DIE NEUE RUSSISCHE REGIERUNGSchneider, Dr. Lic. Eberhard © Schneider

DIE NEUE RUSSISCHE REGIERUNG

Am 5. Februar tagte die neue russische Regierung, die am 21. Januar gebildet worden war, unter dem Vorsitz von Präsident Wladimir Putin, wozu laut Verfassung der Präsident berechtigt ist.[1] An der Spitze der Regierung steht das Regierungspräsidium, das öfter tagt als die gesamte Regierung und mindestens einmal pro Woche.

Neuernennungen im Regierungspräsidium

Das Regierungspräsidium bilden der Premier – der neue Premier Michail Mischustin war in der Januar-Kolumne bereits vorgestellt worden -, der Erste Stellvertretende Premier sowie die übrigen Stellvertretenden Premiers und die Minister des „Präsidentenblocks“: für Äußeres, Verteidigung, Zivilverteidigung, Inneres und Justiz. Diese Minister hatte Boris Jelzin 1994 dem Präsidenten direkt unterstellt, was bis heute beibehalten worden ist. Von Regierung zu Regierung verschieden werden gelegentlich noch weitere Minister zum Regierungspräsidium hinzugezogen. In der neuen Regierung ist kein Stellvertretender Premier mehr gleichzeitig Minister wie es bisher bei Finanzminister Anton Siluanow der Fall war, der zwar im Kabinett verbleiben konnte, aber nicht mehr Erster Stellvertretender Premier ist.

Der neue Erste Stellvertretende Premier Andrej Beloussow wurde 1959 in Moskau geboren und absolvierte die Wirtschaftsfakultät der Moskauer Staatlichen Lomonossow-Universität, an der auch später promovierte. Sein Vater Ram Beloussow war einer der Reformentwickler für den damaligen sowjetischen Regierungschef Alexej Kossygin gewesen. Im Jahr 2000 gründete Andrej Beloussow das „Zentrum für Wirtschaftsanalyse und kurzfristige Prognose“. 2006 wurde er Stellvertretender Minister für Wirtschaftsentwicklung. 2008 leitete er die Abteilung für Wirtschaft und Finanzen im Apparat der damaligen Regierung Putin. Als Putin 2012 in den Kreml zurückkehrte berief er Beloussow zum Minister für wirtschaftliche Entwicklung. Ein Jahr später ernannte Putin ihn zu seinem Assistenten für Wirtschaft.[2] Beloussow war der Hauptautor des Erlasses des Präsidenten vom Mai 2018, der die sozio-ökonomische Zielvorgaben bis 2024 enthält, und der Ideologe der nationalen Projekte im Wert von fast 26 Billionen Rubel (375 Mrd. €). Nun muss er wohl dafür sorgen, dass der Erlass auch umgesetzt wird. Dessen mangelnde Realisierung hatte Putin mehrmals kritisiert. Als Erster Stellvertretender Premier ist Beloussow für den gesamten Finanz- und Wirtschaftsblock verantwortlich.  Dabei gilt Beloussow als „Apologet des Staatskapitalismus“. [3]

Die Stellvertretende Premierministerin Wiktorija Abramtschenko wurde 1975 in der Republik Chakassien geboren und absolvierte 1998 die Staatliche Agraruniversität in Krasnojarsk. Sie ist eine langjährige Bekannte des neuen Premier Mischustin. 2011 leitete sie das Staatliche Katasteramt. 2015 wurde sie Stellvertretende Landwirtschaftsministerin und 2016 Stellvertretende Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung.

Der Stellvertretende Regierungschef Marat Chusnulin, 1966 in der tatarischen Hauptstadt Kasan geboren, hat in Wirtschaftswissenschaften promoniert (russ. Kandidat). Zusammen mit dem Moskauer Oberbürgermeister Sergei Sobjanin leitete er die umfassende Prüfung aller Bauvorhaben in der russischen Hauptstadt und die Renovierung sowie den Bau von Infrastruktureinrichtungen (Transport- und Umschlagknoten, U-Bahn, Zentraler Autoring, Zentrale Automagistralen) in Moskau ein.

Der Stellvertretende Premier Dmitrij Grigorenko, 1978 im Gebiet Tjumen geboren, absolvierte die Kubaner Staatliche Universität in Krasnodar. 13 Jahre lang war er in verschiedenen Funktionen immer der Stellvertreter von Mischustin. Beim Föderalen Steuerdienst war er vor allem an der Erstellung großer Informationssysteme beteiligt gewesen. Jetzt vertraut der Premier ihm die Leitung des Regierungsapparats an.

Der Stellvertretende Premier Alexej Owertschuk, 1964 in der Ukraine geboren, absolvierte die Moskauer Landwirtschaftsakademie mit der Spezialisierung Wirtschaftskybernetik. Ab 2011 war er im Föderalen Steuerdienst, der Behörde von Mischustin, tätig gewesen und dort mit internationaler Besteuerung und Währungskontrolle befasst. Während seiner Tätigkeit knüpfte der Föderale Steuerdienst aktiv Kontakte zu anderen Ländern. So trat Russland der Europäischen Organisation der Steuerverwaltungen bei.

Der Stellvertretende Premier Dmitrij Tschernyschenko, 1968 in Saratow geboren, studierte in Moskau wie Mischustin an der Staatlichen Technischen Universität „Stankin“. 1993 war er Mitgründer der Holding Media Arts Group. Von 2007 bis 2014 war Tschernyschenko Präsident des Organisationskomitees der XXII. Olympischen Winterspiele und der XI. Paralympischen Winterspiele 2014 in Sotschi. Zur gleichen Zeit diente Tschernyschenko als stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der Olimpstroy Group of Companies. Seit 2015 war er Generaldirektor der GAZPPROM-Media-Holding.

Folgende Stellvertretende Premiers sind geblieben: Jurij Borissow, Tatjana Golikowa, Jurij Trutnew. Geblieben sind auch die Minister des „Präsidentenblocks“: Außenminister Sergej Lawrow, Verteidigungsminister Sergej Schojgu, Innenminister Wladimir Kolokolzew, der Minister für Zivilverteidigung sowie Katastrophenschutz Jewgenij Sinitschew und Justizminister Konstantin Tschujtschenko.

Der bisherige Stellvertretende Premier Dmitrij Kosak mit der Zuständigkeit für Industrie wurde Stellvertretender Leiter der Präsidialadministration.[4]

Neue sonstige föderale Minister

Acht föderale Minister außerhalb des Regierungspräsidiums wurden neu ernannt:

Der Minister für wirtschaftliche Entwicklung Maxim Reschetnikow, 1979 im Perm geboren, absolvierte die Staatliche Universität Perm im Fach Wirtschaftskybernetik und promovierte auch dort. Nach der Ernennung von Sergei Sobjanin zum Oberbürgermeister von Moskau trat Reschetnikow 2012 in die Moskauer Stadtverwaltung ein. 2017 wurde er zum Gouverneur seines Heimatgebiets Perm ernannt. In dieser Funktion verteidigte er die finanzielle Freiheit der Regionen. So sprach er sich für eine Erhöhung des regionalen Anteils der dem Bundeshaushalt zugewiesenen Einkommensteuereinnahmen aus.

Kulturministerin Olga Ljubimowa, 1980 in Moskau geboren, absolvierte die Fakultät für Journalistik der Moskauer Staatlichen Lomonossow-Universität. Als Leiterin der Abteilung des Kulturministeriums für Kinematographie war sie ab 2012 verantwortlich für die Bereitstellung von Haushaltsmitteln für die Produktion von Filmen, für die effiziente Verwendung dieser Mittel, für die Erhöhung der Zuschauerzahlen bei inländischen Filmen und für die staatliche Unterstützung von Filmfestivals. Der bisherige Kulturminister Wladimir Medinskij mit seinen patriotischen Mythen und entsprechenden politischen Aktivitäten durfte nicht im Kabinett verbleiben.

Sportminister Oleg Matyzin, 1964 in Moskau geboren, absolvierte 1985 das Staatliche Zentrale Institut für Körperkultur in Moskau und 1991 die Pekinger Sport-Universität. Er ist Doktor der Pädagogischen Wissenschaften, Professor und Mitglied der Akademie für Pädagogischen Wissenschaften. Von 2006 bis 2016 war er Rektor der Russischen Staatlichen Universität für Leibeserziehung und dann Präsident derselben Universität. Der bisherige Sportminister Witalij Mutko, der zugleich Stellvertretender Premier war, musste wegen der Dopingskandale gehen.

Der Minister für Hochschulbildung und Forschung Walerij Falkow wurde 1978 in Tjumen geboren, absolvierte 2000 das Institut für Staat und Recht der Staatlichen Universität Tjumen und promovierte 2003. Von 2007 bis 2011 war er Prorektor und dann bis 2018 Rektor dieser Universität.

Bildungsminister Sergej Krawzow wurde 1974 in Moskau geboren, absolvierte 1996 die Moskauer Staatliche Humanitäre Universität und promovierte in Pädagogischen Wissenschaften. Ab 2013 leitete er den „Föderalen Dienst für die Aufsicht über Bildung und Wissenschaft (Rosobrnadsor)“. Seine Amtsvorgängerin Olga Wassiljewa durfte wegen ihrer ultrakonservativen Ansichten nicht in der Regierung verbleiben.

Gesundheitsminister Michail Muraschko wurde 1967 in Swerdlowsk, das seit 1991 wieder Jekaterinburg heißt, geboren, absolvierte 1992 das Uraler Staatliche Medizinische Institut und ist Doktor der Medizinischen Wissenschaften. 2012 wurde Muraschko Stellvertretender und dann 2015 Leiter des „Föderalen Dienstes für die Gesundheitsüberwachung (Rossdrawnadsor)“ Als Chef dieser Behörde beteiligte er sich an vielen Reformen, die für die Branche von Bedeutung sind, z.B. an der Einführung der obligatorischen Kennzeichnung von Arzneimitteln. Seine Amtsvorgängerin Weronika Skworzowa wurde wohl hauptsächlich wegen der Probleme bei der landesweiten Versorgung mit Medikamenten abgelöst.

Der Minister für digitale Entwicklung, Telekommunikation und Massenkommunikation Maksut Schadajew wurde 1979 in Moskau geboren. 2004 absolvierte er die Moskauer Staatliche Soziale Universität des Ministeriums für Arbeit und soziale Entwicklung. In den frühen 2000er Jahren arbeitete er in leitenden Positionen in IT-Unternehmen. 2014 wurde er Minister für öffentliche Verwaltung, Informationstechnologie und Kommunikation der Region Moskau und 2016 Stellvertretender Ministerpräsident dieser Region. Im September 2018 wurde er Vizepräsident von Rostelecom, des größten russischen Providers.

Der Minister für Arbeit und sozialen Schutz Anton Kotjakow wurde 1980 in Kujbyschew, inzwischen wieder Samara, geboren. 2011 absolvierte er eine Magistratur an der „Russischen Präsidentenakademie für Volkswirtschaft und öffentliche Verwaltung“. Er arbeitete im Finanzministerium der Region Samara, im Jahr 2014 leitete er das Finanzministerium der Region Moskau. 2017 trat Kotjakow in das russische Finanzministerium ein und übernahm das Amt des stellvertretenden Ministers, wo er für soziale Angelegenheiten zuständig war. Ein Verdienst von Kotjakow ist, dass er die Beziehungen zwischen dem Finanzministerium und dem Sozialblock normalisiert hat.

Gesamteinschätzung

Von den 29 Mitgliedern der Regierung wurden 14 neu ernannt. (48,3 %), zwei sind Frauen (6,9 %). Das Durchschnittsalter beträgt 48 Jahre. Fünf der neuen Kabinettsmitglieder sind in Moskau geboren.

Mischustin ist der erste Premier, der nach Putin (2008 als Premier) in der Regierung ein Team von Gleichgesinnten unterbringen konnte.[5] Es ist eine Regierung professioneller Technokraten, keine neuen Silowiki hielten Einzug. Manche sehen im Kabinett Mischustin eine der stärksten Regierungen des postsowjetischen Russland.[6]

Ruben Jenikolopow von der Moskauer Nationalen Universität-Hochschule für Wirtschaft zog bezüglich der neuen Regierung am 27. Januar in der Zeitung „Wedomosti“ ein pessimistisches und ein optimistisches Fazit.[7] Das pessimistische Fazit lautet: „Aus der Sicht der Entwicklungsstrategie des Landes wurde der Ansatz gewählt, alles zu ändern, ohne etwas zu verändern. Sowohl die Neuordnungen in der Regierung als auch die Initiativen zur Änderung der Verfassung zielen in der Tat darauf ab, die derzeitige Politik beizubehalten. In naher Zukunft sind keine Strukturreformen zu erwarten. Es ist kein Geheimnis, dass eines der Haupthindernisse für das Wirtschaftswachstum das russische Strafverfolgungssystem ist, das keine Eigentumsrechte gewährt, keine Korruptionsbekämpfung betreibt und das häufig als Knüppel zur Beilegung von Handelsstreitigkeiten dient.“

Und das optimistische Fazit: „Aus taktischer Sicht kann der Regierungswechsel dazu beitragen, zumindest den Ansatz, den die Führung des Landes bereits gewählt hat, effektiver umzusetzen. Die einzige Quelle des Wirtschaftswachstums bei diesem Ansatz könnte eine Erhöhung der Staatsausgaben sein. Die Einnahmen hierfür sind mittlerweile völlig ausreichend, der Nutzen der Steuerbelastung für die Wirtschaft ist in den letzten Jahren aufgrund höherer Mehrwertsteuersätze und aufgrund vermehrter Einziehung deutlich gestiegen. Die Vorgängerregierung hat es jedoch völlig versäumt, dieses zusätzliche Geld auszugeben… In dieser Situation hat die neue Regierung die Hauptpriorität, endlich ein System für die Ausgabe von Haushaltsgeldern zu schaffen, damit dieses Geld nicht nur verschwendet wird, sondern zumindest zu einer gewissen Beschleunigung des Wirtschaftswachstums führt. Diese Aufgabe ist absolut technisch, da die strategischen Richtungen zur Kostensteigerung bereits in nationalen Projekten formuliert wurden… Im Allgemeinen ist zu erwarten, dass es dem neuen Premierminister und dem Wirtschaftsblock gelingt, interne Prozesse zu etablieren, die es zumindest irgendwie ermöglichen, das Programm zur Erhöhung der Staatsausgaben auf den Weg zu bringen… Im Allgemeinen sind die Veränderungen in der Regierung jedoch eher kosmetischer Natur. Sie werden das Land nicht aus einem Zustand der Stagnation führen, in dem die Wirtschaftswachstumsraten immer noch hinter dem Weltdurchschnitt zurückbleiben, doch sie können es auf 2,0–2,5% pro Jahr beschleunigen. Das heißt, der Sumpf bleibt derselbe, aber die Wirtschaft könnte etwas aktiver werden.“

Am 6. Februar stellte Mischustin die Zielvorgaben für die Regierungsarbeit vor: „Entbürokratisierung“ und „Deregulierung“.[8]

 

[1]              http://kremlin.ru/events/president/news/62734

[2]              https://www.vedomosti.ru/politics/articles/2020/01/21/821145-chem-izvestni-novie

[3]              https://www.mk.ru/politics/2020/01/21/pervym-vicepremerom-stal-andrey-belousov-apologet-goskapitalizma.html

[4]              https://www.kommersant.ru/doc/4232639n

[5]              https://www.vedomosti.ru/economics/articles/2020/01/22/821177-mishustin-smog

[6]              https://www.mk.ru/politics/2020/01/22/novyy-kurs-pravitelstva-mishustina-zakonchil-liberalnuyu-eru.html

[7]              https://www.vedomosti.ru/opinion/columns/2020/01/28/821581-pravitelstvo-rosta

[8]              https://www.kommersant.ru/doc/4244383

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