen von Korruptionsfällen gegen die Gouverneure Alexander Choroschawinin (Gebiet Sachalin), Nikita Belych (Gebiet Kirow) und Wjatscheslaw Gajser (Komi), gegen Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew sowie gegen den Oberst des Innenministeriums Dmitrij Sachartschenko. Zu den wichtigsten Erfolgen Krasnows zählt die Säuberung Moskaus vom Nazi-Untergrund vor zehn Jahren, der an Dutzenden von Morden beteiligt war.

Laut „Wedomosti“ deutet die Ernennung des Stellvertretenden Leiters des Ermittlungskomitees zum Generalstaatsanwalt auf das Ende der langjährigen Auseinandersetzungen zwischen beiden Behörden hin.[2] Die Zukunft des Ermittlungskomitees und seines Leiters Bastrykin dürfte in Frage gestellt sein. Der Direktor des Moskauer „Internationalen Instituts für Expertise“, Jewgenij Mintschenko, vermutet bei der Ernennung von Krasnow die Idee der Wiedervereinigung des Ermittlungskomitees mit der Generalstaatsanwaltschaft.

Nikolaj Petrow von der Moskauer Hochschule für Wirtschaft vermutet in der Ablösung von Tschajka den Beginn einer Etappe zur Erneuerung in den Sicherheitsstrukturen. So könnten die Entlassungen Bastrykins, des FSB-Chefs Alexander Bortnikow und des Sicherheitsratssekretärs Nikolaj Patruschew folgen. „Die schnelle Aufnahme von Verfassungsänderungsvorschlägen könnte mit dem Wunsch zusammenhängen, die Silowiki als potentielle selbständige Akteure in der schwierigen Situation der Transformation zu demoralisieren.“ Petrow meint wahrscheinlich die Transformation 2024, wenn Putins gegenwärtige Amtszeit als Präsident endet. „Außerdem mag es Putin nicht, wenn Menschen mit einer Korporation zusammenwachsen, und Tschajka war tief verwurzelt in der Generalstaatsanwaltschaft. Deshalb kommt an seine Stelle ein Mensch aus einer konkurrierenden Machtstruktur. Genau das Gleiche kann im Falle von Bastrykin erwartet werden, wenn die Leitung des Ermittlungskomitees jemand aus einer anderen Struktur oder aus dem mittleren Management übernimmt.“ Petrow sieht keinen Sinn darin, eine Supermachtstruktur zu schaffen, also das, was Mintschenko meint. „Es war das Lieblingsspiel Putins: Streit zwischen Tschajka und Bastrykin. Tschajka wollte seit langem Befugnisse, um Strafsachen einleiten zu können. Sie wurden der Generalstaatsanwaltschaft übergeben, aber Tschajka wird nicht mehr dort sein. Putin führt ein Spiel, bei dem es darum geht, konkurrierende Behörden im Gleichgewicht zu halten und Menschen gegeneinander auszuspielen.“

Auf der erweiterten Sitzung des Föderationsrats am 14. Februar wurden Verfassungsänderungsvorschläge Putins kritisiert.[3] Die Stellvertretende Vorsitzende des Gesetzgebungsausschusses des Föderationsrats, Jelena Misulina, stimmte dem vorgeschlagenen neuen Verfahren zur Ernennung des Generalstaatsanwalts nicht zu. Wenn der Generalstaatsanwalt nach Annahme der Verfassungsänderungsvorschläge dann vom Präsidenten nach „Konsultationen“ mit den Senatoren persönlich ernannt und entlassen werden kann, würde das zu einer Verringerung der Unabhängigkeit des Generalstaatsanwalts führen. Die Senatorin betonte, dass dieser Änderungsvorschlag allerdings nicht vom Präsidenten stammte, sondern von den Ko-Vorsitzenden der „Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der Vorschläge für die Verfassungsänderungen“ Pawel Kraschenninikow (Vorsitzender des Komitees der Staatsduma für Staatsaufbau und Gesetzgebung) und Andrej Klischas (Vorsitzender des Komitees des Föderationsrats für Verfassungsgesetzgebung und Staatsaufbau). Die derzeitige Regelung der Verfassung sieht in Artikel 129, Abs.2, vor, dass der Generalstaatsanwalt auf Vorschlag des Präsidenten  vom Föderationsrat ernannt und entlassen wird.

[1]              https://www.kommersant.ru/doc/4225857

[2]              https://www.vedomosti.ru/politics/articles/2020/01/21/821056-mechta-genprokurora

[3]              https://www.vedomosti.ru/politics/articles/2020/02/16/823154-popravkami-konstitutsii

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