Rebuilding Europe – den Kontinent neu bauen

Rebuilding Europe – den Kontinent neu bauen

[von Michael Schütz] Ein Streifzug durch die militärische Wirkungsgeschichte der Himmelsagentin und was wir daraus lernen können

In seinem letzten Beitrag hier auf dieser Seite über die Europastraße 30 hat der Autor ein wenig aus dem Nähkästchen der osteuropäischen Geschichte geplaudert.
Es ging da nicht zuletzt um die Idee des Europäischen Aufstandes gegen Russland und seine praktischen Folgen, wie sie uns in den Feldzügen Napoleons, Hitlers und anderer entgegengekommen sind.
Leider hat sich nach dem Beitritt der ehemaligen Warschauer-Pakt Staaten zur Europäischen Union schon bald abgezeichnet, dass auch die EU wieder diese Idee des Europäischen Aufstandes gegen Russland aufgreifen wird und – nach jetzigem Stand der Dinge – ebenso grandios daran scheitert.

Den Ursprung dieser Idee kann man bereits im Mittelalter verorten, als der Deutsche Ritterorden die Kreuzzugmentalität auf Osteuropa übertragen hat und im Baltikum gegen Ungläubige und Falschgläubige (= Russen) in die Schlacht gezogen ist. Da hat es geradezu als heilige Pflicht gegolten, sich als Ritter dorthin zu begeben und den Orden dabei zu unterstützen, die westeuropäisch-katholischen Werte „offensiv zu verteidigen“.

Einer dieser Ritter, die vor allem aus dem Reich aber auch weit darüber hinaus als Verteidiger der westlichen Wertegemeinschaft ins Baltikum zogen, war der Westfale Stenzel von Bentheim (auch Stenckel, oder Stentzel von Bentheim).
Dass er es trotz seines kurzen Auftrittes im Prussenland in die Aufzeichnungen der Chronisten geschafft hat, hängt mit seiner schier aberwitzigen Leistung zusammen.
Gleich bei seiner ersten richtigen Schlacht steht ihm und seinen Kollegen ein Heer der gefürchteten Natanger gegenüber. Die Kreuzfahrer scheinen den Natangern unterlegen zu sein, doch das ficht Stenzel nicht an.
Er reitet mit eingelegter Lanze im vollen Galopp auf die Feinde zu, durchbricht die Abwehrreihen und mäht links und rechts alles nieder, was sich ihm in den Weg stellt. Auf diese Weise durchquert er die gesamte Heerschar der Natanger, wendet in deren Rücken sein Pferd und möchte auf die gleiche Art wieder zurückreiten.
Doch der Überraschungseffekt ist diesmal dahin.
Die Natanger erholen sich zu schnell von ihrem Schock, stürzen ihn vom Pferd und erschlagen ihn.

Wenn man sich jetzt fragt, wieso Stenzel einen derart unbeugsamen Mut aufbrachte, der durchaus das Kreuzfahrerheer hätte mitreißen können, dann liegt die Antwort wohl darin, dass er vor der Schlacht in der Predigt des Bischofs gehört hatte, dass die Seelen der im heidnischen Prussenland gefallenen Christen ohne Umweg über das Fegefeuer direkt in den Himmel emporfliegen…
Die Natanger haben die Schlacht gewonnen.

Wir sehen: nichts Neues unter der Sonne. Alles schon gehabt. Die Kreativität in unseren internationalen Beziehungen hält sich nach wie vor in Grenzen.

Kai Ehlers hat in seinem letzten Beitrag hier auf dieser Seite die Frage gestellt, welche Alternativen es zur Weltlage gibt bzw. wie wir da wieder rauskommen?

Der Autor möchte hier aus seinem eigenen Blickwinkel in Bezug auf Zentral-und Osteuropa auf diese Frage eingehen und anschließend anhand der tatsächlichen Geschichte zeigen, dass der Hebel, den wir umlegen müssen, gar nicht so groß ist, wie wir vielleicht denken oder uns gerne weisgemacht wird.
Es ist im Grund genommen einfach eine Entscheidung, die wir jetzt treffen können.

Kommen wir daher noch einmal zu der Geschichte und den Geschichten zurück, um die es in dem Artikel über die Europastraße 30 gegangen ist. In der einen oder anderen Episode dort gab es nämlich noch einen Hintergrund-Akteur, genauer gesagt, eine Akteurin, die wir nicht erwähnt haben, die uns aber das Bild besser aufschließen kann.
Es handelt sich – in der Tat – um die Muttergottes!
Dazu unten gleich mehr.

Für den Autor liegt das Grundproblem des jetzigen militärischen Konfliktes in Zentraleuropa im fehlenden Bewusstsein der (west)europäischen Gesellschaft für diesen Teil Europas. Da ist Tabula Rasa, ein weißer, blinder Fleck, der sich ausgerechnet auf die Gegenden bezieht, die Ost- und Westeuropa zusammenhalten sollten.

Diese Lücke im Bewusstsein ergibt sich einerseits aus der gewesenen Existenz des Eisernen- und der aktuellen Existenz des mentalen Vorhangs, andererseits in dem kolonialistischen und abschätzigen Blick, den wir im westlichen Teil Europas auf diesen Teil des Kontinents haben und nicht zuletzt aus der Verdrängung der blutigen Geschichte dieser Landstriche, an der wir nur allzu oft beteiligt waren.
Daher muss man wahrscheinlich so argumentieren:
Was so verdrängt und aus dem Bewusstsein abgespalten ist, wie dieser Teil Europas, meldet sich dann umso heftiger zurück, um uns zu zwingen, endlich darauf zu schauen!
Dass auch die dabei im Westen verwendeten Feindbilder nichts anderes sind als eine Projektion solcher abgespaltenen Abgründe, braucht man schon fast nicht mehr dazu zu sagen. Die langen Schatten der Geschichte holen uns jetzt eben ein.

Im Jahre 2015 hat der Autor folgende Zeilen niedergeschrieben:

„Dieser Osten, eigentlich Zentral- und Osteuropa, ist wegen seiner gemeinsamen Geschichte ein in sich zutiefst gespaltenes Gebiet. Eine Region Europas, die stark vom Verlust geprägt ist, vom Blut, mit dem die Erde getränkt ist und von einer oftmals nicht eingestandenen Trauer darüber. Diese verdrängte Trauer und das Gefühl Opfer zu sein, bestimmen letztendlich heutzutage in einem nicht geringem Maße die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit.
Dabei wäre das Eingestehen dieser Trauer und die Fähigkeit gemeinsam über diese Verluste zu trauern, das, was diese Länder insgesamt tatsächlich voranbringen könnte.

Spätestens seit dem Fall des Eisernen Vorhangs sind die angesprochenen Länder auf der Suche nach neuen Identitäten. Vielfach geht diese Identitätsfindung allerdings in eine falsche Richtung. Die Folgen sind mitunter dramatisch und könnten sich noch dramatischer entwickeln.
Die Zukunft des Kontinents Europa, bzw. die Frage, ob der Kontinent Europa eine Zukunft hat, wird unmittelbar mit den Ergebnissen dieser Identitätsfindung zusammenhängen.“

Soweit das Statement aus 2015.

Nun aber zu der oben angesprochenen mysteriösen Hintergrundagentin namens Muttergottes.
Keine Angst werte Leserschaft!
Der Autor hat nicht vor, Sie zu bekehren oder Sie dazu zu animieren, zu einer „Gottesanbeterin“ zu mutieren….
Es geht hier darum, das angesprochene Bewusstsein aufzuforsten, erkennen zu können, wo der menschliche Geist versagt hat, die Chancen wahrzunehmen, die in diesen Geschichten stecken und, wie oben bereits angesprochen, zu verstehen, dass der Hebel, den wir umlegen müssen, gar nicht so groß ist.

Die Verehrung der Muttergottes ist beidseits der kulturellen und mentalen Frontlinie in Zentral- und Osteuropa so wichtig, dass man eigentlich annehmen würde, dass in dieser Gemeinsamkeit ein bedeutendes Element liegt, das die Völker beidseits der Linie miteinander versöhnen oder vereinen könnte.
Aber es scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein. Die verschiedenen Müttergottes, die sich westlich und östlich der Front tummeln, haben sogar gleichsam gegeneinander Krieg geführt.
Da könnte man doch fast auf die Idee kommen, dass an dieser Verehrung irgendetwas nicht so ganz stimmig ist. Folgen wir daher einmal den Spuren der Großen Mutter in Zentral- und Osteuropa, die in der Verehrung der Gläubigen als „Gottes-Link“ fungiert.

Ausgangspunkt unserer Tour ist das Städtchen Trakai, eine große Hand voll Kilometer westlich der litauischen Hauptstadt Vilnius gelegen. Jeder geeichte Litauen-Tourist hat es bereits einmal besucht und kennt die dort auf einer Seeinsel ruhende Wasserburg, sicherlich eines der eindrucksvollsten Bauwerke dieser Art in Europa. Die Burg ist ein nationales Wahrzeichen Litauens, sodass man sie als Litauen-Besucher gesehen haben muss.

Bei uns aber nicht so bekannt ist der Umstand, dass Trakai auch ein Wallfahrtsort ist, der ebenfalls nationale Bedeutung besitzt, dem aber später die Muttergottes im Tor der Morgenröte in Vilnius den Rang abgelaufen hat.
Als Papst Johannes Paul II. 1993 Litauen seine Aufwartung machte – eine Visite, die für das Bewusstsein des damals erst vor kurzem unabhängig gewordenen Landes kaum zu überschätzen ist – stattete er auch der Wallfahrtskirche in Trakai und ihrem wundertätigen Marienbild einen Besuch ab.
Das Bildnis gilt in seinem ursprünglichen Aussehen als die älteste Mariendarstellung Litauens und trägt deshalb den Titel einer Patronin Litauens. Später wurde es in Anlehnung an den byzantinischen Ikonentyp der „Wegweiserin“ überarbeitet.
Der Pilgerweg des Papstes durch Litauen wird immer noch hochgehalten und ist nicht zuletzt für polnische Touristen von besonderer Bedeutung.

Bereits 1611 bekam die Muttergottes von Trakai hohen Besuch. Es war die polnische Königin Constanze, die zusammen mit einigen erlauchten litauischen Häuptern die Wallfahrtskirche aufsuchte. Polen und Litauen bildeten damals einen Doppelstaat, in dem Polen langsam aber sicher die wichtigere Rolle zu spielen begann. Der Grund für diesen Besuch Constanzes lag darin, dass ihr Mann, der König, wieder einmal zu Felde gezogen war.
Wie wir schon in früheren Beiträgen berichtet haben, bemühte sich in dieser Zeit der Herrschaftswirren in Russland der Doppelstaat intensiv darum, bei der anstehenden Neubesetzung des Moskauer Throns „mitzureden“. Nebenbei hatte er Schweden als Nebenbuhler abzuwehren.
Die Moskauer Fürsten wären zwar zu einem Kompromiss mit Polen bereit gewesen, dem polnischen König war das aber schlussendlich zu wenig. Er beschloss, sich selber zum Herrscher Russlands zu machen und damit nicht nur den aufsteigenden Konkurrenten im Osten ein für alle mal zu erledigen, sondern auch die Machtansprüche Schwedens in diesem Raum zu unterlaufen.

Wie schon früher beschrieben, ging das Ansinnen schief, die Russen hatten von den Polen vollends die Nase voll und drängten sie aus dem Land heraus – mit der Ausnahme von einigen Gebieten im Westen und dem russischen Smolensk, das nach zwanzig Monaten Belagerung an Polen ging.
Zu eben diesem Kampf um Smolensk war der Gemahl Constanzes, Sigismund III., angereist.
Eine Ironie dieser Geschichte liegt übrigens darin, dass Sigismund den Familiennamen Wasa trägt, d.h. väterlicherseits schwedischer Abstammung gewesen ist, und bis zu seiner Absetzung als schwedischer König auch im eigentlich gegnerischen Schweden ein Standbein gehabt hat.

Constanze bat nun die Gottesmutter von Trakai inständig darum, dass ihr Mann die Schlacht um Smolensk unverletzt überstehe und die Polen den Sieg davon tragen mögen.
Und siehe da: die Muttergottes von Trakai erhörte ihre Bitten:
Smolensk fiel in die Hände der Polen und auch Sigismund III. kam – zumindest körperlich – unversehrt wieder nach Hause.
Zur Entschuldigung der Polen muss hier noch erwähnt werden, dass Constanze eine Habsburgertochter war, somit also aus Österreich gekommen und streng katholisch erzogen worden war. Sie brachte eine Art von Frömmigkeit mit ins Land, mit der nicht alle Polen etwas anfangen konnten und das hatte letztendlich politische Gründe.

Constanze tat also alles, was in ihrer Macht, oder vielleicht besser Ohnmacht stand, um Polen und ihrem Gatten zum Sieg zu verhelfen. So weit so gut.
Doch da gibt es ein Problem!
Und das liegt darin, dass in Smolensk auch eine Muttergottes sitzt, die wiederum für das Selbstverständnis Russlands und seiner Orthodoxie eine besondere Rolle spielt. Und diese Muttergottes von Smolensk zog bei diesem Geschehen eindeutig den Kürzeren.

Hier sollten wir kurz aber notwendig einschieben, dass es verschiedene Typen von Muttergottesdarstellungen gibt. Solche Unterscheidungen gibt es auch in der Katholischen Kirche, die russische Orthodoxie hat es aber in der Spezifizierung der Muttergottesdarstellungen zu großer Meisterschaft gebracht, was sicherlich auch mit dem besonderen Stellenwert der Muttergottesverehrung in Russland zusammenhängt.
In russischen Landen gibt es mehrere hundert Muttergottesikonen, die für wundertätig gehalten werden. Einige wichtige Typen der Muttergottesdarstellung werden in der Orthodoxie Russlands nach ihrem ursprünglichen Ort der Verehrung benannt. So gibt es zum Beispiel eine Muttergottes von Wladimir, eine Muttergottes von Kasan oder eben die Muttergottes von Smolensk, die jeweils unterschiedliche Typen, bzw. deren Varianten repräsentieren. Mit den beiden letzteren Ikonen werden wir uns hier beschäftigen.

Wie damals die Muttergottes von Smolensk auf das Wirken ihrer Kollegin in Trakai reagiert hat, ist nicht überliefert, das polnische Abenteuer hat sie letztendlich aber überstanden. Später wird sie in der Verteidigung ihres Landes allerdings eine nicht unwichtige Rolle spielen.
Was ist nämlich passiert?
Napoleon schickte sich an, Russland zu unterwerfen!

Nachdem es am Zarenhof in St. Petersburg aufgrund des fehlenden Erfolgs der russischen Truppen gegen Napoleon massive Unstimmigkeiten bezüglich der militärischen Führung gegeben hat, ernennt Zar Alexander den durchaus umstrittenen alten Haudegen Kutusow zum neuen Oberbefehlshaber. Dessen erste Amtshandlung als neuer Oberbefehlshaber ist die: Er geht in die Kirche.

Und zwar nicht in irgendeine, sondern in die gerade mehr oder weniger fertiggestellte neue Hauptkirche von St. Petersburg. Als hätte man es geahnt, hat man in den Jahren, in denen Napoleon begonnen hat, Europa aufzurollen, eine neue Kathedrale gebaut, die der Muttergottes von Kasan geweiht worden ist, also gleichsam dem Schutz Russlands.
Die Kasaner Muttergottes hat eine längere Geschichte und steht mit der Eroberung von Kasan durch Ivan IV., den sog. Schrecklichen, und den darauf folgenden Krisen im Reich der Moskowiter in enger Verbindung.
Unter ihrem Schutz steht der „Great Reset“, den die Russen nach der Zeit der großen Wirren Anfang des 17. Jahrhunderts für ihr Reich gestartet haben. Ausgangspunkt dafür ist gewesen, dass der Moskauer Patriarch dazu aufgerufen hat, unter der Führung der Muttergottes von Kasan die polnischen Okkupanten zu vertreiben, was dann nach einigen Anlaufschwierigkeiten auch gelungen ist.
Kutusow wird also in der St. Petersburger Kathedrale mit der Ikone der Muttergottes von Kasan gesegnet. Übersetzt heißt das: Napoleon besitzt jetzt schlechte Karten.

Als Kutusow zu den russischen Truppen stößt, haben diese gerade die Stadt Smolensk Napoleon und den Flammen überlassen müssen. Aber sie haben etwas sehr Bedeutungsvolles mit im Marschgepäck: Die wundertätige Ikone der Muttergottes von Smolensk.
Bevor die Russen sich aus der Stadt zurückgezogen haben, haben sie die Ikone geborgen und führen sie nun im Tross mit.
Napoleon hat Smolensk physisch erobert, aber nicht spirituell.
Kutusow weiß das zu nützen. Und Napoleon versteht genau das nicht.

Bei Borodino bieten die russischen Truppen Napoleons Armee schließlich die lange geforderte Feldschlacht. Sie bauen Stellungen und Schanzen und warten auf das Eintreffen der Franzosen, die sich ihrerseits im Gelände in Position bringen.
Dann ist Stille, die Stille vor der Schlacht.

Es ist ein Sonntag. Über das Lager der Russen breitet sich ein Mantel der Ruhe und Konzentration. Kutusow lässt eine kleine Prozession organisieren, die sich nun langsam durch die russischen Stellungen bewegt. Begleitet vom Oberbefehlshaber und seinem Stab führen einige Geistliche die Ikone der Muttergottes von Smolensk durch das Feld, von Regiment zu Regiment, von Batterie zu Batterie und zu jeder Schanze.
An jedem Haltepunkt wird gebetet, Lieder werden gesungen und die Soldaten ziehen in tiefer Andacht an der Ikone vorüber. Kutusow sieht dabei zu, wie in den Männern ein neuer Geist erwacht, eine neue Kraft, die nur aus echtem Glauben erwachsen kann. Kutusow wird in der Schlacht auf diesen Geist bauen.

Mit gemischten Gefühlen beobachten die Generäle Napoleons von Ihren Stellungen aus das Geschehen. Napoleon hält den Umzug allerdings für seelenloses Theater. Einen solchen Gegner, verkündet er lauthals, werde man leicht in den Sack stecken.
Die Schlacht am nächsten Tag endet allerdings de facto in einem Patt. Das gibt den Russen die Möglichkeit, sich geordnet zurückzuziehen und Moskau aus freien Stücken Napoleon zu überlassen.
Napoleon bekommt zwar Moskau, hat damit aber nichts gewonnen. Als er das einsieht, zieht er unverrichteter Dinge wieder ab und der Rückzug seiner Armee wird zu einem der größten militärischen und menschlichen Fiaskos, die die Weltgeschichte je gesehen hat.
Smolensk hat nach der Zerstörung durch Napoleon einigen „Renovierungsbedarf“, doch schlussendlich kann die Ikone der Muttergottes von Smolensk wieder in ihre Stadt zurückkehren.
Von dort blickt sie auch heute noch gegen Westen.
Und was sieht sie da?

Zum Beispiel sieht sie in etwas weiterer Entfernung ein Symbol: Zwölf im Kreis angeordnete Sterne vor einem blauen Hintergrund.
Die Smolensker Muttergottes würde sicher dazu sagen: „Gefällt mir“.
Das Symbol steht in Brüssel und bezeichnet eine wackelige Gemeinschaft europäischer Staaten….

Die zwölf Sterne sind ursprünglich in der Tradition ein „Accessoire“ der Muttergottes. Dieses geht auf eine Stelle in der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament zurück (12,1). Dort erscheint eine Jungfrau am (hoffentlich blauen) Himmel, geschmückt mit zwölf Sternen und gebärt unter Schmerzen ein Kind.
In dieser Lesart würden die zwölf Sterne ein Zeichen der Vollkommenheit und Vollendung Mariens darstellen. Entgegen der Tradition der Marienverehrung ist dieser Text eigentlich symbolisch zu verstehen, das Kapitel firmiert unter der Überschrift: „Der Kampf des Satans gegen die Herrschaft (oder: das Volk) Gottes“.
Man könnte auch sagen: der Kampf des Bösen gegen das Gute.
Es heißt eben gerade nicht: der Kampf des Guten gegen das Böse.
Nur so als Randbemerkung.
In dieser Sichtweise bilden die zwölf Sterne das Volk Gottes.
Vielleicht laden wir unsere EU-Politiker einmal zu einem Meditationsworkshop über das Symbol der Europäischen Union ein?

Katholische Muttergottesdarstellungen, vor allem aus der Barockzeit, verwenden oft dieses Symbol der zwölf Sterne. Eine der wichtigsten Darstellungen dieser Art in Zentraleuropa ist die oben erwähnte Muttergottes im Tor der Morgenröte in Vilnius. Diese ist einerseits ein katholisch litauisches, wie auch polnisches Heiligtum, andererseits aber auch für orthodoxe Gläubige ein Ort der Verehrung. Beide Seiten haben rund um das Bild ihre eigenen Legenden und Erzählungen gesponnen, die mit den zunehmenden Spannungen zwischen Polen-Litauen und dem zaristischen Russland jeweils politisch und national aufgeladen worden sind.

Auf ostkirchlichen Muttergottesdarstellungen finden sich allerdings keine zwölf, sondern nur drei Sterne, von denen einer oft durch das Jesuskind verdeckt ist. Diese Sterne sind das Zeichen für Maria als der „immerwährenden Jungfrau“.
Für diejenigen unter uns, die diese Aussage allzu anatomisch nehmen, sei dazu gesagt, dass ein spirituell inspirierter Mensch im Modus des sog. Anfängergeists lebt. „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben“, sagt Hermann Hesse in seinem Gedicht Stufen.

Was sieht die Smolensker Muttergottes noch, wenn sie gegen Westen blickt?
Sie sieht ihre Schwester, die unter dem Namen Schwarze Madonna in einem Kloster im polnischen Wallfahrtsort Tschenstochau (Czestochowa) residiert.
Die Muttergottes von Smolensk verkörpert den Ikonentyp der byzantinischen Hodegetria, was soviel bedeutet wie: die Wegweiserin. Der Legende nach hat der Evangelist Lukas selbst die erste Ikone dieses Typs von der Gottesmutter gemalt.
Angeblich von einer solchen Ikone begleitet, machte sich einst eine byzantinische Prinzessin auf den Weg in die Ehe mit dem Herrscher der alten Rus. Schlussendlich landete diese Ikone in Smolensk.

Der Typ der Hodegetria oder Wegweiserin ist auch in die Westkirche eingewandert. Wir erwähnten zu Beginn die Überarbeitung des Bildes der Muttergottes von Trakai. Die wohl bekannteste Vertreterin dieses Typs innerhalb der Katholischen Kirche ist jedoch die Schwarze Madonna in Tschenstochau. Die Beter, die dieses Gnadenbild aufsuchen, finden de facto dieses Erbe der Ostkirche zum Niederknien.
Die Tschenstochauer Hodegetria hat von der Legende her eine ganz ähnliche Herkunftsgeschichte, wie die in Smolensk. Auch sie soll mit einer byzantinischen Prinzessin in die Rus gekommen und später nach Westen weitergewandert sein.
In Tschenstochau ist sie diversem kriegerischem Unbill ausgesetzt gewesen und bei solcher Gelegenheit auch beschädigt worden. Schließlich hat sie aber ihr Kloster vor der Eroberung durch die Schweden bewahrt – so die allgemeine Überzeugung.
Dieser Vorgang hat den Polen in den hier früher schon einmal erwähnten Kriegen der Sintflut (zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts), in denen Russen, Schweden sowie diverse Verbündete und Glücksritter über Polen hergefallen sind und das Land weitgehend verwüstet haben, die Kraft gegeben, die Angreifer aus aussichtsloser Position zurückzuschlagen und den polnischen Staat wieder zu etablieren.

Noch ein PS zur Kasaner Muttergottes:
Das Original dieser Ikone ging wahrscheinlich verloren, bzw. wurde verkauft, möglicherweise als Folge des bolschewistischen Umsturzes. Eine jüngere Kopie tauchte am westlichen Kunstmarkt auf und gelangte schließlich über verschlungene Wege in den Vatikan. Papst Johannes Paul II. gab diese Ikone an Russland zurück, wo sie heute in Kasan für ein gutes Einvernehmen der Orthodoxie mit den Gläubigen der dortigen großen Moschee sorgt.
Die Fähigkeit der Orthodoxie und des Islams in Russland konstruktiv miteinander umzugehen, bildet einen Grundpfeiler für den Erfolg des Landes, der gerade in Zeiten der gegenwärtigen Weltpolitik von entscheidender Bedeutung ist.

EU-Land wird gerade abgeräumt – wirtschaftlich, politisch und bedeutungsmäßig.
Man möchte fragen: Wer zieht noch den Hut vor Dir? (wie es in einer Liedzeile über Österreich heißt).
2019 sagte der Französische Präsident Macron:
Europa stehe „am Rande eines Abgrunds“ und müsse anfangen, sich strategisch als geopolitische Macht zu begreifen, um nicht in die Lage zu kommen, „nicht mehr die Kontrolle über sein Schicksal zu haben“.
Ganz recht, mein lieber Macron, aber der Weg zum Überschreiten des Abgrunds wird anders verlaufen, als man sich das im Moment in der EU vorstellt!

Der Schwerpunkt der Weltwirtschaft ist längst Richtung Osten abgewandert, dort finden intensive Integrationsprozesse statt und der saudische Kronprinz möchte gar den arabischen Raum zum „Neuen Europa“ machen. Das sei diesen Herrschaften auch alles vergönnt.

Aber während hierzulande in der Öffentlichkeit und den Medien nach wie vor mit Abzählreimen gespielt wird… – und draußen bist Du – …wird immer deutlicher, dass das materielle Element (zu dem auch Kriege, Panzer und Raketen gehören) immer bedeutungsloser wird und die Seins-Ebene dafür an Raum zurückgewinnt.

Wie schon früher an dieser Stelle betont, arbeitet unsere Existenz nicht multipolar, sondern vernetzt. Der nichtssagende Begriff Multipolar führt nur in die Irre.
Ein Netzwerk ist immer inklusiv, also einschließend und nie ausschließend!
Solcherart wirtschaftliche, politische und wissenschaftliche Netzwerkstrukturen bilden sich gerade im eurasischen Raum heraus.
Wer das jetzt nicht versteht, wird vor die Tür der geopolitischen Entwicklungen gesetzt.
In einem Netzwerk gibt es kein Zentrum und keine Hierarchien, nichts ist starr und alles ist immer im Austausch und in Bewegung. In einer solchen Umgebung helfen keine Panzer, sondern ausschließlich die Wachheit des Geistes!

Unter den jetzt abblätternden Lackschichten der westeuropäische Zivilisation kommt vielleicht die wahre Bedeutung des europäischen Kontinents wieder zum Vorschein:
das Land, bzw. der Kontinent der viel zitierten Dichter und Denker, der geistigen Großmeister und der großen Künstler, als auch der spirituellen Traditionen und all das ist vielfach eng miteinander verwoben. Hier kann der europäische Kontinent sein Gewicht in die globale Waagschale werfen.

Der spirituelle Raum, der den Kontinent geprägt hat, ist in Wirklichkeit ein offener und unbegrenzter Raum! Das könnte uns die Figur der Muttergottes, wie sie ursprünglich eigentlich angelegt ist, lehren.
Daraus können wir lernen, unser Denken wieder zu öffnen, die Meinungskorridore abzureißen und die geistige Engführung, die den Kontinent so sehr beherrscht und schwächt, aufzugeben.
Wenn wir aber weiterhin glauben, die Lösung bestehe darin, unser Weltbild und unser Denken begrenzen und genau abstecken zu müssen, werden wir, wie Macron sagte, die Kontrolle über unser Schicksal verlieren.

Den Kontinent neu bauen – Rebuilding Europe – wird nicht durch Wirtschaft, Finanzströme, Diplomatie oder gar politische Heilsgestalten erfolgen, sondern vor allem auf der Seins-Ebene durch all diejenigen, die sich angesprochen fühlen: über Kultur, Denken und Diskussion, über Geschichte und Spiritualität sowie natürlich auch über Begegnung und Sport. Das alles werden wir uns jetzt neu erarbeiten müssen, dafür aber auch umso intensiver erleben können.

COMMENTS

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    Horst Beger 1 Monat

    Dass dem jesuitistischen Steffen Hebenstreit der Bezug des Autors auf die Ikone der russischen Gottesmutter mit dem Christuskind, die seit jeher das russische Christentum stärkt und verteidigt, zuwider ist, war zu erwarten. Statt dessen verteidigt er mit sophistischen Leugnungen und Tatsachenverdrehungen eine römische Kirche, die seit jeher dem Fürsten dieser Welt, d.h. dem Antichrist dient. Von daher war auch zu erwarten, dass er den über ein Jahrtausend alten „Kampf des westlichen (römischen) Christentums gegen das östliche (russische) Christentum“ leugnet, den der amerikanische Politologe Samuel Huntington in seinem Buch „Kampf der Kulturen“ von 1996 aufgezeigt hat, und in dem er darauf hinweist, dass diese „Kulturgrenze“ auch die Ukraine in eine vom russischen Christentum geprägte Ostukraine und eine vom römischen Christentum beeinflusste Westukraine teilt, also ganz aktuell ist. Deswegen wird dies „Kulturgrenze“ von dem Geostrategen Huntington auch als Kriterium für die Zugehörigkeit zur EU und zur NATO bezeichnet was zeigt, dass der Kampf um die Ukraine auch ein Kulturkampf ist. Von Kämpfern des römischen Christentums gegen das russische Christentum wie Steffen Hebenstreit werden solche Feinheiten natürlich geleugnet und mit langatmigen Erklärungen versucht zu verschleiern.

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    Steffen Hebenstreit 1 Monat

    Ein längerer Artikel erfordert manchmal auch einen längeren Kommentar. Es ist ein abstruser Artikel, der erschreckende Abgründe in den Denkstrukturen des Autors offenbart und Aussagen enthält, die man nicht unwidersprochen stehen lassen kann. Er enthält auch Unklarheiten wie z.B. die Überschrift, wo vom Neuaufbau Europas die Rede ist. Wünscht sich der Autor etwa eine totale Zerstörung Europas, damit ein totaler Neuaufbau nötig wird, der dann in seinem Sinne erfolgen soll?? Dann ist die Rede vom mehrfachen „Aufstand Europas gegen Russland“? Den hat es nie gegeben, weil Europa nie von Russland beherrscht war (außer die Osthälfte nach dem zweiten Weltkrieg, aber das ist offenbar nicht gemeint). Empört bin ich darüber, dass in diesem Artikel Religion und Glauben der Menschen auf bösartige Weise für politische Zwecke instrumentalisiert und missbraucht werden. Die Muttergottes lässt sich aber nicht für Politik missbrauchen, sie ist für alle christlichen Menschen da und offen. Sie wird den ungerechten, grausamen und brutalen Raub-, Eroberungs- und Vernichtungskrieg Russlands gegen die Ukraine keinesfalls gutheißen. Und sie wird nicht vergessen haben, dass Sowjetrussland 75 Jahre lang das antichristlichste Staatswesen der Weltgeschichte war, wo Millionen Christen wegen ihres Glaubens eingesperrt, gequält und ermordet wurden sowie zahllose Kirchen ausgeraubt und zerstört wurden. Und ihr bleibt nicht verborgen, dass es heute in unserem demokratischen Europa deutlich christlicher zugeht als im diktatorischen Russland Putins, was die Einhaltung der 10 Gebote betrifft. In Russland wird viel mehr gelogen (wie in jeder Diktatur), auch die Korruption und die Kriminalität sind weitaus höher als in der EU. Hr. Schütz ist offensichtlich ein russischer Nationalist und Kreml-Propagandist, sein deutscher Name ist nichts als Tarnung. Das geht eindeutig aus seinen Ausführungen hervor, es kann jeder sehen. Er hasst und verachtet unser demokratisches Europa, er freut sich höhnisch über dessen angeblichen „Abstieg“ und „Wackligkeit“ und „dass der Lack ab ist“ usw. Und er ist stolz und froh über Russlands Stärke und „Erfolge in der gegenwärtigen Weltpolitik“. Das ist eindeutig und spricht für sich. Seine Texte belegen, dass er Europa gar nicht aus eigener Anschauung und eigenem Erleben kennt, sondern darüber schreibt wie ein Blinder über die Farbe. (Leider ist er da nicht der Einzige in diesem Forum…) Was meint Hr. Schütz, wenn er uns Europäer auffordert, „das Denken zu öffnen und die Meinungskorridore abzureißen“?? Er sagt es nicht klar, aber man ahnt natürlich, was er meint: Wir sollen weniger solidarisch sein, die zivile und militärische Hilfe für die unschuldig angegriffene Ukraine einstellen, damit dort endlich das Böse über das Gute siegen und triumphieren kann. Und wir Europäer sollen auch nicht aufrüsten, um wieder ein gesundes Maß an Verteidigungsfähigkeit, Abschreckung und Sicherheit zu erreichen, sondern schwach bleiben und eine leichte Beute für ein starkes, hochgerüstetes Russland mit revanchistischer und imperialistischer Agenda, mit eurasischen Herrschaftsgelüsten und Weltmachtphantasien, das im Inneren eine fürchterliche Mafia-Diktatur ist. Hr. Schütz wie Hr. Putin wünschen sich ein „traditionelles christliches Europa“, damit gemeint ist ein Europa wie im Mittelalter, wo die Staaten von finsteren Diktatoren regiert werden, die ihre Völker mit Gewalt, Grausamkeit und Lügenpropaganda unterdrücken und auspressen, die auch nicht davor zurückschrecken, ihre Herrschaft als gottgewollt und alternativlos anzupreisen und die Religion der Menschen zu missbrauchen, um ihnen Sand in die Augen zu streuen. Und die natürlich Marionetten einer russischen eurasischen Supermacht sind, die im Hintergrund abkassiert, die Fäden zieht und alles beherrscht. So sieht in Wahrheit die gewünschte schöne neue Weltordnung aus, die Hr. Putin und Hr. Schütz anstreben und mit schönen Worten wie „vernetzt“ verbrämen. Dazu beitragen soll wohl auch der gewohnt selektive und suggestive Blick auf die Geschichte, wie noch klarer im früheren Artikel des Autors „Hybris und Niedergang westlicher Herrschaftsansprüche“. Titel und Thema sind voll daneben, weil wir es heute im Ukraine-Krieg unbestreitbar mit östlicher Hybris und östlichem Herrschaftsanspruch zu tun haben. Es soll wieder mal der Eindruck suggeriert werden, dass Europa ein böser Aggressor ist, der seit 1000 Jahren nichts anderes zu tun hatte als ständig Angriffskriege gegen ein armes, unschuldiges, friedliches Russland mit völlig weißer Weste zu planen, vorzubereiten und durchzuführen, und jedes Mal gescheitert ist am unbeugsamen russischen Volk (und der Muttergottes…). Da möchte ich doch mal die Geschichte vom Kopf auf die Füße stellen. Natürlich stimmt die Geschichte der Russland-Feldzüge von Napoleon und Hitler. Auch wenn ich nicht alle Einzelheiten nachvollziehen konnte, gehe ich einfach mal davon aus, dass Hr. Schütz da gut recherchiert hat. Mit Polen ist die Geschichte schon komplizierter, da fehlen einige Facetten. Immerhin haben die Polen Russland vom Joch der Goldenen Horde befreit, wenigstens das hätte der Autor erwähnen und ihnen zu Gute halten können. Dass der polnische König das befreite Land zu einem Teil seines Reiches machen wollte, war damals übliche und weitverbreitete Praxis. Jedenfalls kein Beleg für Russen-Hass des polnischen und europäischen Volkes und auch nicht der römisch-katholischen Kirche anzulasten, obwohl die damals auch kein Unschuldslamm war. (Mit einem polnischen Zaren wären die russischen Menschen damals vielleicht besser dran gewesen als mit einem russischen, der im Wesentlichen das Herrschafts-System der Mongolen kopiert hat.) Im Artikel klang es auch so, als ob Russland ein gutes Recht hatte, sich an der Aufteilung Polens zu beteiligen, weil sich Jahrhunderte vorher schon mal ein Pole auf den Moskauer Zaren-Thron setzen wollte. In der Abwehr fremder Invasionen wird dem russischen Volk eine quasi rassische Überlegenheit zugeschrieben, was zumindest bedenklich ist. Also Konflikte, Kriege und Hybris hat es früher auf der ganzen Welt gegeben, nicht nur in Europa, auch auf dem Gebiet des heutigen Russlands, in Asien, in Afrika und im vorkolumbianischen Amerika. In Europa fanden die allermeisten Kriege zwischen den vielen kleinen europäischen Staaten untereinander statt, nur wenige zwischen europäischen Staaten und Russland. Russland hat in seiner Geschichte mehr Kriege mit asiatischen Völkern geführt als mit europäischen. Aus Asien kam übrigens auch die einzig erfolgreiche Eroberung Russlands, die vom Autor völlig unterschlagen wird: Der Mongolensturm unter Dschingis Khan, der über 200 Jahre Fremdherrschaft zur Folge hatte, deren Brutalität und Grausamkeit die russische Geschichte und russische Mentalität bis heute prägen. Und Russland hat vor allem über die Jahrhunderte selber viele Angriffskriege geführt, sonst wäre das russische Imperium (ursprünglich nur doppelt so groß wie das heutige Deutschland), niemals so groß geworden! Das Zarenreich umfasste zum Schluss nicht nur das Gebiet der späteren Sowjetunion, sondern zusätzlich auch Finnland, ein Drittel Polens und die Mandschurei, sowie zeitweise Alaska. Es gründete nur auf Gewalt, kein eiziges Volk hat das Land seiner Vorfahren freiwillig an die Kreml-Herren verschenkt und sich freiwillig einer grausamen Fremdherrschaft unterworfen. Kriege sind niemals wegen Religion geführt worden, sondern immer wegen Gier auf Land und Macht. Neues Denken hat nur dann eine Chance, wenn es auf allen Seiten gedacht wird, nicht nur auf einer Seite. Und was die Beendigung des Ukraine-Krieges angeht: Da braucht eigentlich nur einer sein Denken zu ändern: Das ist der russische Diktator Putin. Er hat den Krieg begonnen, und er kann ihn auch jederzeit wieder beenden. Er kann seine Armee an die russische Grenze zurückziehen, einen Waffenstillstand ausrufen und echte, ergebnisorientierte Verhandlungen ohne Vorbedingungen beginnen mit der Ukraine, Europa, China und den Vereinigten Staaten. Dann kann man in Ruhe und detailliert auf Augenhöhe verhandeln über europäische Sicherheit für alle, über UNO, die Weltordnung und ihre Regeln. Wenn die miltärische Logik erst einmal außer Kraft gesetzt ist, dann wird auch wieder Raum frei für die Entfaltung neuen Denkens in neue Richtungen und das Verlassen von geistigen Korridoren. Wie entkommt man einer Sackgasse? Indem man zuerst mal ein kurzes Stück rückwarts geht! Der russische Diktator hat den Krieg unter falschen Annahmen begonnen, und er kann die Größe aufbringen, seinen Fehler zu korrigieren. Seine Herrschaft über Russland wird er nicht verlieren, und die Verhandlungsergebnisse kann er seinem Volk in jedem Fall als Erfolg präsentieren. Er hat jetzt die Wahl, ob er wirklich als Zerstörer und Kriegsverbrecher auf einer Ebene mit Adolf Hitler in die Geschichte eingehen will oder nicht. An Hr. Putin sollte man daher zuallererst appellieren, wenn es um neues Denken und die Beendigung des furchtbaren Ukraine-Krieges geht, die auch Russland sehr guttun würde.

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    Horst Beger 1 Monat

    Nachdem der Autor schon in seinem Beitrag „Europastraße 30 aus dem Nähkästchen der osteuropäischen Geschichte von der Hybris und dem Niedergang westlicher Herrschaftsansprüche geplaudert hat“, ergänzt er diese nun mit einem „Streifzug durch die militaristische Wirkungsgeschichte der Himmelsgöttin“, der Ikone der Gottesmutter (Hodegetria) und ihren Varianten in Ost und West. Danach soll diese, die Gottesmutter von Kasan bereits 1612 zur Befreiung Moskaus von der polnisch-litauischen Besetzung beigetragen haben. Und der Tag der Gottesmutter von Kasan ist seit dem 4. November 2005 als „Tag Einheit“ auch gesetzlicher Feiertag anstelle des Tages der Oktoberrevolution.

    Nationalheiligtum Russlands und der russischen Orthodoxie ist jedoch die Gottesmutter von Wladimir, die Gottesmutter der Barmherzigkeit (Umilenie). Vor dieser Ikone wird um die Befreiung von ausländischen Eroberern und Angreifern und um die Rettung und den Erhalt Russlands und die Festigung des orthodoxen Glaubens gebetet. Deshalb verteidigt Russland im Ukrainekrieg auch „die Russische Welt gegen die antichristliche Welt des Westens“, wie der amerikanische Geopolitologe Samuel Huntington diesen Jahrhunderte alten „Kulturkampf des westlichen(römischen) Christentums gegen das östliche(russische) Christentum“ das ganz prosaisch ausdrückt, ohne auf den substanziellen Unterschied näher einzugehen. Und in dem er darauf hinweist, dass diese „Kulturgrenze“ auch die Ukraine in eine vom russischen Christentum geprägte Ostukraine und eine vom römischen Christentum beeinflusste Westukraine teilt, also ganz aktuell ist.

    Von daher ist die Hoffnung des Autors, dass sich das untergegangene christliche Europa auf der „Seins-Ebene“ durch die Besinnung auf Kultur, Denken und Diskussionen über Geschichte und Spiritualität erneuern könnte, mehr als optimistisch. Denn die derzeitigen Diskussionen Deutschlands und des Westens kreisen ja nur noch um Waffenlieferungen und einen Sieg über das „aggressive“ Russland. Diesen pathologischen deutschen Militarismus hat Theodor Fontane schon 1897 als „niedrigste Kulturform, die je dagewesen ist“, bezeichnet.

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