Impfstoff vom Menschen

Impfstoff vom Menschen

Interessant: wenn wir wirklich von künstlicher Intelligenz kontrolliert werden, wird sie dann auch stehlen? Warum sollte sie nicht? Wenn Künstliche Intelligenz versucht, Ergebnisse zu erzielen, die mit der menschlichen intellektuellen Aktivität vergleichbar sind, dann ist das einfach. Alles hängt davon ab, welche Art von Person sie nachahmen wird und welcher Art die intellektuelle Tätigkeit dieser Person ist. Irre ich mich? Möglich. Ich bin Humanist, daher mache ich mir über technische Neuerungen nicht viele Gedanken. Aber eines weiß ich ganz sicher: Egal, was man sich ausdenkt, es wird auch in Zukunft gestohlen.

Übrigens bin ich nicht der Einzige, der nichts versteht. Eine vom Allrussischen Zentrum für öffentliche Meinungsforschung (WZIOM) durchgeführte Umfrage ergab, dass 70% der Russen eine schlechte Vorstellung davon haben, was dieses Tier ist: Künstliche Intelligenz. Oder sie haben gar keine Ahnung, was das überhaupt ist. An dieser Stelle versuchte ich, den Gesetzesentwurf  Nr.896438-7 mit dem unmenschlichen Titel „Über das Experiment zur Schaffung einer Sonderregelung zur Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für die Entwicklung und Einführung von Technologien der künstlichen Intelligenz auf dem Gebiet der Russischen Föderation – in der Föderation Moskau und zur Änderung von Artikel 6 des Bundesgesetzes über personenbezogene Daten“ zu lesen. Es scheint, dass dieses Gesetz bereits von künstlicher Intelligenz geschrieben wurde. Es ist kein Zufall, dass etwa in der fünften Minute des Lesens mein Gehirn zu schwimmen begann. Denn das ist eine Art von russischer Sprache, die ich nicht kenne. Ich habe versucht, den Text zu googeln, aber das Übersetzungsprogramm gab mir bei der Übertragung aus dem vermeintlichen Russischen ins echte Russische etwas, das ich mit dem Computer gleich zusammen weggepackt habe.

Ich gehe gerne auf den Markt, denn gleich daneben gibt es einen Platz, und auf dem Platz sitzen bei gutem Wetter auf den Bänken die Bürger und unterhalten sich. Und ich höre gerne zu. Diesmal hörte ich, dass die Menschen, die über das unverständliche Gesetz verblüfft sind, emotionale Diskussionen nicht nur über das Coronavirus, sondern auch über das neue Gesetz führen. Einige Leute haben Angst, dass jetzt erst ganz Moskau, und dann das ganze Land ein elektronisches Konzentrationslager wird, wo jeder beobachtet und für Fehlverhalten bestraft wird. Andere widersprechen ihnen, ohne zu merken, dass sie von derselben Sache reden. Sie sagen, wenn es ein Konzentrationslager gäbe, müsse alles wie bei den Menschen sein, die Lagerleitung, die Wachen, die Kerker und die Spitzel, welche die Lagerleitung informieren. Aber wo sind sie? Obwohl es übrigens Berichte gibt, dass einige besonders bewusste Bürger schon jetzt ihre nicht ‚kooperativen‘ Nachbarn denunzieren,  die ohne Maske Müll wegwerfen gehen.

Ich sitze also auf einer Bank und lausche.

– Und was wird diese Intelligenz mit mir machen? fragt ein Mann im Rentenalter, der eine Flasche Bier trinkt.

– Nun, was schon! schreit sein Nachbar aus der Flasche heraus. Man wird Sie ständig beobachten, Sie kontrollieren.

– Gräßlich! Aber meine Frau kontrolliert mich schlimmer als jeder Computer.  Na und? Ich nehme mir trotzdem das Meine. Also, haben wir keine Intelligenz?

Haben wir. Wir haben Intelligenz vor Ort gesehen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sich unser großes und einfallsreiches Volk, das seit langem gelernt hat, Lücken in jedem Gesetz zu finden und Hindernisse zu vermeiden, auch diesmal etwas einfallen lassen wird. Warum? Weil doch jeder schon lange daran gewöhnt ist, Mobiltelefone, elektronische Bankkarten und das Internet zu benutzen. Das ist schon ein integraler Bestandteil der künstlichen Intelligenz. Dazu auch bequem. Warum also? Weil es eine Sache ist, etwas zu benutzen, aber etwas anderes, wenn man benutzt wird. Und unser Volk ist tief in seinem Herzen kein Sklave, sondern eher Anarchist. Anarchie wird die Mutter der neuen Ordnung sein.

In der Wissenschaft geht, wie bekannt, die Dampfmaschine der Moral und Ethik immer voraus. Ich glaube nicht, dass Ernest Rutherford oder Niels Bohr, die über die Teilchen des Atoms geforscht haben, das zukünftige Hiroshima gewollt haben. Aber es ist geschehen. Heute glauben nur wenige Menschen an die Transhumanisten, die sich tatsächlich zum Ziel gesetzt haben, den Menschen neu zu erfinden und ihn so weit wie möglich durch künstliche Intelligenz zu ersetzen. Aber der Stein ist schon ins Wasser geworfen worden, die Ringe sind schon verschwunden. Die Moskauer Administration beginnt das Experiment und versucht, die Macht der Beamten mit der Macht des Computersystems zu kombinieren – ein selbstlernendes Programm mit unmenschlicher Logik und völligem Mangel an Ethik. Ich frage mich, wer den Kampf um die Macht über Moskau gewinnen wird: Beamte oder die Maschine? Aber wer auch immer gewinnt, wir werden alle verlieren. Wir, die wir jetzt leben. Und diejenigen, die nach uns leben werden, merken vielleicht nicht, dass sie bereits Homoroboter geworden sind. Wenn Präsident Putin von einer hohen Tribüne aus sagt, dass die Zukunft in der künstlichen Intelligenz liegt, könnte er Recht haben. Aber ich wünschte, die Zukunft wäre menschlich.

Alle Opponenten seien gewarnt: ich bin kein Physiker, sondern Lyriker. Und ich nutze keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern ein poetisches Gefühl, das mich fast nie getäuscht hat. Also, dieser Bauch sagt mir, dass wir aus irgendeinem Grund heute, wo die Situation mit der Pandemie schwierig ist und die Menschen ziemlich verängstigt sind, ein Experiment machen und dass wir den Impfstoff nicht so sehr gegen das Coronavirus, als eher gegen den Menschen selbst einsetzen werden. Dafür kann man mich rückwärtsgewandt nennen.

Übrigens habe ich mich gefragt: Diese dümmlichen Fernseh-Talkshows und andere Programme, die Menschen zeigen, die in ihren Wohnungen in „Selbstisolation“ eingesperrt sind – ist das wegen des Coronavirus?  Oder hat die künstliche Intelligenz bereits funktioniert?

Jefim Berschin.

Übersetzer: Kai Ehlers

zum russischen Original >>>

COMMENTS

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    Anja Böttcher 4 Jahren

    Mmmh, zu Beginn der Epedemie hatte ich den Eindruck, dass die Menschen anfangen freundlicher und nachdenklicher miteinander umzugehen.

    Aber natürlich war der Lockdown, da die Infektionsraten in Deutschland nicht ganz so stark anstiegen und wir keine so riesigen Städte wie Moskau haben, nicht ganz so streng: Wir konnten noch frei spazierengehen und uns im Freien mit eigenen Familienmitgliedern ausbreiten, solange wir Abstand zu anderen hielten.

    Da suchten die Menschen auf andere Weise Kontakt: Es gab freundliche Fensterbotschaften auf Kinderbildern. Einige Kinder legten buntbemalte Steine auf die Spazierwege, an die andere Kinder ihre Steine dranlegten, sodass bunte Ketten entstanden. Die längste, die ich gesehen habe, war mehr als 240 bemalte Steine und sechzehn Meter lang. Viele meldeten sich bei den Stadtverwaltungen mit Angeboten, für ältere Menschen freiwillige Dienste wie Einkaufen oder Treppenputzen zu übernehmen.

    Aber nach einer gewissen Zeit, als der Lockdown etwas gelockert wurde, waren die Menschen gereizt – und einige wurden langsam verrückt. Sie bildeten sich ein, Bill Gates habe das Virus designt und hätte vermittelst der WHO die Kontrolle über alle Regierungen erlangt, damit wir alle durch Impfungen (die ja noch gar nicht existieren) heimlich mit einem Computerchip verwanzt werden können.

    Wohin der von dem Virus verordnete gesellschaftliche Dämmerzustand führt, liegt immer noch an uns.

    Wir können das Erlöschen von Geschäftigkeit und hastiger Arbeits- und Konsumgefälligkeit zum Nachdenken nutzen. Langeweile kann Kreativität gebären. Wir könnten zu der Erkenntnis kommen, dass Viren sich genauso wenig um Grenzen scheren wie alle anderen Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht. Wir können zu der Einsicht wachsen, dass gegenseitige Aufrüstung und geopolitische Konfrontation eine so dummgefährliche Vergeudung unserer und unsere Erde Ressourcen sind, dass wir sie unseren Regierungen, die uns zu repräsentieren beanspruchen, einfach nicht mehr erlauben.

    Wir könnten eine auf permanentem Wachstum basierende Wirtschaftslogik als das erkennen, was sie in einer Erde mit begrenzten Ressourcen ist: nämlich Wahnsinn. Wir könnten wieder das Wesentliche vom Unwesentliche unterscheiden lernen und uns fragen, was richtig und verantwortlich ist.

    Und eine solche Erkenntnis sollte niemand verbergen – ob andere ihn abhorchen oder nicht. Denn der Ort unser aller Freiheit ist unser Gewissen. Ein solches besitzt keine Maschine und kein Computerprogramm. Und wer es aushorcht, erfährt nichts, was er nicht auch erführe, wenn er uns offen fragt.

    Freilich ist das Gewissen, wo wir es anhören, ein anarchischer Ort – eigentlich ist es die Anarchie selbst: Wo jemand dem seinen folgt, bricht alle Fremdbeherrschung, alle Kontrolle. Denn sie wird schlichtweg unsinnig.

    Ein Virus besitzt keine Intelligenz. Es ist – und ist darauf ausgelegt, durch Multiplikation in der Existenz zu verharren. Ob wir unter Corona gescheiter werden, entscheidet nicht der Virus, entscheidet auch kein Computerprogramm und keine Abhörtechnik. Das entscheiden wir, wenn wir es wollen.

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