Der Komiker Volodymyr Selenski und der Amtsinhaber Petro Poroschenko kämpfen nun in der Stichwahl um die ukrainische Präsidentschaft. Wer letztlich das Rennen machen wird, ist heute schwer vorherzusagen. Die Wähler erwarten wirtschaftliche und soziale Verbesserungen im Land. Von Poroschenkos Amtszeit sind sie enttäuscht, denn er hat das alte korrupte Oligarchenregime in der Ukraine nicht beseitigt, in gewisser Hinsicht sogar gefestigt. Deshalb hat Selenski als unbescholtener Jungpolitiker eine gute Chance zu siegen, vorausgesetzt, er wird keine strategischen Fehler begehen.
Russland, die EU und Amerika kann der Wahlausgang in der Ukraine nicht unbeteiligt lassen. Zu viel steht auf dem Spiel. Im Westen sieht man Poroschenko als einen politischen Stabilitätspfeiler und einen Garant für die Fortsetzung des ukrainischen Weges nach Westen, weg von Russland. Russlands Interessen liegen, umgekehrt, in der Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem russischen Markt und der Ostukraine. Von Poroschenko, der Russland mit Hilfe des Westens in die Knie zwingen will, hält man wenig im Kreml; dort glaubt man, sich mit Selenski – vielmehr den ostukrainischen Oligarchen, die ihn stützen – eher einigen zu können.
Was wird die Taktik des Amtsinhabers sein? Poroschenko weiß die nationalistisch-gesinnten Ukrainer fest hinter sich. Diese wollen, dass er sich gegenüber Russland, auch militärisch, durchsetzt. Poroschenko wird lauthals neue Sanktionen gegen Russland fordern. Poroschenko kontrolliert die Sicherheitsapparate, die Staatsbürokratie, den Beamtenstaat auf regionaler Ebene, sowie mehrheitlich die Medien. Er besitzt die sogenannte administrative Ressource, die in den postsowjetischen Staaten der Schlüssel für jeden Wahlsieg bedeutet. Zudem kann er sich auf massive Unterstützung von Seiten des Westens verlassen. Er wird hinter den Kulissen alles daran setzten, damit diese strategischen Ressourcen nicht zu verlieren und er wird den Oligarchen drohen, nicht zu seinem Kontrahenten überzulaufen.
Selenski hat aber noch lange nicht verloren. Hinter ihm steht mehrheitlich die Ostukraine, die keine Fortsetzung des Krieges mit Russland wünscht. Hinter ihm stehen große Teile der ukrainischen Zivil- und Bürgergesellschaft, die in ihm den Korruptionsbekämpfer sehen. Poroschenko hat in der Ukraine eine große Gegnerschaft, die ihn loswerden möchte. Hinter Selenski werden sich auch die zahlreichen Truppen der unterlegenen Gasprinzessin Julia Timoschenko versammeln. Wenn Selenski sich zu einer strategischen Allianz mit Timoschenko bekennt, wird diese im westlichen Ausland, wo Selenskis Unbekanntheit ein Problem darstellt – wo Timoschenko aber viele Freunde und Unterstützer besitzt – für ihn die Werbetrommel rühren.
Natürlich wird Selenski sich davor hüten, in die politischen Fallen zu treten, die Poroschenkos Leute für ihn überall ausgelegt haben. Er wird der bisherigen Taktik folgen, auf politische Botschaften zu verzichten und sehr allgemein zu bleiben. Er wird seine Rolle als Komiker in der beliebten Fernsehshow weiter spielen und den Satiriker abgeben, der die ukrainische Politik mit Ironie überschüttet. Bei Themen wie Friedensregelung in der Ostukraine oder Krim wird er äußerst vage bleiben, aber auch amerikanischem Druck, endlich mehr Härte gegenüber Moskau zu zeigen, widerstehen. Dieses Image stärkt ihn und kann ihn ganz nach oben katapultieren.
Selenski wird die Aufmerksamkeit der Wähler auf die Wirtschaftsprobleme des Landes lenken müssen, die Poroschenko zu verantworten hat. Er wird die passenden Worte für potentielle Investoren finden müssen und konkrete Vorschläge unterbreiten, was er im Kampf gegen die ausufernde Korruption besser machen möchte. Er muss konkrete Versprechen an die Zivilgesellschaft geben, dass er es mit der Demokratisierung ernster meine, als der Amtsinhaber. Vor allem muss er sich vom Image lösen, er sei eine Marionette des Oligarchen Ihor Kolomoiski, einem der schärfsten Widersacher Poroschenkos.
Das SPD-Urgestein Erhard Eppler kommentierte den ersten Wahlausgang folgendermaßen: „Nach den Wahlen vom 31.3.2019 liegt nun ein Mann vorn, der bisher davon gelebt hat, die Regierenden lächerlich zu machen. Wenn nicht einmal jeder fünfte Wähler wünscht, dass der amtierende Präsident weiterregiert, käme in einer gewachsenen Demokratie der Abgestrafte gar nicht auf den Gedanken, trotzdem Präsident bleiben zu wollen…Die Wähler müssen raten, ob der offenbar gewitzte Kritiker besser regieren wird als sein Opfer.“ Und weiter Erinnert Eppler an die Zerrissenheit der Ukraine, die auch Europas Problem sein: „Es gab zwei Ukrainen – eine westliche mit habsburgischen und polnischen Wurzeln und eine östliche, die anknüpfte an fast tausend Jahre gemeinsamer Geschichte mit Russland. Bei der Präsidentenwahl hatte einmal der Osten, einmal der Westen die Nase vorn, der jeweils unterlegene Teil war traurig, blieb aber unbehelligt. Die vom Maidan erzwungene Regierung Jazenjuk machte den Russenhass zur Staatsdoktrin.“
Kolomoiski wirft Poroschenko inzwischen öffentlich vor, militärische Konflikte mit Russland absichtlich zu provozieren, um sich mit Hilfe der rechtsnationalen Kräfte die Macht zu sichern. Poroschenko, das kann vermutet werden, wird jedoch zu einer noch militanteren Rhetorik gegenüber Moskau greifen, um sich nach außen hin martialisch als „Oberbefehlshaber“ der ukrainischen Armee – und Sicherheitskräfte zu präsentieren.
Die drei verbleibenden Wochen bis zur Stichwahl am westlichen Osterfest dürften in eine Schlammschlacht ausarten, die beiden Kandidaten werden schonungslos miteinander umgehen. Am Ende wird derjenige siegen, der weniger Fehler gemacht, die Nerven behalten und den Wählern die bessere Perspektive versprochen hat.
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