Putins neues RätselFedosov, Dr. Petr

Putins neues Rätsel

[Petr Fedosov] Wladimir Putins Unternehmen „Korrektur der Verfassung“ wird nach den besten Mustern von Geheimoperationen durchgeführt: überraschend, blitzschnell und undurchschaubar in Bezug auf seine wirklichen Ziele…

Am 15. Januar, als  Russland nach 2 Wochen der Neujahr-und Weihnachtslethargie langsam erwachte, rief Putin die politische Elite zusammen, um die jährliche Botschaft des Präsidenten an die Föderale Versammlung zu verlesen: eine bis jetzt mehr oder weniger formelle Angelegenheit, bei der der Staatschef normalerweise mittelfristige wirtschaftliche und soziale Pläne präsentierte. Da diese Pläne in den letzten 10 Jahren selten erfüllt wurden, schaute man der Veranstaltung mit lauem Interesse entgegen und wunderte sich nur darüber, dass sie heuer bereits im Januar und nicht wie üblich im Februar oder März stattfand.

Pläne, wie z.B. die Sozialleistungen für kinderreiche und arme Familien zu erhöhen, waren in der Botschaft erwartungsgemäß präsent, aber die Sensation kam erst danach:  Putin, der bisher nur sehr karg einzelne Änderungen in der Verfassung akzeptiert hatte, unterbreitete im letzten Teil seiner Rede ganze 22 Punkte von Änderungsvorschlägen zum Verfassungstext. Am selben Tag entließ er die unpopuläre Medvedev-Regierung[1] und ernannte einen neuen Regierungsvorsitzenden. Am 20.01 legte Putin seine Änderungsvorschläge, gebündelt in einem einzigen Gesetzentwurf mit dem nichts sagenden Namen „Über die Vervollkommnung der Regulierung einzelner Fragen der Organisation der öffentlichen Macht“ der Staatsduma vor. Drei Tage später nahm diese den Gesetzentwurf, ohne eine nennenswerte Diskussion, in der ersten Lesung einstimmig an.

Alles passierte so schnell und die Kommentare der Urheber der Verfassungsänderung sind so spärlich, dass es bis jetzt kaum möglich ist, die wahren Ziele und umso weniger die Folgen dieses Unternehmens zu erkennen, zumal der Prozess noch nicht abgeschlossen ist: noch zwei Lesungen in der Duma stehen bevor, dann die Abstimmung im Föderationsrat, in den Regionalparlamenten und eine Bürgerabstimmung . (Der letztere Punkt – Bürgerabstimmung – ist ein Novum, das in der Verfassung nicht vorgesehen ist, und wahrscheinlich eine Hybride von Referendum und Umfrage darstellen wird).

Wenn man den oben erwähnten Gesetzentwurf analysiert, kann man den Eindruck nicht loswerden, dass die meisten Punkte auf die weitere Stärkung der Positionen des Präsidenten hinauslaufen:

Die Verankerung der Priorität der Verfassung der RF vor den völkerrechtlichen Verpflichtungen Russlands (Punkt 5 des Gesetzentwurfs) – was übrigens der gültigen Verfassung der RF, wenn nicht dem Buchstaben, dann doch dem Geiste nach, widerspricht – sichert der russischen Führung und d.h. vor allem dem Präsidenten mehr Handlungsfreiheit in den internationalen Angelegenheiten.

Punkt 7 des Gesetzentwurfs verbrieft das Recht des Präsidenten, darüber zu bestimmen, welche Ministerien und Ämter er unmittelbar leitet (das sind heute Verteidigungsministerium, Außenministerium, Innenministerium, Staatssicherheit u.a.), die nur ihm unterstehen.

Punkt 7-k. verankert verfassungsmäßig den Staatsrat – eine beratende Institution, die seit bald 20 Jahren besteht, sich aus den Gouverneuren der Subjekte der RF zusammensetzt, aber bis jetzt in der Verfassung nicht erwähnt wurde – in der Verfassung. Nun soll es in die Verfassung eingetragen werden, dass der Staatsrat „zwecks der Gewährleistung eines abgestimmten Funktionierung der Staatsorgane und der Festlegungen der Hauptrichtungen der Innen-und Außenpolitik“ des Präsidenten Hilfsorgan ist. Die Vermutungen einiger Beobachter, dass der Staatsrat zu einer politisch maßgebenden Institution ausgebaut werden kann, mit der Wladimir Putin seine politische Zukunft verbindet, scheinen in diesem Zusammenhang haltlos zu sein.

Punkt 8 sieht vor, dass im Föderationsrat, der bis jetzt ausschließlich aus den Vertretern von Regionen besteht, der Präsident eine eigene Vertretung bekommen soll – eine Gruppe der von ihm ernannten „Senatoren“.

Punkt 10-g übergibt dem Präsidenten das Recht, die Absetzung der Verfassungsrichter zu veranlassen, was heute dem Verfassungsgericht selbst zusteht, und erweitert damit die Möglichkeiten der Einflussnahme des Präsidenten auf die Verfassungsrichter.

Punkt 12 räumt dem Präsidenten das Recht ein, auch nach der Überwindung seines Vetos durch eine 2/3-Mehrheit der beiden Kammern des Parlaments, das Gesetz nicht zu unterzeichnen, sondern zunächst auf Übereinstimmung mit der Verfassung durch das Verfassungsgericht prüfen zu lassen. Das Selbe gilt für Verfassungsgesetze, die bis jetzt nach deren Billigung durch die beiden Kammern des Parlaments vom Präsidenten nicht aufgehalten werden konnten.

Punkt 20 übergibt dem Präsidenten das Recht der Ernennung von Staatsanwälten der Subjekte der Föderation, die bis jetzt durch den Generalstaatsanwalt ernannt werden.

Die Bestimmungen von Punkt 10, denen zufolge die Staatsduma bei der Regierungsbildung das Recht bekommen soll, die Kandidatur des Regierungsvorsitzenden zu bestätigen, wobei  diese Bestätigung den Präsidenten dazu verpflichten soll, die betreffende Kandidatur zu ernennen, mindert nicht den maßgebenden  Einfluss des Präsidenten auf die Regierungsbildung, weil die zu bestätigenden Kandidaten von ihm vorgeschlagen werden sollen. Hinzu kommt, dass der Präsident das Recht behält, die ganze Regierung und jedes Regierungsmitglied jederzeit zu entlassen.

Der einzige Punkt des Gesetzentwurfes, der den Spielraum des Präsidenten etwas einschränkt, bezieht sich auf Art. 81 Teil 3: „Ein und die selbe Person darf den Posten des Präsidenten der RF nicht mehr als zwei Mal nacheinander bekleiden“. Ohne dieses „nacheinander“ wäre die Rochade Putin-Medwedew-Putin von 2008 und 2012 unmöglich gewesen. Jetzt soll das „nacheinander“ gestrichen und die Zahl von erlaubten Legislaturen definitiv auf 2 begrenzt werden. Das letzte Wort ist aber auch diesbezüglich nicht gesagt: man hört schon jetzt Vorschläge, „diesen Punkt ganz und ersatzlos zu streichen und das Volk alle sechs Jahre entscheiden zu lassen, wie viele Male die jeweilige Person Präsident bleibt“. Für eine lebenslange Präsidentschaft wäre das optimal.

Obwohl das weitere Szenarium bis jetzt nicht durchschaubar ist, scheint die bisherige Entwicklung dem Urheber des Unternehmens „Korrektur der Verfassung“ noch mehr Handlungsfreiheit bei der Gestaltung seiner politischen Zukunft zu geben.

Am 11 Februar findet in der Staatsduma die zweite Lesung statt.

[1] Medvedev erklärte zwar, dass die Regierung auf eigene Initiative zurücktrete, aber der Text des Entlassungserlasses lässt kein Zweifel übrig: es ging nicht um den Rücktritt sondern um die Entlassung durch den Präsidenten (Verfassung der RF, Art. 117, T. 2).

COMMENTS

WORDPRESS: 0
DISQUS: 0