[Alexander Rahr] Vladimir Putin verändert das politische System Russlands. Er strebt eine Verfassungsänderung an. Um den Umbruch abzufedern, die Herrschaftseliten nicht zu verunsichern, sowie Machtkämpfe zu neutralisieren, will er die Veränderungen in Ruhe durchführen und sich Zeit lassen. Hätte er mit dem Umbruch bis 2024 gewartet – dem Jahr seiner Abdankung als Präsident – wäre der Systemwechsel hektisch abgelaufen und hätte das Land destabilisieren können.
Gleichzeitig sichert sich Putin mit dem Systemumbau seinen politischen Einfluss auch nach der Präsidentschaft. Zwei Institutionen, die bislang in der russischen Politik eine minderwertige Rolle gespielt haben – der Nationale Sicherheitsrat und der Staatsrat – werden konstitutionell aufgewertet. Möglicherweise werden sie zu einem einzelnen starken Exekutivorgan vereint. Putin kann nach Ende seiner Präsidentschaft Vorsitzender dieser „Parallelregierung“ werden und dann weiterhin – neben dem künftigen Präsidenten – die außen- und sicherheitspolitischen Angelegenheiten des Landes bestimmen. Einen ähnlichen Weg haben zuvor chinesische Staats-und Parteichefs seit Deng Xiaoping gewählt, indem sie sich auf den Posten des Chefs der „Militärkommission“ zurückzogen und von dort aus die Politik prägten. Auch der kasachische Präsident Nursultan Nazarbajew wählte jüngst diese Variante.
Premierminister Dmitri Medwedew musste mit der Regierung zurücktreten. Seine künftige Aufgabe wird sein, den Apparat des Nationalen Sicherheitsrates entsprechend aufzubauen, damit Putin nach 2024 alle wichtigen Schalthebel in der Hand behält. Seine Präsidentschaftsambitionen sind mit einem Schlage zunichte gemacht worden. Neben Medwedew könnte unter Umständen noch ein anders Schwergewicht aus der Politik verschwinden: Außenminister Sergei Lawrow, der auf die 70 zugeht.
Wie die künftige Regierung Russlands aussehen wird, ist momentan unvorhersehbar. Der künftige Premier Michail Mischustin, früher oberster Steuereintreiber, wird ein ‚technischer‘ – kein politischer Regierungschef sein. Medwedew ist an dieser Aufgabe gescheitert. Putin als Präsident will künftig nicht die alleinige Verantwortung für die Regierung tragen. Das nächste Kabinett soll in Absprache mit dem Parlament aufgestellt werden, in dem die Putin-Partei Einheitliches Russland die Mehrheit besitzt. Im nächsten Jahr finden in Russland Duma-Wahlen statt, die die Zusammensetzung der Duma noch verändern und den Einfluss der Regierungspartei schwinden lassen könnten.
Es ist davon auszugehen, dass der gegenwärtige liberal-technokratische Flügel der Regierungsmannschaft geschwächt wird. Ein Linksdrall in Zeiten vermehrter Budgetausgaben ist zu erwarten. Aufgabe der Regierung wird es sein, Armut in Russland zu bekämpfen. Putin hat in seiner Ansprache an das Parlament eine exorbitante Erhöhung der Sozialausgaben angekündigt; er will nicht mit niedrigen Popularitätswerten den Kreml verlassen. Gleichzeitig will er, dass das Parlament und die Partei Einheitliches Russland selbst Verantwortung für die schlechte Konjunktur im Land übernehmen. Er selbst will sich großen außen- und sicherheitspolitischen Aufgaben zuwenden.
Die Systemänderungen lassen darauf schließen, dass Putin nach seinem Weggang nicht die gesamte jetzige Machtfülle einem einzelnen Politiker überlassen möchte. Sein Nachfolger auf dem Posten des Staatschefs wäre viel stärker in ein System von check & balances eingebunden. Wer ihn beerben könnte ist nach der heutigen Entwicklung völlig unklar.
Wer genau hingeschaut hat, sieht, dass aber auch die sogenannten Gewaltministerien künftig einer stärkeren Parlamentskontrolle unterzogen werden sollen. Die Korruption und Vetternwirtschaft in den Regionen, die sich höchst negativ auf das föderale Rechtssystem auswirken, sollen ebenfalls einer stärkeren parlamentarischen Kontrolle unterzogen werden. Auch möchte Putin das Verfassungsgericht, das ein stiefmütterliches Dasein fristet, stärken, um die allgemeine Gerichtsbarkeit zu ertüchtigen. Dies wird kein leichtes Unterfangen.
Das Wichtigste hat Putin erreicht. Durch den angekündigten Umbau des politischen Systems und den veränderten Regierungskurs Richtung mehr Sozialreformen, hat er – wie so oft in den letzten 20 Jahren seiner Herrschaft – seine Machtfülle ausgebaut. Er steht über den Veränderungen, er ist der große Regisseur der Dramaturgie über allen politischen und institutionellen Akteuren. Genau so will Putin in die Geschichte eingehen. Die eigentliche Macht wird er aber nur langfristig abgeben. Vermutlich bleibt er für die gesamten 20er Jahre der Hauptakteur im Staat.
Es wird sich bald zeigen, ob es bei diesem Umbau Putins nur darum geht, sich nach 2024 an der Macht zu halten, oder ob dies ein historischer Rundumschlag ist – gegen die widerborstigen Oligarchen, die ausufernde Korruption, den massiven Amtsmissbrauch der Elite. Fördert er den Elitewechsel? Putin ist noch keine ‚lahme Ente‘, er ist auf dem Zenit seiner Macht. Doch bei diesem Unterfangen hat er keine Zeit zu verlieren.
COMMENTS