Ukraine –  worüber es lohnt nachzudenkenKai Ehlers

Ukraine – worüber es lohnt nachzudenken

[von Kai Ehlers] Der Lärm um die Ukraine wird immer schriller. Und dennoch: Den Krieg wird es so, wie er gerade von vielen Seiten mit immer neuen Spekulationen beschworen wird, nicht geben. Weder droht Russland mit Krieg, noch ist Russland an einem Einmarsch in die Ukraine interessiert. Eine annektierte Ukraine würde Russland ökonomisch und politisch in kritischem Maße belasten. Russland will nur verhindern, dass die Ukraine voll und ganz zum NATO-Land wird.

Auch Joe Biden tönt nur, um sich dann gleich wieder zu relativieren. Selbst Annalena Baerbock, die sich so gern militant gibt, baut sich zwar drohend gegen Russland auf, hat aber doch keinen wirklichen Angriffswillen hinter sich. Es geht erkennbar nicht um offenen Krieg mit Russland, sondern um dessen Einschnürung, wenn möglich Totrüstung – wobei die gesamte westliche Propagandatruppe zugleich deutlich erkennen lässt, dass nicht einer von ihnen bereit ist für die Ukraine ins Feuer zu gehen und seinen kriegshetzerischen Worten militärische Taten folgen zu lassen.

Halten wir einfach fest: Russland als Herzland  Eurasiens, verbunden zudem mit China und dies umso enger, je mehr der Chor aus USA, NATO, EU im Ton ihres Bedrohungsmarathons aufdreht, wäre in einem Krieg mit konventionellen Waffen nicht zu bezwingen, nachdem es schon in der Vergangenheit durch Eroberungskriege nicht einzunehmen, nicht zu besetzen oder zu unterwerfen war. Man erinnere sich an die gescheiterten Versuche Napoleons im 19. Jahrhundert, der deutschen Wehrmacht im Ersten Weltkrieg, Hitlers im zweiten und der nicht gelungenen weichen Übernahme durch die USA nach dem Ende der Sowjetunion. Heute hätte der Einsatz von Atomwaffen zudem auch für den, der sie zuerst einsetzt, tödliche Folgen.

Es wiederholt sich auch nicht einfach der „Kalte Krieg“ zwischen zwei Blöcken.  Was wir gegenwärtig erleben, sind vielmehr die hysterischen Versuche des „Westens“ seine bisherige globale Dominanz unterhalb der Schwelle eines offenen Krieges und schon gar eines Atomkrieges gegenüber der Verschiebung der unübersehbar heranwachsenden Neugliederung der globalen Kräftekonstellationen aufrechtzuerhalten.

Was wir gegenwärtig erleben, ist genau betrachtet ein Geschrei, das umso lauter ist, je weniger die westlichen Akteure in der Lage sind, das Angedrohte auch tatsächlich umzusetzen. Nehmen wir als Beispiel nur das Gezänk um „Nordstream 2“: Will Annalena Baerbock der deutschen Bevölkerung angesichts der deutschen Abhängigkeit von Gasimporten aus Russland wirklich zumuten, den „Preis“ dafür zu zahlen, dass Russland kein Gas mehr liefert? Das würde sie politisch vermutlich nicht überleben. Oder nehmen wir die Forderung, Russland aus dem internationalen Zahlungsverkehr SWIFT auszuschließen: Wie will der „Westen“ den daraus resultierenden Verlust seiner finanziellen Dominanz ohne Eskalation der jetzt schon grassierenden Finanzkrise überstehen? Welche „Preise“ möchte Frau Baerbock der deutschen und der mit ihr verbundenen europäischen Bevölkerung darüber hinaus noch zumuten, ohne dass es zu Tumulten in der an Wohlstand, zumindest an erschwingliche Grundversorgung gewöhnten Bevölkerung kommt?

Ganz zu schweigen davon schließlich, dass ein Einsatz von Waffen gegen Russland, sei es konventioneller oder atomarer, zu einer Verwüstung Europas, konkret Deutschlands führen würde. Selbst ein US-Präsident kann einen solchen Waffeneinsatz nicht wollen, denn in einem mit Hyperschallraketen ausgetragenen Waffengang würden auch die USA nicht unberührt bleiben. Das wissen alle Akteure. So what? Wieso der ganze Lärm?

Man wird es erleben, dass die lautesten Schreihälse sich mit einem Winseln zum „Dialog“ setzen werden, weil es den einfachen Ausweg aus der heutigen Transformationskrise, den  g r o ß e n  Eroberungskrieg, der den Gegner vernichten könnte, nicht mehr gibt, ohne die eigene Vernichtung damit einzuleiten. Was es gibt, ist eine Zunahme lokaler Brände und des Auftauens eingefrorener Konflikte in den diversen Grenzbereichen und sich überschneidenden Einflusszonen der Blöcke. Damit kann man sich gegenseitig in Schach halten. Darin ist der Westen Russland gegenüber im Vorteil, weil Russland aus der Erbmasse der Sowjetunion von solchen Konfliktzonen umgeben ist. Ukraine ist einer dieser Konflikte, der vom Westen hochgespielt wird, für dessen Löschung aber keine der beteiligten Mächte eine militärische Beistandsgarantie abzugeben bereit ist.

Klar gesagt: Es geht nicht um die Ukraine, schon gar nicht um die Verbesserung der Lebensbedingungen der ukrainischen Bevölkerung. Eher sieht es so aus, als ob der seit dem Maidan-Umsturz schwelende lokale Konflikt als Stellvertreterkrieg weiter befeuert, bestenfalls durch neue „Minsker“-Verhandlungen eingefroren wird. Sehr wohl aber geht es um den Versuch, Russland, wie seinerzeit die Sowjetunion, in einen Rüstungswettlauf zu zwingen, um es auf diese Weise ökonomisch niederzuringen.

Dies alles lässt Erinnerungen hochkommen, die man schon lange überwunden geglaubt hat: George Orwell beschrieb in seinem Buch „1984“ nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Einsatz der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki eine Zukunft, die von drei großen Machtblöcken – Eurasien, Ozeanien und Ostasien – gebildet werde. An ihren Grenzen, wo sich die Einflusszonen überlappen, lassen sie beständig Kriege führen, die aber nichts Wesentliches an der Grundkonstellation zwischen ihnen ändern. Die Kriege werden von Spezialtruppen geführt, während die Bevölkerungen innerhalb der großen Machtblöcke unter der Parole „Krieg ist Frieden“ durch volle technische Kontrolle, einschließlich mentaler und gesundheitlicher Überwachung in einem dauerhaften Ausnahmezustand ruhig gehalten wird. Wer diese Art des Friedens in Frage stellt, wird ausgegliedert oder ganz vernichtet.

Einige Sätze aus Orwells Vision, genauer aus dem Kapitel III „Krieg ist Frieden“, mögen diese Art des Friedens verdeutlichen, die uns heute nachdenklich machen kann: „In der einen oder anderen Kombination“ schreibt er, „befinden sich diese drei Superstaaten ständig im Krieg, und das seit fünfundzwanzig Jahren. Krieg ist jedoch nicht mehr der verzweifelte Vernichtungskampf wie in den Anfangsjahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts. Es ist eine Kriegführung mit begrenzten Zielen zwischen Opponenten, die nicht in der Lage sind, einander zu vernichten, die keinen materiellen Kriegsgrund haben und nicht durch einen echten ideologischen Unterschied gespalten sind. (…) Das Problem bestand darin, wie man die Räder der Industrie am Laufen halten konnte, ohne den realen Wohlstand der Welt zu vergrößern. (…) Denn wenn alle Menschen gleichermaßen in Muße und Sicherheit lebten, würde die große Masse der Menschen, die normalerweise aufgrund ihrer Armut verdummt ist, sich bilden und damit lernen, selbstständig zu denken; und wenn dies einmal geschehen wäre, würden sie früher oder später erkennen, dass die privilegierte Minderheit keine Funktion hatte, und sie würden sie hinwegfegen. Auf lange Sicht war eine hierarchische Gesellschaft nur auf der Grundlage von Armut und Unwissenheit möglich. Eine Rückführung in die agrarische Vergangenheit, wie sie sich einige Denker zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erträumt hatten, war keine praktikable Lösung. (…) Es war auch keine befriedigende Lösung, die Massen durch die Drosselung der Warenproduktion in Armut zu halten. Das Problem bestand darin, wie man die Räder der Industrie am Laufen halten konnte, ohne den realen Wohlstand der Welt zu vergrößern.  Waren mussten produziert, durften aber nicht verteilt werden. Und in der Praxis war der einzige Weg, dies zu erreichen, die kontinuierliche Kriegführung. Der wesentliche Akt des Krieges ist die Zerstörung, nicht unbedingt von Menschenleben, sondern von den Produkten menschlicher Arbeit. (…) Der Krieg leistet nicht nur, wie man sehen wird, die notwendig Zerstörung, sondern erreicht dies in einer psychologisch akzeptablen Weise. (…) Es spielt keine Rolle, ob der Krieg tatsächlich stattfindet, und da kein entscheidender Sieg möglich ist, spielt es auch keine Rolle, ob der Krieg gut oder schlecht verläuft. Es ist lediglich erforderlich, dass ein Kriegszustand existiert. (…) Der Krieg wird heute von jeder herrschenden Gruppe gegen ihre eigenen Untertanen geführt, und das Ziel des Krieges besteht nicht darin Gebietseroberungen zu erzielen oder zu verhindern, sondern die Gesellschaftsstruktur intakt zuhalten. (…) ein wirklich dauerhafter Frieden wäre das Gleiche wie ein permanenter Krieg. Dies ist (…) die innere Bedeutung der Parteiparole: KRIEG IST FRIEDEN.“

Selbstverständlich ist dieses Bild nicht eins-zu-eins auf heute zu übertragen. Noch bestehen kulturelle Unterschiede zwischen Euramerika, Russland und China. Mit dem weltweiten Einzug des digitalen Kapitalismus schrumpfen sie erst tendenziell auf folkloristische Besonderheiten. Noch sind die Ressourcen, die für die industrielle Entwicklung gebraucht werden, nicht gleichmäßig verteilt. Um die Gasversorgung wird noch gestritten. Die Entwicklung neuer Energiequellen, einschließlich des weiteren Ausbaus von Atomkraftwerken zeichnet sich jedoch ab. Noch ist die technische Kontrolle der Bevölkerung nicht perfekt und nicht global vereinheitlicht. Noch ist die Einordnung in ein Regime der Volksgesundheit nicht zu einem täglichen Ritual vor dem „Auge“ des „Großen Bruders“ geworden, wie es von Orwell geschildert wird.

Aber Grundelemente einer Entwicklung, wie Orwell sie beschreibt, tauchen aus dem Nebel der aktuellen Kriegspropaganda auf, zumindest wie sie von westlicher Seite betrieben wird, nämlich Versuche, die Bevölkerung in die Akzeptanz einer beständigen Ausnahmesituation zu treiben, in der Krieg als Garant des Friedens erscheint.

Was haben wir dem entgegenzusetzen? Das ist die Frage. Die Antwort ist, darf man das sagen? im Grunde ganz einfach: genau das zu tun, was von den kriegstreiberischen Kräften nicht gewollt wird: Selber denken, selber Wege der Kooperation suchen, selber Brücken bauen, im Kleinen wie im Großen. Gibt es einen anderen Weg? Wohl kaum.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

 

COMMENTS

WORDPRESS: 5
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    Frank Edom 2 Jahren

    Ich finde, in der ganzen Diskussion fehlt das, was militärisch innerhalb der Ukraine, und das auch schon einige Monate, passiert. Russische Medien meldeten bereits am 1. Dezember, dass die Ukrainische Armee 125 000 Mann (die Hälfte der UKR-armee) an der Grenze zu den Donbass-Republiken zusammengezogen hatte. Auch Maria Sacharowa wurde mit dieser Aussage im Fernsehen gezeigt. Das sind mehr Soldaten, als Russland noch Mitte Januar in die Nähe der Ukraine verlegt hatte. Die Ukraine ist im Besitz der türkischen Kampfdrohnen. Warum schweigen alle deutschen Medien darüber? Warum wird selbst in deeskalierenden Aussagen des deutsch-russischen Forums darüber nicht bis kaum gesprochen? Man könnte der Ukraine unterstellen, die Donbass-Republiken (unter Verwendung türkischer und anderer westlicher Waffen) rückerobern zu wollen, ohne das Minsker Abkommen (Autonomie des Donbasses, Amnesti für die Rebellen) zu erfüllen. Stehen nicht deswegen die russischen Truppen an der Grenze zur Ukraina? Wird man Russland einen Angriff in die Schuhe schieben, wenn die Ukraine den Donbass angreift und Russland die Donbassrepubliken unterstützt? Es ist richtig, dass Putin erst kürzlich von der Ukraine die Umsetzung des Minsker Abkommens gefordert hat. Aber auch das wird in den deutschen Medien in keiner Weise erwähnt. Diese Dinge muss man viel mehr in das öffentliche Gespräch einbringen!!! Wissen die des Russischen unkundigen deutschen Politiker das nicht oder wollen sie es nicht wahrnehmen und schreien deswegen gegen Russland rum?

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    Horst Beger 2 Jahren

    Abseits des Kriegslärmes um die Ukraine „lohnt es sich darüber nachzudenken“, warum alle bisherigen Kriege gegen Russland gescheitert sind. Das betrifft nicht nur die beiden Weltkriege und den Kalten Krieg gegen Russland, sondern auch alle vorherigen Versuche. Angefangen vom Sieg Alexander Newskis gegen die Schweden 1240, die von Papst Gregor IX. zu einem „Kreuzzug gegen die Abtrünnigen“ aufgerufen worden waren, die sich zum orthodoxen Glauben bekannten. Und 1242 besiegte Alexander Newski auch den Deutschen Ritterorden auf dem Eis des Peipus-Sees, als der gegen Nowgorod vorrückte. Dieser Fürst, der später heilig gesprochen wurde, nimmt daher einen besonderen Platz im russischen Volk ein, weil er Russland vor der lateinischen Überfremdung bewahrt hat. Von daher ist es verständlich, dass Russland diesen Fürsten im vergangenen Jahr anlässlich dessen 800. Geburtstag besonders gefeiert und neue Denkmale errichtet hat, zum Beispiel am Peipus-See an der Grenze zu Estland. Der Versuch Roms, Russland zu erobern wiederholte sich 1605, als es Rom beinahe gelang den falschen Dimitri, der in Polen aufgetaucht war, mit Hilfe der Jesuiten und einer polnischen Armee auf den Zarenthron in Moskau zu bringen. Aber das Moskauer Volk erschlug den katholischen Betrüger und ein Volksaufstand befreite Moskau 1612 von der polnischen Besetzung. Da diese Befreiung am 4. November, dem Tag der Gottesmutter von Kasan erfolgte, wurde dieser Tag 2012 als neuer Feiertag anstelle des Tages der Oktoberrevolution eingeführt. Und für Kosma Minin aus Nischni Nowgorod, der den Volksaufstand organisiert hatte wurde ein neues Denkmal in Nischni Nowgorod aufgestellt. So versucht Russland mit Hilfe von Denkmalen zum Nachdecken anzuregen und den Widerstand gegen das westliche(römische) Christentum zu stärken, dessen Jahrhunderte alten Kampf gegen das russische Christentum, der amerikanische Politologe Samuel Huntington im entsprechenden Kapitel seines Buches „Kampf der Kulturen“ wieder aufgezeigt hat. Darin hat er auch darauf hingewiesen, dass diese „Konfliktgrenze“ auch die Ukraine in eine vom russischen Christentum geprägte Ostukraine und eine vom römischen Christen beeinflusste Westukraine teilt, also ganz aktuell ist.

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    Hans Klatt 2 Jahren

    Der Kollege Kai Ehlers hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Was will der Westen- EU- überhaupt? Russland hat das Recht auf seinem Territorium alles mögliche zu machen oder?
    Das Verständnis von Russland an die EU / Nato / USA ist doch begründet, in dem Artikel vom Kollegen Christian Müller, Infosprecher.ch- Bericht vom 23.01.2022) , der wirklich authentisch beschreibt, welche Parameter nach dem Zer3fall der Sowjetunion festgelegt wurden.
    Der Wunsch von Gorbatschow und Kohl war- dies hat der damalige Außenminister Genscher- FDP- beschrieben, ein gemeinsames Haus “ EUROPA“ zu installieren, also “ OST, WEST, NORD und SÜD“. Diesen Artikel sollten sich auch die USA, NATO und der Rest von Europa lesen, denn versteht man vieles. Aus meiner Sicht ist der jetzige Nato-General-Sek. ein Mann, der bis dato nichts; aber auch gar nichts verstanden hat, sondern nur noch mehr Öl ins Feuer gießt.
    Zu der Frau Außenministerin der BRD kann ich nur sagen, man sollte sich umgehend mit der Geschichte befassen, aber diese Frau hat es sehr, sehr, da Sie nicht mal ein Buch schreiben kann!!! Also, man muss die Russische Föderation verstehen und versuchen einen Konsens zu finden. Aus meiner Sicht ist die UA der Kriegstreiber, der alles versuchen wird, diese Provokation weiter zu führen und es gibt Länder, die liefern Waffen, Geld -Grenzenlos-und die Bevölkerung hat nichts davon. Die großen Probleme liegen in der UA selbst, denn die Wahlniederlage von Poroschenko und die Majdan Revolution haben diese Herren zu verantworten, und man sollte die USA nicht vergessen, die milde gesagt eine damalige Unterstützung für den Umbruch mitgetragen hat.