Dialog EU-Russland? Wer nicht mehr spricht, setzt auf Konfrontation

Dialog EU-Russland? Wer nicht mehr spricht, setzt auf Konfrontation

[Kommentar von Gunnar Jütte] Seit dreißig Jahren versucht die Europäische Union, Russland ihren Wertekanon überzustülpen. Etwas, was noch nicht einmal in der erweiterten EU geklappt hat.

Besoffen von der Siegesparty des gewonnenen kalten Krieges hat die westliche Politik nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion immer wieder die Handreichungen Russlands ausgeschlagen und wie selbstverständlich westliche Interessen, auch wenn sie gegen Russland gerichtet waren, ohne Beteiligung Russlands durchgesetzt.

Nach drei Jahrzehnten ist das Verhältnis EU-Russland an einem absoluten Tiefpunkt angelangt. Beide Seiten überschütten sich mit Sanktionen, Ausweisungen und Anschuldigungen. Darum ist ein entschlossenes Umdenken erforderlich.

Der 2015 verstorbene Altmeister der deutschen Friedens- und Entspannungspolitik, Egon Bahr, sagte auf einer Veranstaltung 2013 vor Schülern in Heidelberg: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“

Vielleicht sollte man genau diesen Standpunkt als Ansatz nehmen, um endlich ein Umdenken in Deutschland-Russland-Politik zu starten. Hören wir, also Deutschland, auf, am großen Rad zu drehen und Russland die europäischen Werte aufzwingen zu wollen. Russland muss sich selbst entwickeln.

Wie anmaßend ist es, Russland vorzuwerfen, dass dort keine westliche Demokratie herrscht, wenn noch nicht einmal die vom Westen in Russland hofierten liberalen Demokraten und Oppositionellen das können. Als in meiner Zweitheimatstadt Tarussa die Stadtregierung (Edinaja Russia, in den westlichen Medien auch Putin-Partei genannt) mehr oder weniger putschartig die alten sowjetischen Straßennamen austauschen wollte, standen die Oppositionellen schnell Schulter an Schulter mit der Putin-Partei und den Monarchisten von Zargrad.

In einer Diskussion mit den „Oppositionellen“ erklärten sie, dass Russland nicht bereit für demokratische Entscheidungen ist, und wenn man über die Straßennamen demokratisch abgestimmt hätte, wären vielleicht die sowjetischen geblieben. Demnach ist selbst die liberale demokratische Opposition noch nicht einmal in der Lage, einfachste demokratische Formen in Russland umzusetzen.

Wir sollten damit aufhören, Russland westliche Werte zu überstülpen versuchen, und uns wieder an Egon Bahr orientieren – und an Michail Gorbatschow, der bereits auf dem Petersburger Dialog 2006 mehr als deutlich darauf hingewiesen hat, dass zwischen Deutschland und Russland verstärkt gemeinsame Interessen herausgearbeitet werden müssten. Ohne Einmischung in die Innenpolitik der jeweiligen Staaten.

Es gibt dringendste gemeinsame Interessen, die unabhängig von der Politik der jeweiligen Staaten, überlebensnotwendig sind. Als ein entscheidendes Beispiel sei hier die durch den starken Anstieg der CO2-Emissionen, also menschengemachte, Klimaerwärmung erwähnt. Russland ist von ihr ebenso betroffen wie der Rest der Welt. Die russischen Permafrostböden tauen auf und es entstehen bereits jetzt unübersehbare Infrastrukturschäden, die gewaltige Summen verschlingen. Die CO2-Abgaben in der EU werden in den nächsten Jahren stark ansteigen müssen, wenn man die Klimaerwärmung auch nur annähernd stoppen möchte.

Das bedeutet ebenso, dass importierte Energieträger aus Russland stärker besteuert oder mit CO2-Abgaben belegt werden. Russland kann einen großen Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen leisten. Russland hat die Fläche und hätte die Möglichkeiten, CO2-neutralen Wasserstoff herzustellen. Wie Russland bereits angekündigt hat, könnte dieser „grüne Wasserstoff“ durch die Pipeline Nord Stream 2 geschickt werden.

Dazu braucht es gemeinschaftliche internationale Anstrengungen, technischen Austausch und Zusammenarbeit. Kontraproduktive Sanktionen und die Verweigerung von Gesprächen haben hinter solchen Aufgaben zurückzustehen.

Soll man eine solche Aufgabe erst angehen, wenn einem das politische System des anderen passt? Wenn wir darauf warten, dann können wir alle Klimaziele vergessen.

Als Hinweis für die „Grünen“ – sowenig jedwede Sicherheitspolitik ohne Russland erfolgreich sein kann, so folgenlos wird auch die Reduktion der CO2-Emissionen ohne Russland bleiben.

Wenn Russland deutsche NGOs aus dem Land verweist und der deutsche Teil des Petersburger Dialogs seine Gespräche aussetzt, dann ist das der falsche, der rückwärtsgewandte Weg. Wer nicht mehr spricht, setzt auf Konfrontation.

Nicht am großen Rad drehen, erst gemeinsame Interessen zusammen verwirklichen. Wandel durch Annäherung war das Motto der Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr. Ein Satz der heute wichtiger denn je ist.

Zuallererst müssen Deutschland und Russland wieder zu einer Interessengemeinschaft zusammenfinden. Alles Weitere kann darauf aufbauen. Wie einst Konfuzius schon gesagt haben soll: „Auch der weiteste Weg beginnt mit einem ersten Schritt.“

COMMENTS

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    Klatt,Hans 3 Jahren

    Diese 5 Länder sollten aus der EU gelöscht werden. Also wer braucht schon die Baltischen Staaten wie auch Polen und Holland.
    Einen Dialog zu finden, sollten diese Politiker mal genau überlegen, damit die Werte von Europa( egal West oder Osteuropa) erhalten bleiben. Gerade die Baltischen Staaten und Polen wollen doch nur das “ Geld“ der EU erhalten und nichts dafür tun.Diese Länder sollten noch einmal die Geschichtsbücher lesen, denn die damalige Sowjetunion war, die Europa( gerade Osteuropa) vom Faschismus befreit hat.

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    Horst Beger 3 Jahren

    Der Verfasser geht wie die meisten Kommentatoren von der Behauptung aus, mit dem Zerfall der Sowjetunion sei der geostrategische Kalte Krieg Amerikas und der NATO gegen Russland beendet gewesen. Das Gegenteil ist der Fall, mit der Aufnahme der ehemaligen Mitglieder des Warschauer Paktes in die NATO hat sich diese mehr und mehr von einem Verteidigungsbündnis in ein Kriegsbündnis verwandelt. Und die deutsche Bundesrepublik hat sich der NATO-Doktrin, „Amerika in Europa zuhalten, Russland draußen zu halten und Deutschland klein zu halten“ von Anfang an masochistisch untergeordnet und fordert eine weitere militärische Aufrüstung der Bundesrepublie und der NATO gegen Russland.

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    Könnte einen Juhu-Schrei der Bevölkerung als TZ- AZ- Bild-Schlagzeile auslösen!

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