Krieg und Frieden in Corona-ZeitenRahr Prof. Alexander © rahr

Krieg und Frieden in Corona-Zeiten

[Alexander Rahr] Es stimmt nicht, dass die Welt nach Corona eine andere – vielleicht friedlichere – wird. Auch nach der Terrorattacke von 9/11 und der Weltfinanzkrise hat man geglaubt, die Menschheit würde sich mental verändern, sich dringlicheren Problemen zuwenden und den Planeten kooperativer, sicherer und friedlicher machen. Nichts davon ist eingetreten und wird auch jetzt nicht passieren.

Das ist die Quintessenz der letzten deutsch-russischen Expertentagung im Rahmen der Potsdamer Begegnungen. Auch wenn ihre Inhalte von deutschen Leitmedien aus unergründlichen Motiven völlig übergangen wurden, spielen sie für den politischen und zivilgesellschaftlichen Austausch zwischen beiden Ländern immer mehr eine strategische Rolle. Dafür spricht die Tatsache, dass die Außenminister beider Länder als Schirmherren der Potsdamer Begegnungen in Erscheinung treten und sich die Regierungen hier konsultieren lassen.

Fangen wir mit den Amerikanern an. So, wie sie sich in der Corona-Krise nach innen und nach außen verhalten haben, sind sie ihre Führungsautorität in der Welt los. Die USA werden aber, aus Wut und Verzweiflung, und um von den inneren Problemen abzulenken, andere dazu zwingen, die amerikanische Weltordnung einzuhalten. Das aufsteigende China wird mit Handelskriegen in die Schranken gewiesen. Der andere Konkurrent, Russland, wird mit schmerzhaften Sanktionen belegt.

Die Krisen in der Welt werden eher zunehmen. USA/EU und China/Russland könnten sich in den Konfliktbrandfeldern Hongkong, Taiwan, Krim, Ostukraine, Syrien, Libyen, Venezuela, Weltraum an den Rand eines militärischen Konfliktes nähern.

Die EU hofft auf ein „besseres“ Amerika nach Trump. In Berlin hofft man auf einen Wahlsieg Bidens. Ohne die USA kann die Verteidigung der EU nicht gewährleistet werden. Ohne USA – keine EU. Doch den Europäern gefällt es nicht, dass sie von den USA in eine Vasallenrolle gedrängt werden. Statt in China, sollen die Europäer verstärkt amerikanische Waren kaufen: Rüstungsgüter, Flüssigkeitsgas, Technologien. Die USA werden die EU zwingen, sich stärker an Amerika zu orientieren um China fallenzulassen.

Was passiert mit Russland? Russland hat verhältnismäßig wenig Corona-Tote zu beklagen, aber die entstandenen Wirtschaftsschäden sind kolossal. In der von etlichen Zusammenbrüchen der letzten Jahrzehnte gebeutelten Gesellschaft wächst der Unmut gegenüber der Regierung. Durch die Corona-Krise hat Russland seinen Anspruch auf Energiesupermachtstatus eingebüßt. Die globale Weltwirtschaft wird – und das ist die Folge der Corona-Krise – weniger auf fossile Brennstoffe angewiesen sein. Russlands Rohstoffexporte werden sich von Europa nach Asien verlagern.

Russland wird seine Reservefonds dafür verwenden müssen, endlich die notwendige Modernisierung der eigenen Wirtschaft – weg von der reinen Rohstoffexportwirtschaft – durchzuführen. Das könnte Russlands letzte Chance sein. Für eine expansivere globale Außenpolitik werden Moskau die Mittel und Verbündete fehlen. Um dem steigenden Druck des Westens auszuweichen, wird Russland notgedrungen einen immer stärkeren Schulterschluss mit China suchen. Die Angst vor einer Kolonisierung Sibiriens durch die Chinesen wird diese Annäherung aber stets begleiten. Eine engere Kooperation zwischen der Europäischen Union und der Eurasischen Wirtschaftsunion, die von Teilnehmern der Potsdamer Begegnungen vehement gefordert wurde, ist in weite Ferne gerückt.

Aber es kann trotzdem alles ganz anders kommen, sollte Deutschland – das wirtschaftlich stärkste Land in EU-Europa – seine EU-Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 dafür nutzen, um eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland einzuleiten, Sanktionen zu überdenken. Die Potsdamer Begegnungen machten dahingehend konstruktive Vorschläge. Die Migrationsprobleme, die Europa bedrohen, muss Berlin nicht nur mit Ankara, sondern auch mit Moskau ernsthafter besprechen.

Auch könnte die EU, beispielsweise, ihr Konzept des Green Deals auf Russland ausweiten (siehe: Ralf Ostner/Frithjof Finkbeiner in RIAC und Global Review). Eine „grüne Allianz“ zwischen EU und Russland entspräche dem modernen Zeitgeist, wäre für alle Seiten vorteilhaft und könnte Pate stehen für einen gemeinsamen technologischen Wirtschaftsraum zwischen Atlantik und Pazifik.

Eine solche Perspektive ist weitaus besser, als die neue Blockteilung zwischen Transatlantischer Gemeinschaft und Eurasien.

Doch immer dann, wenn sich die Perspektive einer Verbesserung der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland neu entfaltet, kommen die Gespenster aus der Vergangenheit wieder zurück. Bundeskanzlerin Merkel hat die Geheimdienstenthüllungen zu den vermeintlichen russischen Hacker-Attacken auf den Bundestag vor fünf Jahren sofort zum Anlass genommen, um Russland an den Pranger zu stellen. Das Anzapfen ihres Mobiltelefons durch US-Geheimdienste hat sie dabei vergessen. Nach dieser Rede wird es wohl nichts mit einer neuen Ostpolitik der EU gegenüber Russland unter der deutschen Ratspräsidentschaft.

Kann es sein, dass jemand versucht, Druck auf Merkel auszuüben, damit sie sich nicht mehr für eine deutsch-russische Energiepartnerschaft starkmacht? Kann es ein, dass die USA mit allen Mitteln eine Realisierung des Konzepts eines gemeinsamen Raumes von Lissabon bis Wladiwostok verhindern wollen, um ihr Konzept eines transatlantischen Europas von Vancouver bis Donezk zu zementieren? Oder ist Russland selbst so unklug, durch permanente Konflikte wie den Fall Skripal, Tiergartenmord, Hackerangriffen, Menschenrechtsverletzungen in Syrien usw. die Chance auf eine Annäherung an den Westen über Deutschland zu verspielen?

Was spielt sich hinter den Kulissen tatsächlich ab? Wer kann diese Frage beantworten?

COMMENTS

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    Anja Böttcher 4 Jahren

    Die Gewahrwerdung von Kriegsgefahr in einer Zeit, in der das Kollabieren einer Weltordnung mit der vollständigen kulturellen Erosion der sie prägenden Anglosphäre einhergeht, die nicht nur ihre Hegemonie verliert, sondern deren Gesellschaftsmodell man auch in ihren Staaten selbst zerbröseln sieht, die zur Karrikatur ihrer selbst werden, ist berechtigt.

    Wenn eine so mächtige Ideologie vorherrschend und die daraus resultierende Lebensweise so ungeheuer lange dominierend war, nach 200 Jahren unangefochtener Hegemonie zur Farce wird, die jede Attraktivität verliert, kann es sein, dass ihre nun als geisterhafte Clowns erscheindenden Führungsgestalten den Gang der Geschichte mit einer zerstörerischen Wahnsinnstat aufhalten wollen.

    Fakt ist: Die Jeffersonformel ist ebenso wenig geeignet in einer ökologisch immer fragiler werdenden Welt 8-9 Milliarden Menschen zu ernähren wie die Rezepte Adam Smiths. Ein unendliches materielles Wachstum ist nicht möglich in einer endlichen Erde. Jede Hegemonialbestrebung scheitert daran, dass der der Hegemon werden will, nicht in der Lage sein wird, denen, die seine Hegemonie hinnehmen sollen, dafür eine saturierte gesicherte Existenz zu garantieren.

    Die Zeit der Hegemonialmächte ist vorbei. Auch China hat seine derzeitige Position in einer Weltordnung erlangt, die noch von den USA dominiert wurde und nach der Jeffersonformel funktionierte.

    Die Menschheit aber wird entweder die Fähigkeit entwickeln, nachhaltig zu leben – und das geht nur kooperativ, nicht konfrontativ, eben nicht nach dem sozialdarwinistischen „Survival of the fittest“, sondern nur in einer Atmosphäre des einander bestehen Lassens und solidarischen Helfens – oder keine einzige menschliche Zivilisation wird sich selbst erhalten.

    Man mag das für utopisch halten, aber die einzige Alternative dazu, die Utopie zu wagen, ist langsames kollektives Siechtum und kulturelle Regression der gesamten Menschheit.

    Das haben auch ungeheuer viele Menschen erkannt – nicht jedoch die Zirkel alter Männer, die sich noch für das Zentrum des Weltgeschehens halten.

    Die dumme und hirnrissige Russslandkonfrontation war der Versuch der Erhalt und Zementierung der Amerikanischen Weltordnung zu dem Moment, als sie ein Anachronismus wurde. Er kann nicht gelingen. Er beruht auf einem Pathos, wie die Versuche der Umdeutung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs in transatlantischen Zirkeln zeigen, die bei jungen Europäern keine emotionale Resonanz mehr auslöst. Die haben, von den rechten Rändern abgesehen, verinnerlicht, dass Nazis und Rassismus großer Mist sind, interessieren sich aber nicht mehr für den Glamour der damals „cool“ erscheinenden, heute aber nur noch peinlich rüberkommenden ewigen US-Siegerpose – während die Geschichten des zivilen Leides im Zweiten Weltkrieg, das Osteuropäer und Russen durchmachten, nicht anachronistisch werden kann.

    Herr Rahr bewegt sich zu viel in Funktionärszirkeln – während Funktionsträger aber dem Druck ihrer Zivilgesellschaften nach einem nachhaltigen und stabilen sozialen Lebensorganismus genügen müssen. Das leistet der sterile Transatlantismus nicht mehr. Er ist ein marodes Kasperletheater von Zombies geworden.

    Wenn ein Herr Kornblum heute mit seinem Gerede, junge Deutsche müssten den USA dankbar sein wegen ihrer Politik nach dem Zweiten Weltkrieg, vor deutschen Oberstufenschülern spricht, die zu 40% einen Migrationshintergrund haben und mit denen die anderen 60% aber aufgewachsen sind, dann ist das für die Schüler kulturell sofern, als stände da ein begeisterter Anhänger des Wilhelminismus.

    Die routinierten Ergebenheitsreflexen der derzeitigen Politikerkaste Europas sind also nur noch anachronistische Nachwehen eines wegbröckelnden Anachronismus. Die junge Generation aber muss dafür sorgen, dass sie noch Chancen hat, halbwegs menschlich leben zu können. Sie kann sich nicht mit anachronistischem Theater aufhalten lassen, das zu tun, was wichtig ist: für eine ökologische, solidarische und nachhaltige Wende alles Politischen zu kämpfen, durch die die schlimmsten Katastrophen noch aufgehalten werden.

    Die USA haben Frackinggas, das keiner will – aber die jungen Leute sehen, dass es immer weniger regnet, immer mehr Extremwetterlagen aufkommen – und wollen das Frackinggas nicht. Um den Zwang nach allen Seiten aufrechterhalten zu können, sind aber die inneren Widersprüche der US-Gesellschaft zu groß, als dass den USA dafür noch lange Kraft bliebe.

    Wir liegen mit Russland auf einem Kontinent und in unmittelbarer Nachbarschaft des Nahen Ostens, dem viele junge Europäer entstammen. Die USA bilden einen Kontinent mit ihren lateinamerikanischen Nachbarn, denen viele junge US-Amerikaner entstammen. Das ist, was zählt – und nicht die anachronistischen Stammelversuche alter weißer Männer, heißen die nun Trump oder Biden.

    Das ist schlicht die Generation, die abtritt. Sie wird die Zukunft nicht mehr prägen – es sei denn, die zündet zum Fanal noch die ganze Welt an.

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    Horst Beger 4 Jahren

    Die Frage, „was sich hinter den Kulissen tatsächlich abspielt“, und wer außer den genannten USA „versucht, Druck auf Frau Merkel auszuüben“, ist leicht zu beantworten. Das sind die Vertreter des jahrhunderte alten Kulturkampfes des westlichen,(römischen) Christentums gegen das östliche (russische) Christentumm, wie der amerikanische Politologe Samuel Huntington das in seinem Buch „Kampf der Kulturen“ 1996 aufgezeigt hat, wie die Mitveranstalterin der Potsdamer Begegnungen, die katholisch geprägte Konrad-Adenauer-Stiftung und der „Messdiener“ Heiko Maas. Diese werden das zwar empört zurückweisen, denn „das Verschleiern der Wahrheit ist katholisches Prinzip“, wie der Journalist Edo Reents von der Süddeutschen Zeitung das in anderem Zusammenhang ausgedrückt hat.

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