Ende des Ukraine-KriegesProf. hon. Alexander Rahr

Ende des Ukraine-Krieges

Russlandkontrovers sprach mit dem Historiker Prof. hon. Alexander Rahr. Rahr ist Buchautor, Vorsitzender der Eurasien Gesellschaft, und Senior Research Fellow am Welt-Trends-Institut für Internationale Politik.

Russlandkontrovers: Herr Rahr, der Ukraine-Krieg dürfte irgendwann zu Ende gehen, obwohl heute noch niemand weiß, wie. Beobachter gehen davon aus, dass es mit einem US-Präsidenten Donald Trump eine diplomatische Lösung geben könnte. Wie sehen Sie als Vorsitzender der Eurasien Gesellschaft, die den Konflikt seit zwei Jahren intensiv beobachtet und analysiert, die mögliche Entwicklung?

Rahr: Voraussagen sind in diesem Fall schwierig. Vom Kriegsgeschehen erreichen uns mehr Desinformationen als Fakten. Der Westen glaubt noch an einen Sieg der Ukraine mit Hilfe westlicher Waffen. Russland rechnet mit einer baldigen Kapitulation der ukrainischen Militärs. Kommt es zum befürchteten Krieg Nato-Russland? Vergessen wir hier nicht die Atomwaffen. Oder wird Russland sein Ziel, die Nato zurückzudrängen, erreichen? Für Beobachter im Westen ist Russland mit seinen Großmachtambitionen gescheitert. Derweilen haben die russischen Eliten dem Westen den Heiligen Krieg erklärt – Russland sieht sich in der Schlacht von Armageddon gegen den Antichristen. Und der ehemalige ukrainische Präsidentenberater Roman Aristowitsch, der jetzt in den USA lebt, und bekannt ist für seine nicht traditionellen Ansichten, sagt, die Ukraine habe einen historischen Fehler begangen, indem sie die gesamtslawische Idee der Kiewer Rus „verraten“ habe. In der „Russischen Welt“ hätte sich die Ukraine sowohl wirtschaftlich und politisch besser entwickeln können, als dem Westen als Anhängsel zu dienen. Gehört die Ukraine künftig zum Westen oder zu Eurasien? Im Dezember 1991 trafen sich die damaligen Republikchefs von Russland, Ukraine und Belarus im Belowescher Forst, um die Sowjetunion aufzulösen. Sie kamen überein, eine „slawische Union“ zu gründen. Alle drei neuen Staaten erklärten sich zunächst bereit, einem gemeinsamen Sicherheitsbündnis anzugehören. Doch die Ukraine scherte aus diesem Bündnis aus und wollte damals in die Nato. Doch sie ist seit 33 Jahren dort nicht angekommen. Der Krieg wird wohl Ukrainer und Russen auf Jahrzehnte trennen.

Russlandkontrovers: Sie sind heute kein Politologe mehr, sondern bekennen sich zum Beruf des Historikers. Kein Experte hat die letzten drei Jahrzehnte der Entwicklung in Osteuropa so intensiv begleitet wie Sie. Sie haben – das klingt heute wieder aktuell – die Terroranschläge in Russland in den Nullerjahren im deutschen Fernsehen kommentiert. Was sagen Sie zum Anschlag auf die Krokus-Konzerthalle in Krasnogorsk?

Rahr: Dieser fürchterliche Terroranschlag reiht sich ein in ähnliche Attacken islamistischer Terroristen in Russland um die Jahrhundertwende. Die tadschikische Mörderbande ist offenkundig von der Terrororganisation Islamischer Staat (IS), die heute von Afghanistan aus operiert, rekrutiert worden. Warum der Anschlag gerade jetzt erfolgte, ob er die Ouvertüre zu einem neuen Dschihad gegen Russland darstellt, oder doch von Kräften in der Ukraine orchestriert wurde, muss sich zeigen. Unbestritten ist, dass seit Kriegsbeginn von Kiew aus einzelne terroristische Anschläge gegen Russland stattgefunden haben. Die Sprengung der Pipeline Nord Sream gehört dazu. Man weiß, dass der IS nach seiner Zerschlagung im Irak und Syrien, Rückzugsorte in einigen Ländern des postsowjetischen Raumes gefunden hat. Und die IS hat sich zum Terroranschlag selbst bekannt.

Russlandkontrovers: Sie haben kürzlich in einem Interview mit der Zeitschrift Superillu skizziert, wie der Krieg in der Ukraine enden könnte. Altbundeskanzler Schröder bietet sich derzeit als Vermittler in dem Konflikt an. Doch führt der Terroranschlag die Friedensbemühungen nicht ad absurdum?

Rahr: Ich maße mir kein wirkliches Urteil zu, aber letztendlich wird es zum Friedensabschluss kommen, je früher um so besser. Im Sommer könnte Russland noch mehr ukrainisches Territorium erobert haben, dann wäre eine Waffenruhe für die Ukraine und den Westen erheblich schwieriger. Ich finde es nicht richtig, dass die geäußerten Friedensvorschläge eines Papstes, eines Altbundeskanzlers oder einer anderen Persönlichkeit so vehement abgelehnt werden. Politische Wegbegleiter der wohl bekanntesten deutschen Pazifistin, Antje Vollmer, haben zu ihrem Todestag ein Buch mit dem Titel herausgebracht „Krieg verlernen“. Das Sachbuch wird leider von den Medien verschwiegen. Antje Vollmer hat diese Ignoranz nicht verdient.

Russlandkontrovers: Sehen Sie Chancen für ein Ende des Krieges noch in diesem Jahr?

Rahr: Ich denke nicht, dass Russland kapituliert, obwohl man sehen muss, dass die Ukraine mit ihren Drohnenangriffen auf russisches Territorium Russland immensen Schaden zufügt. Wir sehen aber auch, wie die ukrainische Armee ausblutet. Was den Terroranschlag angeht – Putin wird entscheiden, ob er eventuell Rache an den Ukrainern nehmen wird, falls sich die ukrainische Spur bewahrheitet, oder aber angesichts weiterer Indizien, den Terrorangriff der IS mit einer Wiederaufnahme der Kooperation mit westlichen Geheimdiensten erwidert. Nach 9/11 hatte er bekanntlich den USA eine gemeinsame Anti-Terrorallianz angeboten. Diese dürfte bald wieder aktuell werden.

Russlandkontrovers: Ein Vierteljahrhundert ist es her. Damals sprachen alle vom Ende des Ost-West-Konfliktes, weil ein Nord-Süd-Konflikt bevorstand. Heute sind wir wieder beim Ost-West-Konflikt angelangt, der das gesamte 20. Jahrhundert dominiert hat.

Rahr: Uns fehlt das breite historische Wissen, um die aktuelle Situation richtig zu verstehen. Unsere Erinnerungskultur, die einst in der Brandt’schen Ost-Politik wurzelte, wurde durch die Zeitenwende auf den Kopf gestellt. Zweifellos hat die Zeitenwende seine Ursache – den Krieg in der Ukraine – aber sie darf nicht Diplomatie durch Krieg ersetzen. Ich habe mir zur Aufgabe gestellt, als gelernter Historiker Podcasts zu geschichtsrelevanten Themen unter der Überschrift „Zeitzeuge“ zu produzieren. Ich will an wichtige Ereignisse der Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion erinnern, ohne die die aktuelle Weltlage nicht zu erklären ist. Die vielen Klicks unter dem Podcast erfreuen mich, denn sie verdeutlichen, dass in der Öffentlichkeit ein waches Interesse an historischem Hintergrundwissen besteht. Mein bislang erfolgreichster Podcast betraf den Kremlchef Andropow – als Reformer. Dort habe ich erzählt, wie der KGB in der Endphase der Sowjetunion Gorbatschows Perestroika angestoßen hat. Aber auch der letzte Podcast über den Tschetschenienkrieg und Terrorismus kann zur Aufklärung beitragen. Die Podcasts tragen aber keine politische Botschaft, ich bin nicht mehr Politikberater.

Russlandkontrovers: Was genau wollen Sie mit Ihren Erinnerungen erreichen? Eine Wiederbelebung der guten deutsch-russischen Beziehungen scheint angesichts der feindseligen Rhetorik auf beiden Seiten völlig illusorisch?

Rahr: Im Podcast über die Befreiung Chodorkowskis aus dem Arbeitslager vor zehn Jahren habe ich auf den Sinn und Zweck vergangener deutscher Geheimdiplomatie Richtung Russland hingewiesen. Den im Arbeitslager umgekommenen Nawalny hätte der Westen mit diplomatischem Geschick nach Deutschland rausbekommen können, Putin war zu einem Gefangenenaustausch nach Manier des Kalten Krieges bereit. In meinem nächsten Podcast werde ich ins nächste Jahr blicken, das gespickt sein wird mit wichtigen Jubiläen, wie der 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges und 50 Jahre Helsinki-Prozess. 2025 stehen wir vor der Notwendigkeit einer sicherheitspolitischen Neuordnung in Europa. Darüber müssen wir anfangen nachzudenken.

Russlandkontrovers: Wir danken für das Gespräch.

COMMENTS

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    Horst Beger 3 Wochen

    Wenn eine diplomatische Lösung der Frage, wann der Ukraine-Krieg zu Ende geht, von der Wahl des US-Präsidenten Donald Trump abhängt, kann man nur hoffen, dass dieser die Wahl gewinnt. Denn von dem scheinheiligen Jo Biden und dessen NATO-Vasallen und deren militaristischen Durchhalte-Parolen ist keine diplomatische Lösung zu erwarten; es sei denn um den Preis eines „Armageddon gegen den Antichristen des Westens“, wie Russland diesen Verteidigungskrieg bezeichnet. Von daher ist auch die Frage, ob die Ukraine künftig zum Westen oder zu Russland gehört irrelevant, denn „die Ukraine ist seit jeher in eine vom russischen Christentum geprägte Ostukraine und eine vom römischen Christentum beeinflusste Westukraine geteilt“, wie der amerikanische Geostratege Samuel Huntington das in seinem Buch „Kampf der Kulturen“ von 1996 aufgezeigt hat, ohne auf den substanziellen Unterschied einzugehen. Und da dieser Jahrhunderte alte Kulturkampf des römischen Christentums gegen das russische Christentum besteht wäre es auch richtiger von einem West-Ost-Konflikt zu sprechen.

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