Präsidentenwahl 2018 – NachleseRahr, Prof. Alexander © russlandkontrovers

Präsidentenwahl 2018 – Nachlese

Im Westen löste die Wiederwahl Wladimir Putins Irritation, Unverständnis und Missgunst aus. Mit so viel Unterstützung für den Amtsinhaber hatte der Westen nicht gerechnet.

Es hatte doch landesweite Proteste gegen Putin gehagelt, auch hätten westliche Sanktionen die russische Wirtschaft geschwächt und viele Menschen in eine Verarmung gestoßen. Man las überall, dass die Bevölkerung sich mit Abscheu von der Korruption an der Staatsspitze abwendete. Und jetzt dies! 77% Zuspruch für Putin, den scheinbar große Teile der Bevölkerung nicht mehr ertragen konnten.

Die erste Reaktion: Wahlfälschung! Ein Wahlergebnis von über 70 Prozent gilt hierzulande als weniger legitim, als ein knapper Wahlsieg von 51%. So ist die westliche Demokratie heute. Wahlen im Westen sind meistens Ausdruck eines Wettbewerbs von politischen Ideen zwischen den antretenden Parteien. Der westliche Bürger ist von seiner Mentalität her so angelegt, dass er schon bei ersten Anzeichen eines inneren Protestes gegen die Politik der Regierung, sofort bereit ist, diese abzustrafen, abzuwählen und durch eine alternative zu ersetzen.

Zweifellos hat es Manipulationen gegeben. Staatsbedienstete wurden in einigen Regionen, Beobachtern zufolge, gezwungen, im Kollektiv zu wählen. Videoaufzeichnungen dokumentierten, wie einzelne Personen gleich mehrere Wahlzettel in die Urne warfen. An manchen Orten schimpften Wahlbeobachter über fehlende Transparenz. Aber auf das eindeutige Ergebnis hatten die Falsifikationen kaum Einfluss.

Russland hat eine andere Demokratie. Institutionen zählen im Bewusstsein der Bürger weniger als Personen. Der jeweilige Politiker an der Staatsspitze genießt einen fast sakralen Schutzherrenstatus, besitzt weitaus höhere Autorität als Regierung, Ministerien, Parteien und Parlament. Im Westen kann man darüber lachen, sich entrüsten, die Russen für unreif erklären – aber es nützt alles nichts. Russland ist das, was es ist.

Liberale russische Politiker in Russland fordern immer wieder: Gebt uns nur eine halbe Stunde beste Fernsehzeit pro Tag, und wir werden das politische Bewusstsein der Bevölkerung umkrempeln. Nun: Die acht Präsidentschaftskandidaten erhielten genügend Chancen, ihre Ideen einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Sie taten dies professionell und erfolgreich. Trotzdem bekamen sie von der Bevölkerung kaum Unterstützung. Warum?

Ein Erklärungsversuch ist, dass es den meisten Menschen in Russland doch besser geht, als den vorangegangenen Generationen. Im Land herrscht keine Arbeitslosigkeit, die soziale Unterstützung von Familien mit Mindereinkommen funktioniert, anders als in den 90er Jahren. Man fürchtet, die Stabilität zu verlieren.

An die westlichen Anschuldigungen, der Kreml hätte etwas mit der Vergiftung des Ex-Agenten in Großbritannien zu tun, glauben die wenigsten. Der Westen beschuldigt die russische Regierung, das westliche Feindbild als Schutzmechanismus gegen äußere liberale Einflüsse errichtet zu haben. In Wirklichkeit ist es umgekehrt. Die ständigen Nörgeleien des Westens führen automatisch dazu, dass sich die Bevölkerung aus patriotischer Gesinnung um ihre Machthaber schart. Prägnant war das Wahlverhalten der Auslandsrussen, außerhalb der russischen Staatsgrenzen. Von ihnen erhielt Putin 83% Unterstützung! Dabei hätte man annehmen müssen, dass Russen, die im Westen leben, alle Putin-kritisch sind. Mitnichten!

Manch einer im Westen könnte jetzt resigniert abwinken. Wenn die Russen so sind, wie die sind, werden sie halt mitbestraft. Aber es wäre ein Wahnsinn, wenn der Westens in seiner Ablehnung und Sanktionierung Putins, die Auseinandersetzung auf die gesamte russische Bevölkerung ausbreiten würde. Man käme aus der Eskalationsspirale nicht mehr heraus.

Der Westen sollte seine Russland-Politik korrigieren. Es hat keinen Zweck mehr, Außenpolitik nur nach dem Grundsatz von liberalen Werten zu gestalten. Die Welt hat sich radikal verändert, außer den Westeuropäern folgt niemand mehr einer „werteorientierten Außenpolitik“. Die Erziehungsmöglichkeiten anderer zur Demokratie und Menschenrechten sind dem Westen allmählich abhandengekommen. Das mag man bedauern. Aber die Realpolitik in der kompliziert gewordenen Weltordnung zwingt die EU, ihren Ansatz zu überdenken. Die Weltpolitik wird wieder zunehmend von Interessen bestimmt, wir sehen das am Deutlichsten in Amerika.

Für die deutsche Russland-Politik bedeutet das: alle Kräfte bündeln, um eine Implementierung der Minsk-Abkommen in der Ost-Ukraine zu gewährleisten, wobei nicht ausschließlich Russland, wie es heute geschieht, sondern auch die Ukraine in die Pflicht genommen wird.

Gleichzeitig: Auftrag an die deutschen Think Tanks, ein Konzept für einen gemeinsamen europäischen Raum von Lissabon bis Wladiwostok zu entwickeln. Über eine Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen und einen offenen Dialog über brennende Sicherheitsfragen soll ein Neuanfang gestartet werden, wie die Völker Europas auf ihrem gemeinsamen Kontinent in Frieden und Prosperität leben können. Das gegenwärtige Lehrmeister-Schüler-Verhältnis muss einem gegenseitigen Respekt auch gegensätzlicher Interessen weichen.

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