US-Sanktionsliste: Ideologisch verbrämte RivalitätFasbender, Dr Thomas © russland.news

US-Sanktionsliste: Ideologisch verbrämte Rivalität

Der Russlandflüsterer

Viel Lärm um nichts? Immerhin ist der Bekanntheitsgrad der 210 Top-Russen aus Staat und Wirtschaft mit der „US-Sanktionsliste“ um einiges gestiegen. Bis auf den Präsidenten finden sich dort die Staatselite vom Premierminister abwärts, jeder einzelne der 42 Putin-Berater, die Spitzen der Sicherheitsorgane und die Chefs der großen, staatseigenen Unternehmen. Nicht zu vergessen die 96 russischen Milliardäre, die Eins zu Eins der Forbes-Reichenliste entnommen wurden.

Es stört auch keinen großen Geist, dass die „Sanktionsliste“ gar keine ist – Sanktionen sind nicht vorgesehen. Das Ganze soll nur ein Warnschuss sein. Wehe wenn! Schon ist die Rede von einer zweiten, deutlich längeren Liste in den Schubladen des State Department. Welche Namen sich dort wohl finden? Die nächsten 250 Ränge der Forbes-Liste plus die Abteilungsleiter aller russischen Ministerien? Und so weiter? Vielleicht lag Wladimir Putin nicht falsch mit seinem Kommentar: „Wir alle, alle 146 Millionen, stehen auf irgendeiner Liste.“

Derzeit existieren zwei Deutungsmuster. Das eine: In den USA herrscht eine innenpolitisch getriebene Anti-Russland-Hysterie; die wachsende Insuffizienz des gesellschaftlichen Systems wird mit den Machenschaften eines äußeren Feindes erklärt.

Das andere: US-Geostrategen treiben die Konfrontation bis zur eventuellen Eskalation voran, um den Rivalen Russland auszuschalten und auf dem eurasischen Kontinent, vor allem China gegenüber, das Gesetz des Handelns zurückzugewinnen. An die in vielen Medien verbreitete Begründung, wonach Russland ernsthaft die amerikanische Demokratie gefährde, glauben nur die erwähnten Hysteriker.

Beide Muster vertragen sich in perfekter Koexistenz. Die Mischung aus Handelsbilanzdefizit und Staatsverschuldung, in den USA in Größenordnungen jenseits aller Vernunft, lässt nicht nur das System degenerieren, es verengt zunehmend die Handlungsspielräume nach außen und innen.

Donald Trumps Postulat „Wir müssen wieder anfangen, Kriege zu gewinnen“ trifft vielleicht bei einem Teil der Wähler einen Nerv. Allerdings übersieht der Präsident, dass die USA nur noch bei Gegnern wie Grenada dazu in der Lage sind. Sie können noch Schlachten gewinnen, aber keinen Krieg mehr. Und sie können erst recht keinen Frieden sichern. Es müsste ihnen denn das Glück in den Schoß fallen wie 1762 dem Alten Fritz in Gestalt des Ablebens der russischen Kaiserin Elisabeth – jenes berühmte „Mirakel des Hauses Brandenburg“.

Was bedeutet das für die Europäer? Beim Neujahrsempfang des Berliner Instituts „Dialog der Zivilisationen“ Ende Januar machte der ehemalige EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen keinen Hehl aus dem fortschreitenden „relativen Bedeutungsverlust“ des europäischen Kontinents.

Angesichts eines bellizistischen Amerikas, des immer machtbewussteren Chinas und eines Russlands, das zumindest in der Lage ist, seine Interessen nachhaltig zu verteidigen, offenbare die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten einen eklatanten Mangel an politischem Willen. Ein weiterer Mangel, und zwar an Bereitschaft zu pragmatischer Realpolitik, bewirke, dass die gemeinsamen Interessenspotentiale der EU-Europäer und ihrer Nachbarn in Russland und der Türkei nicht wahrgenommen und als Grundlage gemeinsamer Politik entwickelt würden. Eines machte Verheugen ganz deutlich: Weder wartet Europa darauf, von Deutschland, noch wartet die Welt darauf, vom Westen geführt zu werden.

Das ist eine neue Rolle und für viele Westeuropäer gewöhnungsbedürftig. Deren Werte- und Moralpolitik in Ländern mit historisch anderen Gesellschafts- und Demokratiemodellen provoziert dort inzwischen Abgrenzung und eine umso stärkere Rückbesinnung auf das „Eigene“ – und damit, aus westlicher Sicht, auf das Fremde, Andere.

Angesichts globaler Probleme wie Klimaveränderung, des Auseinanderbrechens von Gesellschaften, sozialer Regression, Migration und Terrorismus werden aber gemeinsame Antworten und gemeinsame Strategien immer notwendiger. Das gilt in jedem Fall für die großen, zusammenhängenden Kulturräume wie das (in Teilen ehemals) christliche Abendland, zu dem fraglos auch Russland gehört.

Die Europäer dürfen den Rivalitäten der Großmächte, auch wenn sie weltanschaulich verbrämt sind, nicht einfach zusehen. Wenn wir nicht wollen, dass in 50 Jahren weite Teile der Welt der Zivilisation beraubt oder unbewohnbar sind, müssen – in Europa jedenfalls – alle Nationen an einem Strang ziehen, unabhängig davon, wie ihre Gesellschaften geprägt sind: permissiver oder autoritärer, liberaler oder illiberaler. Die Realität sieht anders aus; mittlerweile entfremdet der Streit um die schönste Demokratie schon die EU-Europäer in Ost und West. Für das Schicksal des Planeten und seiner Bewohner ist das Ganze so überflüssig wie ein Kropf.

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