Die Gefahr, dass in der Ukraine der Dritte Weltkrieg beginnt, ist realRahr, Prof. Alexander © russlandkontrovers

Die Gefahr, dass in der Ukraine der Dritte Weltkrieg beginnt, ist real

Die Uhr zeigt fünf vor zwölf. Der Westen muss seine besserwisserische Haltung ändern, aufhören, Gegenargumente zu seiner Politik als postfaktisch und als Propaganda zu verdammen. Fangen wir mit dem Dialog über die Ukraine an:

Was will Russland? Moskau möchte den Konflikt in der Ostukraine einfrieren, wie Transnistrien in Moldawien und früher Abchasien und Süd-Ossetien in Georgien. Eine UN-Blauhelmtruppe soll die beiden Konfliktparteien der Separatisten und der ukrainischen Armee dauerhaft trennen. Das Minsker Abkommen, das eine Autonomie für die abtrünnige Region vorsieht, soll erfüllt werden. Anschließend sollen die selbstproklamierten Republiken ihre Gouverneure und Parlamente wählen, die sich dann mit der Zentralregierung in Kiew über ihre Reintegration in eine künftige föderative Ukraine einigen sollen.

Was will die Ukraine? Sie möchte kein pro-russisches Protektorat auf ihrem Territorium sehen und fürchtet deshalb eine dauerhafte „Einfrierung“ des Donbass-Konfliktes. Kiew will mit keinen Separatisten verhandeln, sondern die abtrünnige Region – wenn die eigenen Kräfte dafür nicht ausreichen – mit westlicher militärischer Hilfe, zurückbekommen. Das Minsker Abkommen erachtet die Ukraine als ihre eigene Kapitulation und will von ihm nichts mehr wissen.

Was will die EU? Die EU ist in Bezug auf die Ukraine gespalten. Deutschland und Frankreich wollen das Minsker Abkommen, für das sie als Garanten mitverantwortlich sind, realisiert sehen. Wenn in der Ostukraine, mittels einer Autonomielösung und gleichzeitigem völligen Abzug der Russen, wieder Frieden herrscht, wollen Paris und Berlin mit Moskau über eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur neu verhandeln. Polen, die Balten und die nordischen EU-Staaten sind strikt dagegen. Sie wollen die Ukraine in die NATO holen und Russland nach Asien abdrängen. Dass Russland den Westen immer wieder vor einer der NATO-Osterweiterung in das ehemalige Territorium der UdSSR gewarnt hatte, ist ihnen egal.

Ukrainer und Europäer sind, wie Russland, für die Entsendung einer UN-Friedenstruppe in die Ostukraine. Allerdings schwebt ihnen, im Gegensatz zu Russland, ein Kosovo-Modell für den Donbass vor: Die Blauhelme sollen nicht nur die Demarkationslinie zwischen den kämpfenden Parteien absichern, sondern auf dem gesamten Territorium der Abtrünnigen stationiert werden. Sie sollen die Separatisten entwaffnen, die lokale Administration übernehmen und die sich abgespaltene Region wieder in die Ukraine intergieren.

Was wollen die USA? Unklar ist, wer die amerikanische Außenpolitik bestimmt. Präsident Trump will sich mit Russland über die globale weltpolitische Agenda einigen. Der Kongress, die Neocons und die „Machtministerien“ wollen Russland dagegen eindämmen, mit Sanktionen beschädigen. Über das Engagement der EU für die Ukraine denken die Amerikaner so wie es die Stellvertretende US-Außenministerin am Anfang der Krise ausgedrückt hat: „Fuck the EU“.

Unterschiedlicher könnten die Ansichten nicht sein. „Nie wieder Krieg“ – rief man in Deutschland nach den beiden verheerenden Weltkriegen. Es folgte der Kalte Krieg. Auf jede folgende Eskalation, sei es in Kuba oder im Prager Frühling, folgte eine vernunftgeleitete Deeskalation: Abrüstung, Entspannung, Helsinki-Prozess. Und jetzt? Statt auf Deeskalation zu setzen, dreht sich die Rüstungsspirale. Nie wieder Krieg? – Mitnichten! Entspannungspolitik ist passe. Westliche Politiker, in Rechtsfragen bewandert, in Geschichtsfragen katastrophal ungebildet, reden den nächsten Krieg herbei, angespornt von einer militanten, rechthaberischen und allerzieherischen Medienlandschaft.

Wo liegt das Problem? Philosophisch betrachtet – in der Veränderung der globalen Ordnung von einer westlich dominierten monopolaren, zu einer multipolaren Welt. Nach dem Sieg im Kalten Krieg sah sich der Westen im absoluten Recht: Seine liberale Weltanschauung hatte auf globaler Ebene gesiegt, die liberalen Werte wurden zu einer Ideologie mit universellen Anspruch.

Politisch betrachtet – in der westlichen Sicht, dass die Welt staatenlos, die Weltwirtschaft global, die Rechtssysteme einheitlich sind. Und nur der Westen könne die universellen Normen für alle bestimmen. Dass andere Kulturnationen opponierten, stieß im Westen auf Unverständnis. Auf Russland bezogen hieß es stets: Die Russen sind genauso freiheitsliebend wie wir, das Problem ist Putin. Ähnlich verfuhr der Westen im Arabischen Frühling.

In der Ukraine, vor vier Jahren, stießen die unterschiedlichen Weltanschauungen mit aller Wucht aufeinander. Westen und Russland sind inzwischen, wie zwei Ringkämpfer, ineinander verkeilt. Dabei geht kein Weg daran vorbei: das Minsker Abkommen muss erfüllt werden.

Erstens, ist es rechtlich, weil von allen Beteiligten unterschrieben. Wenn eine Seite es bricht, begeht sie Rechtsbruch. Die EU hatte schon einmal, zu Beginn der Ukraine-Krise, zwischen Konfliktparteien, damals dem ukrainischen Präsidenten Janukowitsch und den Majdan-Demonstranten, vermittelt. Was daraus wurde, ist allen in Erinnerung geblieben: Ein illegaler Staatsstreich, danach die Krim Annexion, schließlich Krieg in der Ostukraine. Ein zweites Mal kann sich keiner einen solchen Gesichtsverlust mehr leisten.

Zweitens, müssen die Europäer endlich beweisen, dass sie europäische Sicherheitsprobleme selbst lösen können. Es wäre ein jämmerliches Armutszeugnis, wenn der Minsker Prozess scheitern, und die Ukraine-Frage alleine von den Verhandlungen zwischen Moskau und Washington abhängen würde.

Aber in der Ukraine geht es um mehr: Kann der Westen noch seine Gestaltungsmacht durchsetzen? Oder werden andere Akteure stärker? Solange die westliche Welt in der Weltwirtschaft weiter so erfolgreich dominiert, wie heute, hofft der Westen auf die Fortsetzung seiner Führungsrolle. Die USA haben Russland und China als ihre gefährlichsten Widersacher beim Aufbau der neuen Welt identifiziert. In der Geschichte haben untergehende Weltmächte immer bis zum bitteren Ende um Macht und Einfluss gekämpft.

Selten haben sie sich so friedlich in ihr Schicksal ergeben, wie die Sowjetunion vor fast schon 30 Jahren. Auch die USA werden bis zum Schluss um ihren globalen Machterhalt kämpfen und alle eindämmen wollen: Russland, China, Iran, Nordkorea, Kuba. Ob die Europäer dann Geiseln dieser egoistischen Geopolitik werden wollen, hängt ganz von ihnen ab.

Ein Lichtblick auf der Münchner Sicherheitskonferenz war, dass den Teilnehmer klar vor Augen geführt wurde, dass die Zeit des westlichen Triumphalismus und Universalismus vorbei ist. Um zu überleben, wird der Westen sich künftig mit Blöcken und Staaten mit anderen politischen Gesellschaftssystemen besprechen und arrangieren müssen. Und hier sind wir wieder bei der Neuauflage einer Ostpolitik gegenüber Russland angelangt.

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